Eine Frau steht 2002 in Schwertberg bis zu den Oberschenkeln im Wasser vor ihrem Haus.
Österreich

Die politische Flut

Wahlen nach Naturkatastrophen können einen Bonus für Amtsinhaber:innen bedeuten – müssen aber nicht. Eine historische Rundschau in zwei oberösterreichischen Hochwasser-Gemeinden.

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Kurt Gaßner ist einfach „guat“ und hilfsbereit, manchmal aber auch jähzornig und laut, gibt er bei einer Podiumsdiskussion zu. Wir schreiben das Jahr 2003 und Gaßner will erneut SPÖ-Bürgermeister der Gemeinde Schwertberg im oberösterreichischen Bezirk Perg werden, sein größter Konkurrent ist Thomas Kapplmüller von der ÖVP. Auch Kapplmüller wird von der Moderation der Podiumsdiskussion gebeten, sich selbst zu beschreiben: Eine schlechte Eigenschaft sei, dass er wegen der Diskussion nach 14 Wochen Abstinenz wieder mit dem Rauchen begonnen habe. „Aber beim Energie-Tanken, Kapplmüller ist begeisterter Waldläufer, wird er sein Laster schon wieder herausschwitzen“, protokolliert die Oberösterreichische Rundschau. 

Kurt Gaßner

saß von 1997 bis 2013 auch für die SPÖ im Nationalrat

Eigentlich geht es in der Diskussion aber – neben dem Gemeindebudget, das alle außer Gaßner kritisieren – um etwas anderes: Die Hochwasser des Aist-Bachs im vorangegangenen Jahr. Schwertberg wurde im August 2002 nämlich gleich zwei Mal überschwemmt – vor allem die zweite Welle war verheerend, da die Böden über alle Maßen gesättigt waren und kein Wasser mehr aufnehmen konnten.

Der Grüne Kandidat Hermann Holzweber will nun von Bürgermeister Gaßner wissen, wie viel ein „hundertprozentiger“ Hochwasserschutz kosten werde – und wie er überhaupt umgesetzt werden kann; Gaßner lobt die Baggerungen in der Aist, die nun einem 100-jährlichen Hochwasser vorbeugen würden. 

Am Ende wird Gaßner im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreichen, auch bei der nächsten Bürgermeister-Wahl wird die SPÖ gewinnen. 

„Wetter ist politisch“ 

Man könnte Gaßners Wahlsieg 2003 – und auch die sieben Prozent des Grünen Kandidaten Holzweber, der zum ersten Mal antrat – als Teil eines Musters analysieren: Eine Deutsche Studie mit dem Titel „Das Wetter ist politisch“ zeigt, dass in von Hochwasser betroffenen Gebieten bei darauffolgenden Wahlen jeweils die amtierenden Regierungschefs sowie die Grünen profitiert haben. Die Forschenden haben dabei die Bundestagswahl 2021 in Deutschland untersucht, der starke Unwetter im Westen, Osten und Südosten Deutschlands vorangegangen waren.

„Die Ergebnisse zeigen, dass in betroffenen Gemeinden, insbesondere in besonders stark betroffenen, Wählende mit bis zu 6,6 Prozentpunkten Vorsprung eher die Partei wählten, die den:die Ministerpräsident:in ihres Bundeslandes stellten. Dies deutet darauf hin, dass in einer Situation, in der eine Wiederwahl amtierender Entscheidungstragender auf nationaler Ebene ausgeschlossen ist, der Umgang regionaler Entscheidungstragender mit Naturkatastrophen an Bedeutung gewinnt,“ heißt es in der Studie. 

Die Autor:innen zählen auch zahlreiche weitere Untersuchungen zum Thema auf: Eine italienische Studie aus dem Jahr 2021 ergab beispielsweise, dass Bürgermeister, die nach Erdbeben in ihrer Gemeinde erneut kandidierten, einen Wahlvorteil von fünf Prozentpunkten hatten. 2005 büßte die schwedische Regierung hingegen vier Prozentpunkte ein, nachdem sie Betroffenen nach dem Sturm Gudrun nicht finanziell unter die Arme griff. 

Hangwasser in Schwertberg

Auch am vergangenen Wochenende war die Hochwasser-Situation in Schwertberg, das mittlerweile ÖVP-geführt ist, angespannt. Seit 2015 steht Max Oberleitner der Gemeinde vor. Am Wochenende wurden als Vorsichtsmaßnahme zehntausend Sandsäcke geschaufelt und an umliegende, stärker betroffene Gemeinden verteilt. Einen Anruf von profil muss Oberleitner retournieren, weil er am Donnerstagnachmittag einen Generationenpark in Schwertberg eröffnet. Oberleitner erzählt, dass ihm bei der Eröffnung gedankt wurde dafür, dass die Bevölkerung diesmal gezielt alarmiert und kein Sirenenalarm ausgelöst wurde: „Wir sind zu rund 40 Haushalten hingefahren, deren Häuser knapp über der 100-jährlichen Hochwassermarke liegen und haben gesagt: Wir wissen es nicht, ob es sich ausgeht, ihr habt noch einen halben Tag Zeit, vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Über Facebook und Instagram haben wir auch direkt kommuniziert, dafür war die Bevölkerung sehr dankbar. Das Hochwasser 2002 hat Schwertberg traumatisiert. Viele sagen, sie können keine Sirenen mehr hören. Jedes Mal, wenn es heult, geht das durch Mark und Bein – da wird man richtig in Trance gesetzt, die Angst lähmt dich. Bei denen, die 2002 hautnah miterlebt haben, sitzt das noch so, als wäre es gestern gewesen.“

Max Oberleitner (links)

mit Schwertberger Feuerwehrleuten beim Hochwasser-Einsatz am Wochenende 

Der Bürgermeister ist überzeugt davon, dass sich sein Hochwasser-Management in Schwertberg in den Wahlergebnissen widerspiegelt: „Ich glaube, die Schwertberger haben mich als erfolgreichen Krisenmanager erlebt, auch wenn es natürlich hart ist und man als Bürgermeister unter einem großen Druck steht.“ Stets würden die richtigen Entscheidungen und Antworten auf alle Fragen erwartet, obwohl man selbst noch im Unklaren darüber ist, wie hoch die Pegelstände steigen, oder wie lange es noch regnet. „Aber Schwertberg war eine sozialdemokratische Hochburg, ich bin der erste ÖVP-Bürgermeister seit 1938“, sagt Oberleitner, und spart auch nicht mit Kritik an seinen Vorgängern: „Die Bevölkerung war damals sehr unzufrieden. Meine beiden Vorgänger waren im Nationalrat und hatten zu wenig Zeit, sich um Gemeindeangelegenheiten zu kümmern.“ 

Oberleitner finalisierte 2015 den Aist-Hochwasserschutz und sah sich 2016 prompt mit dem nächsten Naturereignis konfrontiert: Starkregenfälle überfluteten mehr als 300 Häuser in Schwertberg. Das Wasser kam diesmal aber nicht von der Aist, sondern von den umliegenden Hängen und Feldern ins Ortsgebiet. Oberleitner zieht daraufhin Hangwasserschutz in der Gemeinde auf, lässt Rückhaltebecken errichten und Retentionsräume, die ökologisch als Blumenwiesen aufgewertet werden. „Ich weiß, dass das für die Bevölkerung ein starkes Wahlmotiv ist, weil sie merken, dass ich da voll dahinter bin und mich ins Zeug haue. Die Leute bedanken sich dafür und nehmen das war“, erzählt er. 2021 wird Max Oberleitner mit 66,12 Prozent wiedergewählt und mittlerweile als Hangwasser-Experte zu Vorträgen geladen.

Das Hochwasser 2002 hat Schwertberg traumatisiert. Viele sagen, sie können keine Sirenen mehr hören. Jedes Mal, wenn es heult, geht das durch Mark und Bein.

Der Schwertberger Bürgermeister Max Oberleitner

über das Trauma, das die Hochwasserkatastrophe 2002 in seiner Gemeinde ausgelöst hat

Walding wird nach dem Hochwasser 2013 schwarz 

Als Johann Plakolm 2015 in Walding im südlichen Mühlviertel Bürgermeister wird, kann er es selbst kaum glauben. „Wenn mir das vor drei Monaten jemand prophezeit hätte, dann hätte ich demjenigen gesagt, dass er zum Arzt gehen soll“, sagt er nach seiner siegreichen Stichwahl den Oberösterreichischen Nachrichten.

Jahrzehntelang war Walding rot gewesen: Josef Eidenberger stand der Gemeinde seit 1991 vor – mit Mehrheiten um die 70 Prozent. 2014 gab er sein Amt an Erich Haas ab, der es schließlich in der Stichwahl nicht gegen den ÖVP-Kandidaten Plakolm verteidigen konnte. 

Eidenbergers letzte Jahre als Bürgermeister waren bestimmt vom Hochwasser 2013, als mehrere Gemeinden im Eferdinger Becken überflutet und Walding stark getroffen wurde. Mehrere Personen mussten von den Dächern ihrer Häuser gerettet werden, viele siedelten in den folgenden Jahren aus der Hochwasserzone ab. 

„Eidi“, wie der Bürgermeister genannt wurde, überlegte daraufhin gar eine Klage gegen die Betreiber des nahegelegenen Kraftwerks Ottensheim. Man habe bestimmte Orte, darunter Walding und die Nachbarorte Ottensheim und Goldwörth, volllaufen lassen, um Linz und das Machland zu schützen, lautete der Vorwurf des Ortschefs. Wenn die Donau bei einer Breite von fünf Kilometern innerhalb von zwei Stunden um ganze 70 Zentimeter ansteigt, „dann hab ich Probleme, mir das mit hydraulischen Gesetzen erklären zu können“, sagte Eidenberger 2013.

Walding ist schon wieder abgesoffen! Ich bin kurz vorm Durchdrehen.

Der Waldinger Bürgermeister Josef Eidenberger (SPÖ) 2013

zum „Kurier“

Auch Haas engagierte sich für die Hochwasser-Opfer, stritt sich mit der Landesregierung um die Konditionen der sogenannten „freiwilligen Absiedlungszone“ – konkret darum, wie viel Geld die freiwilligen Absiedler:innen bekommen sollten. Das Land Oberösterreich machte Bewohner:innen dieser besonders hochwassergefährdeten Zone ein finanzielles Angebot, das diese aber nicht annehmen mussten. Haas' Gegenüber war mit dem Grünen Umweltlandesrat Rudi Anschober kein Unbekannter. Was dem Kurzzeit-Bürgermeister wahrscheinlich mit zum Verhängnis wurde: Viele der Absiedler:innen waren unzufrieden mit den Entschädigungssummen. 

Der Hochwasserschutz ist in Walding nach wie vor Streitthema zwischen ÖVP und SPÖ. 2023 wurde ein Hochwasser-Monument errichtet – die SPÖ blieb einer Gedenkveranstaltung allerdings fern: „Dem Hochwasser zu gedenken, obwohl in den zehn Jahren außer den Absiedelungen nichts geschehen ist, empfinden wir als rückschrittlich,“ ließ sich der nunmehrige Waldinger SPÖ-Chef Helmut Mitter zitieren. 

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.