Die Rückkehr der Schattenminister: Neue Generalsekretäre für Finanz, Wirtschaft und Inneres
Es war eine der einfachsten Lehren aus den vielen Causen rund um Thomas Schmid: Die Rolle der Generalsekretär:innen in den Ministerien ist zu unkontrolliert, zu unklar und viel zu mächtig. Doch anstatt ihren Einfluss zu beschränken, setzen ÖVP und SPÖ in den Schlüsselressorts Finanzen, Wirtschaft und Inneres neue Generalsekretär:innen ein.
Nominell sind Generalsekretär:innen seit Türkis-Blau die höchsten Beamt:innen in ihrem Ministerium und können sämtlichem Fachpersonal – vom Sektionschef abwärts – Weisungen geben. Gleichzeitig sind sie aber rein politisch besetzt und funktionieren als verlängerter Arm des Ministers oder der Ministerin – solange sie sich nicht verselbstständigen.
Mächtiges Amt mit mächtigen Problemen
Wie problematisch diese Macht sein kann, zeigte das Beispiel Thomas Schmid eindrucksvoll. Von 2015 bis 2019 herrschte der einstige Pressesprecher als Generalsekretär im mächtigen Finanzministerium. Schmid nutzte diese Funktion laut eigenem Geständnis vor der Korruptionsstaatsanwaltschaft, um den Milliardären René Benko und Siegfried Wolf Steuervorteile zu verschaffen.
Weiters gab er an, im Sinne von Sebastian Kurz manipulierte parteipolitische Umfragen auf Kosten des Finanzministeriums bezahlt und sich seinen eigenen Posten als ÖBAG-Vorstandsvorsitzender zugeschnitten zu haben. Alle von Schmid Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe.
Auch andere Generalsekretäre standen im Zentrum der Kritik: Im Justizministerium wurde Ex-Generalsekretär Christian Pilnacek vorgeworfen, sich in Ermittlungsverfahren einzumischen – er wurde daraufhin bis zu seinem Ableben im Oktober 2023 suspendiert. Peter Goldgruber geriet als Herbert Kickls Generalsekretär im Innenministerium für seine Rolle bei der Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) in die Kritik und bestimmte mit drei handschriftlichen Zeilen, dass doch eine andere Person die Abteilung „Sicherheitsverwaltung“ leiten sollte, als das achtseitige Urteil der Personalkommission empfohlen hatte. Und der frühere Generalsekretär im Außenministerium, Johannes Peterlik, soll über Umwege geheime Dokumente an den Ex-Wirecard-Vorstand und mutmaßlichen russischen Spion Jan Marsalek weitergegeben haben. Auch Peterlik wies alle Vorwürfe zurück.
Unklare Aufgaben und kaum Kontrolle
Entsprechend hart gingen SPÖ und Neos als Oppositionsparteien mit den Generalsekretären ins Gericht: SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer sprach etwa von „Polit-Kommissaren“, der stellvertretende Neos-Klubobmann Nikolaus Scherak forderte 2022 schlicht ihre Abschaffung: „Der Fall Thomas Schmid sollte allen, selbst der ÖVP, klar gemacht haben, dass die teure Erfindung der türkis-blauen Regierung von Sebastian Kurz erstens rasch rückgängig gemacht und die Generalsekretäre zweitens in allen Ministerien abgeschafft werden müssen.“
Auch parteiunabhängige Organisationen kritisierten die Generalsekretär:innen. Auf Anregung der SPÖ prüfte der Rechnungshof 2021 etwa die Praktikabilität der türkis-blauen „Schattenminister“ in den Ministerien. Das Ergebnis der Prüfer:innen: Aufgaben und Ziele der Generalsekretär:innen seien nicht klar definiert, die Existenz der neuen Weisungsebene würde daher das Risiko von Doppelgleisigkeiten nur erhöhen. Gleichzeitig seien die politischen Kabinette der Minister:innen aber gleich groß geblieben, eine finanzielle Entlastung der Ministerien blieb also aus.
Maßnahmen zur Sicherung der Integrität von Generalsekretären und Kabinettsmitarbeitern sind noch weitgehend verbesserungsfähig.
Bericht 2023
Gegenüber der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) werden sie von Gesprächspartnern etwa mehrmals als „Schattenminister“ bezeichnet, haben aber nicht dieselben Pflichten wie Minister:innen: „Maßnahmen zur Sicherung der Integrität von Generalsekretären und Kabinettsmitarbeitern sind noch weitgehend verbesserungsfähig“, heißt es daher im GRECO-Bewertungsbericht 2023. Die Republik solle die Generalsekretär:innen etwa zur Offenlegung von Vermögenswerten und Interessenskonflikten verpflichten, empfiehlt GRECO.
Es wird in Zukunft auch keinen Generalsekretär im BMF mehr brauchen.
2022 als Finanzminister vor dem ÖVP-Untersuchungsausschuss
Das Finanzministerium (BMF) zog seine eigenen Konsequenzen aus der Causa Schmid. Ex-Finanzminister Magnus Brunner beauftragte in ein externes Gutachten, um sein Ressort neu zu organisieren. Als Ergebnis wurde eine Präsidialsektion geschaffen und der Posten des Generalsekretärs gestrichen. Dessen Rolle sei „überholt“, erklärte Brunner 2022 im ÖVP-Untersuchungsausschuss: „Es wird in Zukunft auch keinen Generalsekretär im BMF mehr brauchen.“
Neue „Schattenminister“ für Finanz, Inneres und Wirtschaft
Brunner hat sich getäuscht. Als eine seiner ersten Amtshandlungen installierte der neue SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer Stefan Imhof als Generalsekretär des mächtigen Ressorts. Der studierte Volkswirt ist ein Experte für staatliche Subventionen und kam über das Kabinett des ehemaligen SPÖ-Staatssekretärs im Finanzministerium, Andreas Schieder, in die österreichische Verwaltung.
Zuletzt war Imhof stellvertretender Sektionsleiter der Präsidiale im Vizekanzleramt von Werner Kogler und wurde von der Bundesregierung in den Fiskalrat entsandt – wo er auf Marterbauer als Vizepräsidenten traf. Als Generalsekretär soll Imhof im Finanzministerium nun bei der Sanierung des Budgets helfen.
Auch die ÖVP setzt auf mehr Generalsekretäre: Das Innenministerium war zuletzt ohne diesen Posten ausgekommen, nun übernimmt ihn Andreas Achatz. Der gelernte Polizist und Ex-Beamter der Wiener Sondereinsatztruppe WEGA hatte seit 2004 Karriere im Innenressort gemacht. 2012 wechselte er in das Kabinett der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, unter Wolfgang Sobotka wurde er Kabinettschef und blieb dies auch bei Karl Nehammer und Gerhard Karner. Gleichzeitig leitete Achatz ab Jänner 2022 die Service-Sektion des Ministeriums bis er im Oktober 2022 von Nehammer als Leiter des Kabinetts im Bundeskanzleramt geholt wurde. „Als ich meine Reise Richtung Bundeskanzleramt angetreten habe, war mir immer bewusst, dass ich zurück zu meinen Wurzeln kehren werde, ins Innenministerium“, erklärte Achatz diese Woche bei seiner Angelobung als Generalsekretär.
Und auch im neuen Wirtschaftsministerium installiert die Volkspartei einen Generalsekretär: Severin Gruber war Jurist in der Industriellenvereinigung, bis ihn Martin Kocher im Februar 2022 als stellvertretenden Chef in sein politisches Kabinett holte. Im April 2022 wurde Gruber zusätzlich Abteilungsleiter für Arbeitsmarktrecht und Arbeitslosenversicherung.
Neos noch unentschlossen
Die Neos würden in ihren Ressorts Äußeres und Bildung zwei bestehende Generalsekretär:innen übernehmen. Bildungsminister Christoph Wiederkehr hat sich noch nicht entschieden, ob es die Stelle künftig in seinem Ressort braucht. Neos-Chefin und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger wird die Position behalten, alles andere wäre tatsächlich ein Traditionsbruch: In der Vergangenheit war die Funktion eine:r Generalsekretär:in nur im Außenministerium vorgesehen, erst seit April 2000 gibt es die rechtliche Möglichkeit auch in anderen Ressorts. In der Experten-Regierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein gab es daher nur zwei Generalsekretäre: Dieter Kandlhofer im Kanzleramt und Peter Launsky-Tieffenthal im Außenministerium. Kandlhofer war nur wenige Wochen im Amt, das Außenministerium hielt als einziges Ressort die gesamte Regierungszeit lang an seiner Tradition fest.
An diesem Stellenabbau der Regierung Bierlein nehmen sich ÖVP, SPÖ und Neos jedenfalls kein Vorbild, im Gegenteil: „Dieses Modell hat sich bewährt“, schreibt das Kanzleramt über die Rolle der Generalsekretär:innen. Sie seien „zur verbesserten Umsetzung von Zielsetzungen der Bundesregierung und als Reformmotor in der Verwaltung konzipiert“ und würden durch ihre Koordination zwischen den Ministerien „zu einer erfolgreichen Bundesverwaltung beitragen“. Im neuen Familienministerium, im Justizministerium und im Sozialministerium wird trotzdem kein neues Generalsekretariat geschaffen, erklären die Ressorts auf profil-Anfrage.
Insgesamt dürfte es in der neuen schwarz-rot-pinken Koalition dennoch mehr Generalsekretär:innen geben als zuletzt unter Türkis-Grün. Eine Reform der „Schattenminister“ ist im Regierungsprogramm nicht vorgesehen.
Korrekturhinweis
In einer vorangegangenen Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, Stefan Imhof sei über das Kabinett des ehemaligen Staatssekretärs im Finanzministerium, Josef Ostermayer in die Verwaltung gekommen. Tatsächlich war Andreas Schieder Staatssekretär im Finanzministerium. Da Imhof zuvor im Britischen Finanzministerium tätig war, wurde auf die „österreichische“ Verwaltung präzisiert.