Wer Österreichs Bundespräsident wird, entscheidet sich am 9. Oktober – eine Stichwahl ist allerdings nicht ausgeschlossen.
Hofburg-Wahl

Die seltsame Wahl

Bizarre Fernsehdebatten, merkwürdige Kandidaten mit Hintergedanken, ein Amtsinhaber, der sich heraushält: Der Wahlkampf um die Hofburg geht in die Endphase.

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Im prächtigen Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse begeht man am vergangenen Donnerstag in einer großen Matinee den Geburtstag eines Bundeslandes: "100 Jahre Niederösterreich". Da wird die "blühende Kultur" gewürdigt, die "Erfolgsgeschichte" gepriesen, und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner freut sich: "Heute sind wir wer." Volksschulkinder kommen zu Wort, der Historiker Philipp Blom spricht, die Retterin des Wachauer Laberls ebenso. Und irgendwann, mittendrin, auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der nach einigem Sinnieren, dass seine Söhne an unterschiedlichen Enden der Donau leben, Niederösterreich als "Edelstein" ehrt.

Höflicher, aber nicht begeisterter Applaus. Es ist keine tiefschürfende Rede, wie sie Van der Bellen zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele hielt ("Wir sind nicht Putins Vasallen"), auch keine aufrüttelnde Ansprache wie zur Eröffnung der Salzburger Festspiele ("Es braucht grundlegendes Umdenken"), eine Wahlkampfrede schon gar nicht. Nach seinem Auftritt ist Van der Bellen stundenlang damit beschäftigt, ausländische Botschafter zu beglaubigen und den Besuch beim Queen-Begräbnis und bei der UN-Versammlung in New York (Hauptthema: Ukraine) vorzubereiten.

Das sind die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten. Für den Wahlkampf des Kandidaten Van der Bellen bleibt weniger Zeit als Kampagnenmanager Martin Radjaby manchmal lieb ist: "Der direkte Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern ist eine von Van der Bellens Stärken, vor allem das Zuhören. Als Amtsinhaber muss er auch seinen Verpflichtungen als Staatsoberhaupt nachkommen." Dennoch ist Radjaby überzeugt: "Van der Bellen wird gewinnen. Dass es dazu eine Stichwahl brauchen könnte, ist im Bereich des Möglichen."

In der Tat schwächelt Van der Bellen in der großen Umfrage, die "Unique research" für profil und die Tageszeitung "Heute" erstellt hat: Gegenüber der Erhebung im August verliert er satte sieben Prozentpunkte und kommt nur mehr auf 59 Prozent. Das ist immer noch eine deutliche Mehrheit und ein enormer Vorsprung vor allen Mitbewerbern (Gendern mangels Kandidatinnen überflüssig, siehe Kommentar von Irmgard Griss) - aber eine Stichwahl erscheint mittlerweile nicht mehr völlig ausgeschlossen.

Van der Bellens Wahlkampf in der Zwitterrolle

Martin Radjaby ist ein versierter Wahlkampfchef, dem 2016 das Kunststück gelang, einen ehemaligen Grün-Politiker in die Hofburg zu hieven. Entscheidend damals: die Heimat-Kampagne, viel Kaunertal inklusive. "Mit dem Begriff Heimat sorgten wir für Disruption und besetzten ein Feld des politischen Mitbewerbers. Dadurch wurde Van der Bellen für viele erst als Bundespräsident vorstellbar", erzählt Radjaby. Die Wahl als Titelverteidiger ist anders, der Gegenwind erheblich: enorme Politikverdrossenheit, abgesacktes Vertrauen in Institutionen, Corona-Zorn, Abstiegsängste, Inflation, Energiekrise, niedrige Wahlbeteiligung.

Die Zwitterrolle Bundespräsident-Wahlkämpfer fiel auch den Vorgängern Heinz Fischer und Thomas Klestil schwer. Auch deshalb wurde diskutiert, die Wiederwahl abzuschaffen-und dafür die Amtsperiode des Bundespräsidenten auf acht Jahre zu verlängern. Van der Bellen löst das Dilemma, indem er an Fernsehdiskussionen mit Mitbewerbern gar nicht erst teilnimmt. Verständlich, dass er sich nicht anrotzen lassen will. Weniger verständlich, dass er auch in den Jahren davor lieber Ansprachen hielt oder Videos, von Facebook bis Tik-Tok, produzierte, statt sich kritischen Fragen zu stellen. "In die Pressestunde kam Van der Bellen nie, Vorgänger Fischer durchaus", berichtet etwa ORF-Chefredakteur Matthias Schrom.

Seltsam, denn ansonsten hat Van der Bellen das Bundespräsidenten-Amt weiter entstaubt: Mit protokollarischem Brimborium hatte er wenig am Hut, ganz im Gegensatz zu Vorvorgänger Thomas Klestil. Die Kleiderordnung (wann ist ein Cut zu tragen?) war ihm herzlich egal. Van der Bellen absolvierte öffentliche Auftritte unprätentiös mit der ihm eigenen kultivierten Lässigkeit.

Und Auftritte gab es zuhauf, manchmal eingeleitet mit geschmunzeltem "Jetzt ist schon wieder etwas passiert". So viele "erste Male" wie Van der Bellen passierten keinem Bundespräsidenten: Es begann mit der aufgehobenen (VfGH-Klage) und verschobenen (schlechter Wahlkuvert-Kleber) Stichwahl. Seither ließ das Wundern, was alles möglich ist, nicht nach: Das erste Mal mit Innenminister Herbert Kickl ein Minister entlassen. Das erste Mal eine Bundesregierung via Misstrauensantrag im Parlament abgewählt. Das erste Mal regierte mit Brigitte Bierlein eine Frau im Kanzleramt. Das erste Mal setzte der Bundespräsident eine Übergangsregierung aus honorigen Experten ein. Das erste Mal musste er Mails beim Finanzminister eintreiben, weil dieser ein Verfassungsgerichtshof-Urteil ignorierte und die elektronischen Poststücke partout nicht an den U-Ausschuss liefern wollte. Nach diesen vielen "ersten Malen" war selbst hartnäckigen Zweiflern klar: Der Bundespräsident ist mehr als ein Ersatzkaiser, das Amt nicht unnötig.

Ein "erstes Mal" würde Van der Bellen wohl gerne auslassen: Bisher wurde jeder Bundespräsident, der zur Wiederwahl antrat, im ersten Wahlgang mit großer Mehrheit gewählt. Keiner musste in eine Stichwahl. Doch sechs Männer wollen für diese Premiere sorgen. Vier davon sind dem rechten Lager zuzurechnen, das überraschend viel Diversity bietet. Wer es freiheitlich mag, stimmt für den FPÖ-Kandidaten Walter Rosenkranz. Wer es freiheitlich mochte, Rosenkranz aber zu bieder findet, kann Gerald Grosz wählen. Hält man dessen Krakeelereien nur schwer aus, ist man bei Tassilo Wallentin besser aufgehoben. Es sei denn, man findet nach wie vor Corona am virulentesten, dann ist Michael Brunner die richtige Wahl. Alle vier wollen von Beginn an überaus aktive Bundespräsidenten sein - und nach der Angelobung die Regierung bald entlassen.

Rosenkranz und sein Zwischengalopp

Walter Rosenkranz, 60, hat die undankbarste Aufgabe-und am meisten zu verlieren. Der FPÖ-Kandidat kämpft simultan gegen Alexander Van der Bellen und seine drei Rechtsaußen-Mitbewerber. Laut profil-Umfrage liegt Rosenkranz mit 13 Prozent deutlich hinter Van der Bellen, aber nur knapp vor seinen Konkurrenten. Bringt der Wahlabend ein ähnliches Ergebnis, wäre es nicht nur für Rosenkranz eine Niederlage, sondern auch für die FPÖ. Wählerinnen und Wähler von Rosenkranz erhalten: Einen gelernten Strafverteidiger aus Krems, der Übeltäter aller Art vor Gericht verteidigte; einen Schöngeist, der klassische Gitarre studierte; einen Fechter, der in seiner Burschenschaft acht Mensuren ohne gröbere Gesichtsverletzungen (nur ein kleiner Ritzer an der linken Wange) absolvierte; einen historisch gebildeten Münzensammler, dessen wertvollstes Stück ein Goldgulden aus der Zeit des Habsburger-Kaisers Friedrich III. ist.

Walter Rosenkranz, Freiheiticher mit Hang zum Elitären

In der Zeit der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache war Rosenkranz FPÖ-Klubobmann und damit einer der Maschinisten von Türkis-Blau. Nach Ibiza und der Rückkehr in die Opposition war für ihn kein Platz mehr an der Klubspitze, dort wollte Herbert Kickl hin. Die FPÖ machte ihn zum Volksanwalt, ein ehrenvolles und wohldotiertes Ausgedinge für verdiente Mandatare.

Rosenkranz verkörpert den FPÖ-immanenten Gegensatz zwischen blauen Politikern und blauen Wählern. Er ist ein Jurist, der Latein und Hochdeutsch schätzt, einen Hang zum Elitären aufweist-aber die Partei des kleinen Mannes repräsentiert. Rosenkranz sieht keinen Widerspruch. Als Volksanwalt habe er sich hundertfach um die Anliegen einfacher Bürgerinnen und Bürger gekümmert. Das wird er nach der Wahl am 9. Oktober auch weiterhin tun können. Daher kann man Rosenkranz' Wahlkampf als Zwischengalopp interpretieren-der dazu etwas überraschend kam. Denn Herbert Kickl wollte zunächst die Abgeordnete Susanne Fürst ins Rennen schicken. Und Hoffnungen hatte der FPÖ-Obmann auch in Tassilo Wallentin gesetzt, mit dem er ernsthaft über eine Kandidatur verhandelte.

Wallentin, die ich-AG

Doch der 48-jährige Wiener Anwalt und Ex-"Krone"-Kolumnist winkte ab. Wallentin glaubt nicht an Gesinnungsgemeinschaften, er ist eine politische Ich-AG. Außer sich selbst-und vielleicht noch sein Vorbild Arnold Schwarzenegger-findet er keinen Kandidaten geeignet. Mit Schwarzenegger teilt er Selbstbewusstsein und Siegessicherheit. Wallentin glaubt ehrlich daran, Alexander Van der Bellen ablösen zu können. 120.000 Euro will er (mit anfänglicher Unterstützung von Frank Stronach) in seinen Wahlkampf investieren. In der Umfrage zur Bundespräsidentenwahl liegt er bei acht Prozent.

Muss jetzt mehr Medienkanäle nutzen: Tassilo Wallentin

Mittwoch vergangener Woche kommt Wallentin allein in das Puls-24-Studio, die Maske ist nach wenigen Minuten erledigt, während der ersten Werbepause wundert er sich, wie schnell so ein Interview vergehen kann. Ob ihm der Wahlkampf wirklich Spaß macht, scheint er selbst noch nicht ganz für sich entschieden zu haben. Erzielt er am 9. Oktober ein passables Ergebnis, ist es aber durchaus möglich, dass er weitermacht-und die nächste Nationalratswahl anvisiert. Aus der Ich-AG würde dann eine Ich-Liste. Frank Stronach zeigte es im Jahr 2013 vor und schaffte den Einzug ins Parlament, allerdings hatte er auch Millionen in sein Projekt gesteckt. Inhaltlich deckt sich Wallentin mit Rosenkranz: gegen "Massenmigration", "Gender-Gaga" und-natürlich-die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung.

Brunner nutzt die große Bühne

Das Pandemie-Management ist das einzig wahre Anliegen des Michael Brunner. Daher muss der Chef der Impfgegner-Partei MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) hoffen, dass bis zur Wahl auch das Virus und die Maßnahmen dagegen die öffentliche Debatte prägen, und nicht nur Ukraine-Krieg, Energiekrise und Teuerung. Der 62-jährige Rechtsanwalt mit Kanzlei in der Wiener Innenstadt weiß, dass er die große Bühne nutzen muss, die ihm die Bundespräsidentenwahl bietet: "Natürlich wird MFG durch meinen Antritt breit positioniert, das hat Auswirkungen auf die nächste Wahl."Etwas mehr Breite wäre aus der Sicht der MFG wohl wünschenswert. In der profil-Umfrage liegt Brunner derzeit bei nur zwei Prozent.

Michael Brunner kämpft gegen das Virus

In Oberösterreich schaffte seine Partei den Einzug in den Landtag, in Tirol wird es kommende Woche knapp. In nationalen Umfragen kommt die MFG derzeit auf fünf Prozent, im Frühjahr waren es schon acht gewesen. Dass er als Bundespräsident bei Auslandsreisen eine Corona-Impfung oder ein Testergebnis vorweisen müsste, glaubt Brunner nicht: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein anderes Staatsoberhaupt einen Besuch an solche Vorgaben knüpft."

Grosz, der Maulheld unter den Rechtskandidaten

Gerald Grosz, 45, hätte dieses Problem nicht. Er ist dreifach geimpft. Allerdings weiß er heute, dass die Spritzen für "Arsch und Friedrich" waren. Impfen ließ er sich aus einem "Unsicherheitsgefühl" heraus und weil seine Eltern über 80 Jahre alt sind. Grosz ist ein Rechtsphänomen. Auf seinen Social-Media-Kanälen erreicht er 750.000 Fans. Er hat einen Bestseller ("Freiheit ohne Wenn und Aber") geschrieben und nimmt regelmäßig an Krawalldiskussionen auf oe24.at teil. "Ich bin im Ausdruck radikal, nicht in den Ansichten", sagt er.

Gerald Grosz hat den dichtesten Terminkalender

Hätte Jörg Haider 2005 nicht das BZÖ von der FPÖ abgetrennt, wäre Grosz heute noch immer blauer Berufspolitiker. Für das BZÖ saß der Steirer von 2008 bis 2013 im Nationalrat. Heute ist er froh über seine Unabhängigkeit. Einzige Erinnerung an seine frühere Karriere ist die Jörg-Haider-Gesellschaft, deren Vizepräsident Grosz ist und deren einzige Aktivität darin bestand, die Jörg-Haider-Medaille zu vergeben. Einer der Träger ist Heinz-Christian Strache. Von allen Kandidaten hat Grosz den dichtesten Terminkalender. Er nennt es "Ranger-Wahlkampf". "Ich tauche einfach auf", sagt Grosz. Das tut er beim "Aufsteirern" in Graz, beim Rupertikirtag in Salzburg, beim Oktoberfest in Hintertux. Nach der Wahl am 9. Oktober will er keine eigene Partei gründen, um die nächsten Nationalratswahlen anzusteuern. Begründung: Als Staatsoberhaupt sei ihm das nicht möglich. Grosz ist der Maulheld unter den Rechtskandidaten. Im Gegensatz zu Brunner verfügt Grosz über einige Prominenz, in der profil-Umfrage liegt er bei neun Prozent. Beim letztwöchigen Treffen mit profil in einem Innenstadt-Café wird er vom Geschäftsführer spontan eingeladen.

Alle vier Rechtskandidaten wollen Alexander Van der Bellen besiegen, behindern einander dabei aber gegenseitig. Zusammen kommen sie derzeit auf 30 Prozent. Das bedeutet: Ohne tatkräftige Unterstützung der linken Kandidaten Heinrich Staudinger und Dominik Wlazny wird es den Herren Rosenkranz, Grosz, Wallentin und Brunner nicht gelingen, Alexander Van der Bellen in eine Stichwahl zu zwingen.

Staudinger: Ein Original, aber nicht für die Hofburg

Heinrich ("Heini") Staudinger will Stimme für "Mutter Erde" sein, weil wir "selbst Natur sind".Er zitiert im profil-Gespräch den Spruch der amerikanischen Ureinwohner, wonach wir bald "erkennen werden, dass man Geld nicht essen kann", und stimmt John Lennons "Imagine" an. Er sieht Angst als das "größte Gift" für die Immunabwehr, lehnt die Corona-Impfung als 69-Jähriger weiterhin dankend ab und nennt MFG-Chef Michael Brunner in der Sache "unglaublich kompetent".

Was Heinrich Staudinger predigt, lebt er

Der Unternehmer Staudinger, Gründer der "Waldviertler"-Schuhmanufaktur GEA, selbst erklärter "Christmensch und Kommunist", kommt in der profil-Umfrage auf lediglich zwei Prozent der Wählerstimmen. Er will "Frieden schaffen ohne Waffen" und lehnt die Sanktionen gegen Russland ("eine Form der Kriegsbeteiligung")sowie Waffenlieferungen an die Ukraine("völlig pervers") kategorisch ab. Menschen, die sich aus Protest gegen den Klimawandel auf der Straße ankleben und den Verkehr damit lahmlegen, findet er "wunderbar", denn "wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht".

Und dennoch: Alles, was Staudinger predigt, lebt er. Seit 40 Jahren zeigt er in der Waldviertler Gemeinde Schrems vor, wie er sich die Welt wünscht: mit Schuhen aus der Region statt aus China; mit Jobs für Dorfbewohner und afghanische Flüchtlinge; mit der Rettung des Dorfwirten, damit "die letzten sozialen Wärmestuben" nicht verloren gehen. Von den paar Tausend Touristen, die jährlich nach Schrems kommen, taucht der Großteil in Staudingers Dorfwelt ein. Diese mag im Weltmaßstab eine Illusion sein. Eine kleine, treue Fangemeinde hat sie ihm jedoch beschert. Die 6000 Unterstützungserklärungen hatte er rasch zusammen-auch ohne Social Media, Zeitungskolumne oder Impfgegner-Partei. "Clemens, ich geh schiffen", unterbricht er das Gespräch. Den Nachnamen musste man beim Eingang abgeben. So lautet seine Hausregel. In der Hofburg würde das Waldviertler Original kaum glücklich werden.

Wlazny, der Weltverbesserer

Auch Dominik Wlazny, 35, würde dort wohl fremdeln. Den jüngsten Bewerber um das höchste Amt im Staat zu beschreiben, geht fast nicht ohne "eigentlich". Er ist Mediziner, Punkrocker, Gründer und Chef der Bierpartei, und in dieser Zusammensetzung so etwas wie die heimische Variante des deutschen Spaßmachers, Journalisten und Politikers Martin Sonneborn, aber-eigentlich-angespornt vom urpolitischen Impuls, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern.

Das lässt er als Kandidat immer wieder durchblicken. Die Ambition, Alexander Van der Bellen in der Hofburg nachzufolgen, kann nicht ganz ernst gemeint sein. Eigentlich. Doch Vorwürfe, es gehe ihm bloß darum, seine Biermarke, seine Musik, sich selbst-etwa als Kandidat für eine kommende Nationalratswahl-zu promoten, weist Wlazny zurück, zuletzt im Puls-24-Studio bei Corinna Milborn mit der nicht unoriginellen Begründung, das "Ansinnen, Bundespräsident zu werden", sei seinem Image als Punkrocker nicht gerade zuträglich. Im Gegenteil.

Dominik Wlazny ließ 27 Plakate drucken

Der Wahlkämpfer mit den langen, seitlich gescheitelten Haaren will seit dem 24. Februar, als "vor unserer Haustür" der Krieg losbrach, den starken Wunsch verspüren, einen "Beitrag zur Bewältigung der vielen aktuellen Krisen zu leisten". Natürlich wird er regelmäßig gefragt, was ihn dazu befähige: Er habe viel erlebt, als Turnusarzt, der im Spital bis zu 100 Stunden in der Woche gearbeitet habe, in der Impfstraße, als Musiker, das seien in Ermangelung eines Studienfachs Bundespräsident - so Wlazny sinngemäß - respektable "Assets".

Laut Umfrage könnte er auf sieben Prozent kommen. Er wäre nicht nur der jüngste Bundespräsident der Geschichte, sondern auch der jüngstmögliche, solange das Mindestalter für das Amt nicht gesenkt wird. Bei der Wien-Wahl 2020 errang seine Bierpartei elf Mandate, "Marco Pogo", wie Wlazny sich als Musiker nennt, wurde Bezirksrat in Wien-Simmering. Nun, zwei Jahre später, schreibt er auf 27 Plakate, die neun Dreieckständer entlang der Wiener Mariahilfer Straße füllen, was ihm wichtig ist: "Frauen arbeiten jedes 8. Jahr gratis", steht auf einem. "350.000 Kinder in Österreich sind armutsgefährdet" auf einem anderen.

Wlaznys Agenda würde auch Van der Bellen nicht missfallen: Klimaschutz, Zusammenhalt, Korruptionsbekämpfung. Außerdem ist Wlazny dafür, Russland mit Sanktionen in die Knie zu zwingen. Die Neutralität findet er "grundsätzlich gut", plädiert jedoch für eine "offene sicherheitspolitische Debatte". Er würde weder Herbert Kickl noch ÖVP-Innenminister Gerhard Karner angeloben. Er hält große Stücke auf die Wissenschaft und daher auf das Impfen. Was er nicht glaubt: dass alle Menschen für alle hohen Ämter taugen. Anwärter auf Ministerposten würde er gern per Eignungstest "vorher abklopfen" lassen.

Van der Bellens sechs Herausforderer haben ziemlich konkrete Vorstellungen, wie sie Österreich ändern wollen, obwohl weder das Corona-Krisenmanagement noch die Armutsbekämpfung und auch nicht die EU-Außenpolitik in den Kompetenzbereich des Bundespräsidenten fallen. Von Van der Bellen ist im Wahlkampf so gar nichts Konkretes zu vernehmen. Ginge es nach ihm, er würde nach dem 9. Oktober - unter Bedachtnahme auf die schöne Bundesverfassung-in aller Ruhe so weitermachen wie bisher.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

war von 1998 bis 2024 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.