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Die SPÖ und die Neutralität? Widerlich!

Pamela Rendi-Wagner wirbt nach dem Überfall Russland auf die Ukraine für eine neutrale Position Österreichs. Echt jetzt?

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Guten Morgen!

Ich muss Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, zunächst gestehen, dass ich diesen Text nicht zu nachtschlafender Zeit geschrieben habe, sodass er Ihnen – um ein veraltetes Wort zu verwenden – druckfrisch um sechs Uhr morgens geliefert würde. Vielmehr setzte ich mich gestern, Montag, um 16.00 Uhr an den Laptop, um zu schreiben; ich hätte die Zeilen allenfalls nachts ajouriert, was angesichts der sich überstürzenden Ereignisse in der Ukraine notwendig hätte werden können. Um 16.00 Uhr also warf ich auf der Suche nach einer Inspiration für diesen Text einen Blick in die Sozialen Medien. Und da wurde ich fündig, und ich wurde das, was man als Journalist möglichst selten werden sollte. Ich wurde emotional und ärgerlich. Auf Instagram nämlich war mir ein Beitrag von „rendi_wagner und spoe_at“, also vom offiziellen Account der SPÖ-Vorsitzenden eingespielt worden. Dieser lautete und lautet folgendermaßen: „Die Neutralität stärkt Österreichs Sicherheit seit 67 Jahren. Diese jetzt abzuqualifizieren, wäre völlig falsch. Unsere Neutralität ist jetzt wertvoller denn je und mit der SPÖ nicht verhandelbar. – Dr.in Pamela Rendi-Wagner“

Politisches Kalkül oder Feigheit

Diese Aussage ist unerträglich. Sie ist entweder getragen von parteipolitischem Kalkül, also vom Wunsch, aus dem Leiden der Ukrainer und der Bedrohung der ganzen Welt Vorteile für die SPÖ und damit für deren Vorsitzende zu ziehen. Oder ist getragen von Angst und Panik, weil das russische Außenministerium am Samstag „ernsthafte Zweifel an der Qualität der in der letzten Zeit merklich sinkenden und erodierenden Wiener Neutralität“ geäußert hatte, weil aus Moskau dem „scheinbar neutralen Österreich“ unverhohlen gedroht worden war. Im ersten Fall ist Rendi-Wagners Aussage eine Sauerei, wie sie sonst nur von Herbert Kickl zu erwarten ist. Der zweite Fall würde die Urheberin wegen Feigheit als Spitzenpolitikerin disqualifizieren.

Was bitte, Frau Rendi-Wagner, soll es bedeuten, wenn Sie schreiben: „Unsere Neutralität ist jetzt wertvoller denn je“? Es kann nur das bedeuten – es kann sowohl bei der breiten Masse der österreichischen Bevölkerung wie bei den Eliten des Landes nur so ankommen: Die SPÖ verlangt, dass Österreich sich aus dem Krieg der Waffen in der Ukraine und dem Krieg der Worte zwischen Russland und fast der ganzen Welt möglichst heraushält, dass Österreich sich soweit wie möglich neutral verhält. Das wäre nämlich „wertvoll“, weil wir, die Österreicherinnen und Österreicher, dann vielleicht glimpflich davonkämen, verschont von Herrn Putin würden, weniger beschadet als all die anderen Staaten, deren „Sicherheit“ nicht durch eine „Neutralität gestärkt“ ist, all jene, die sich jetzt eindeutig und wehrhaft positionieren.

Rendi-Wagner, die Diplomatin und Vermittlerin

Sich positionieren? Genau das vermeidet Frau Rendi-Wagner in jenem Instagram-Text, der ihren einleitenden Sätzen folgt. In diesem Post kommen die Worte „Ukraine“ oder „Russland“ oder „Putin“ nämlich gar nicht vor. Dort wird nicht konkret verurteilt, was derzeit konkret passiert. Vielmehr heißt es in unerträglichen Wortgirlanden: „Eine engagierte Neutralität bedeutet, klar Stellung zu beziehen, wenn Menschenrechte verletzt werden und Völkerrecht gebrochen werden.“ „Wenn“? Ein konditionaler Nebensatz in der zweiten Woche des Überfalls auf die Ukraine? Weiter geht es in dem Post dann so: „Es heißt auch, sich aktiv für Frieden, Diplomatie und Vermittlungen einzusetzen.“ Österreich soll also als neutraler Schiedsrichter zwischen Russland und der Ukraine „aktiv diplomatisch vermitteln“? Echt jetzt? Und falls irgendjemand noch immer nicht sicher ist, ob die ehemals stolze SPÖ da wirklich versucht, an den Opportunismus potenzieller Wählerinnen und Wähler zu appellieren, auch dieser Rendi-Wagner-Satz: „Neutralität stellt sicher, dass Österreich von militärischen Bündnissen nicht gezwungen werden kann, Position einzunehmen …“ Muss im Umkehrschluss heißen: Österreich soll bei dem Überfalls Russlands auf die Ukraine keine Position einnehmen, soll sich nicht einmal mit Worten an die Seite der westlichen Verteidigungsgemeinschaft stellen.


Liebe Leserinnen und Leser: Ich persönlich war Zeit meines Journalistenlebens der Meinung, dass die österreichische Neutralität hohl ist und ein Zeichen von Feigheit, dass wir der NATO beitreten sollten. Aber völlig unabhängig davon, und auch wenn Sie die Neutralität hoch schätzen: Die Art und Weise, wie Pamela Rendi-Wagner, wie die SPÖ die Neutralität zu diesem Zeitpunkt begründen, ist einfach widerlich.


Ihr
Christian Rainer
Herausgeber und Chefredakteur

 

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.