Die Tricks der Islamisten: So radikalisieren sie Junge im Netz
14,17 und 20 Jahre: So jung sind die Burschen, die in Verdacht stehen, einen Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade geplant zu haben. Der 14-Jährige bestritt in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung ernste Absichten. Als “gläubiger Moslem” ohne radikale Tendenzen und Sympathien für den IS habe er sich gegenüber den Ermittlern bezeichnet. Was er über Religion weiß, habe er auf Youtube und TikTok gelernt.
Radikalisierungsexperten betonen, dass soziale Medien wie TikTok, Youtube oder Twitch eine zentrale Rolle dabei spielen, wie junge Menschen radikalisiert werden. Denn internationale Terrororganisationen wie der IS sind stark geschwächt, die Islamisten operieren zerstreut und sind daher besonders auf das Internet als Rekrutierungsinstrument angewiesen. Dabei setzen die islamistischen Influencer auf fünf einfache, aber effektive Tricks, um ihre Opfer zu ködern.
1. Hobbys und Humor
Radikalisierung bei jungen Menschen beginnt dort, wo sie sich aufhalten - und das sind bei unter 30-Jährigen die sozialen Medien. Die gefährlichsten Akteure findet man in geschlossenen Gruppen, etwa auf Telegram. Der Einstieg erfolgt meist über öffentliche Kanäle, die auf den ersten Blick harmlos wirken.
Zwar wird auf den bekannten und öffentlich zugänglichen Kanälen von drastischen Formulierungen abgesehen, radikal-islamistische Erzählungen finden sich aber auch auf deutschsprachigen Accounts mit mehreren 100.000 Followern. “Extremistische Bewegungen wenden sich derzeit verstärkt an junge Menschen, da sie diese als strategisch wichtige Zielgruppe identifiziert haben”, sagt Autorin und Extremismusforscherin Julia Ebner, die am Institute for Strategic Dialogue in London forscht . Die Propaganda und Rekrutierung von extremistischen Bewegungen greife verstärkt auf Popkultur-Referenzen und Memes zurück.
“Extremistische Bewegungen wenden sich derzeit verstärkt an junge Menschen, da sie diese als strategisch wichtige Zielgruppe identifiziert haben.”
Julia Ebner, Autorin und Forscherin am Institute for Strategic Dialogue in London
Auf TikTok, Youtube und anderen Plattformen imitieren sogenannte “Influencer-Preacher” jene Formate, die auch im Mainstream trenden. Einer dieser Prediger wurde bereits vom deutschen Verfassungsschutz überwacht - profil verzichtet auf eine Namensnennung, um den Account nicht zu bewerben. Auf TikTok inszeniert sich der Influencer lockerlässig in professionellen Videos mit bunten Grafiken und schnellen Schnitten. Er verrät nicht nur, ob er lieber Pizza oder Döner isst oder ob es seiner Meinung nach Aliens gibt; sondern eben auch, ob es erlaubt ist, als Muslim christliche Freunde zu haben. Antwort: Christliche Arbeitskollegen sind okay, zu eng sollte man sich mit ihnen aber nicht anfreunden. Die Idee dahinter: Bei solchen Praxisbeispielen finden Jugendliche schneller Anschluss als bei theoretischen Koran-Abhandlungen.
2. Du gehörst zu uns
Diskriminierung gehört für viele Muslime zum Alltag. Ein Mädchen wird vor der ganzen Klasse von ihrer Lehrerin gebeten, ihr Kopftuch abzunehmen. Sie fühlt sich ausgegrenzt, in ihrer Identität nicht ernst genommen. Diese Situation bekam Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus in Wien, in ihrer Arbeit mit Jugendlichen erzählt. Nach einer solchen Diskriminierungserfahrung sind Jugendliche besonders empfänglich für das Extreme. Es sei dann besonders attraktiv, wenn sie von den Islamisten vermittelt bekommen: “Genau so wie du bist, bist du toll.”
“Der Radikalisierungsprozess ist in den allermeisten Fällen ein Gruppenprozess.”
Auf gewissen Accounts werden bewusst Identitätskonflikte ausgenutzt. Vorhandene Diskriminierung wird umgewandelt in: “Die Gesellschaft wird dich nie akzeptieren.” Die Influencer eines TikTok-Accounts mit etwa 94.000 Followern betiteln ihre Videos zum Beispiel mit “Angriff mit Armbrust auf Muslim”, “14-jähriger Muslim stirbt nach Würgegriff durch einen Mobber in der Schule” und “Rauswurf aus der Uni wegen Kopftuch”. Die Protagonisten der Videos inszenieren Muslime als Opfer der Mehrheitsgesellschaft. Aus “Du gehörst zu uns” wird schnell ein “Wir gegen die anderen”.
Daniele Pisoiu, Extremismusforscherin am Österreichischen Institut für Internationale Politik, weiß: “Der Radikalisierungsprozess ist in den allermeisten Fällen ein Gruppenprozess.” Online-Radikalisierung funktioniere “schneller” und “intensiver”. Die ideologische Indoktrinierung, so Julia Ebner, ist hier zweitrangig: “An erster Stelle stehen Sozialisierungsprozesse, bei denen neue Mitglieder Teil einer exklusiven Gruppenidentität werden.”
Gruppenbezogener, antimuslimischer Rassismus kann also dazu führen, dass Jugendliche in die Fänge der islamistischen Extremisten getrieben werden.
3. Wir geben dir Orientierung
Was darf ich als Muslim? Selbstbewusste, meist männliche Influencer bieten vermeintlich einfache Antworten auf alle Fragen des Lebens. In Phasen, in denen Jugendliche ihre eigene Identität suchen, geben ihnen Influencer im Internet Perspektive und Orientierung. Noch dazu, sagt Verena Fabris, werde Jugendlichen vermittelt, selbstwirksam sein zu können. Follower werden miteinbezogen, sollen Fragen in den Kommentaren beantworten. “Der Islam wird siegen! - Dein Beitrag?”, fordert ein TikToker seine Anhänger zum Mitdiskutieren auf.
Aber auch zu Demonstrationen wird direkt aufgerufen. Ein Beispiel: Wie die Dokumentationsstelle politischer Islam herausfand, inszeniert sich ein TikTok-Account mit etwa 94.000 Followern über die sozialen Netzwerke hinaus immer wieder bei “martialisch anmutenden Demonstrationen als kämpferische Gruppierung”. Bei Protesten der Gruppe im Februar 2023 in Hamburg war unter anderem eine strikte Geschlechtertrennung auffällig. Bei bisherigen Kundgebungen sei es zu verharmlosenden Vergleichen mit nationalsozialistischen Verbrechen gekommen. Die Anzahl der Follower dieses TikTok-Accounts hat sich von Februar zu Juni fast verdreifacht. Über vergleichbare Demos in Österreich weiß man bei der Dokustelle allerdings nichts.
4. Influencer als Idole
Trendige Musik, bunter Hintergrund, direkte Ansprache an die Zuschauer vor dem Handy-Bildschirm: Auf islamistischen Kanälen im Internet scheint es nicht nur üblich zu sein, Videos im Stil bekannter Influencer zu imitieren. Auch populäre Influencer selbst kommen immer wieder zu Wort. So etwa ein Rapper, der seine Rap-Karriere aufgab, weil er sich nur mehr dem Islam widmen wollte. „Ich hab’ so viel, ich hab’ so viele Frauen, ich hab’ so viel Geld, ich hab’ so viel Autos, aber ich bin nicht glücklich. Wenn du das mal selbst hast, merkst du: Das ist nicht alles. Die Seele will den Islam“, beteuert er in einem Kurz-Video auf TikTok.
Ein von der Dokumentationsstelle politischer Islam als islamistisch eingestufter TikTok-Account teilte ein Video des umstrittenen Influencers Andrew Tate. Der Content Creator ist nicht nur für seine frauenfeindlichen Aussagen bekannt, diese Woche wurde er wegen Menschenhandels und Vergewaltigung angeklagt. In einem Podcast-Ausschnitt erzählt er, warum er zum Islam konvertierte. Bekannte Namen bringen mehr Reichweite, Influencer fungieren als Idole: Die typischen Social Media-Mechanismen funktionieren eben auch im politischen Islam.
5. Gegen das System
Der Clip ist nur 23 Sekunden lang und hat mehr Bedeutung, als es auf den ersten Blick scheint: Ein junger Mann mit Bart, weißem Gewand und Turban, ein sogenannter “Influencer-Preacher” schaut in die Kamera. Im Hintergrund sind Soldaten eingeblendet. “Darf man zur Bundeswehr?”, fragt ihn eine Stimme aus dem Off. Leicht gelangweilt, vielleicht betont cool, antwortet er, dass es nicht erlaubt sei, als Muslim zur Bundeswehr zu gehen. Die Begründung: “Es ist nicht erlaubt, für einen Staat zur Waffe zu greifen und gegebenenfalls zu kämpfen und zu töten, wenn dieser nicht den islamischen Richtlinien und Intuitionen (Er meint wohl Institutionen, Anm.) untersteht oder diese nicht befürwortet oder diese nicht verteidigt.” Ein User bestärkt ihn per Kommentar: “Ich würde niemals für eine Regierung kämpfen.” Mehr als 100.000 Mal wurde das Video auf TikTok angeschaut. Dem Account des Predigers folgen mehr als 300.000 User. Darunter wohl auch einige österreichische Jugendliche.
Ein Sinnbild dessen, wie die Islamisten über Staat und Medien denken. Denn laut ihrer Erzählung sei dem Islam alles unterstellt, auch die Demokratie. Die westlichen Gesellschaften bezeichnen sie als "Werte-Diktatur", in der die muslimische Religion keinen Platz hätte. Die radikalen Prediger malen ein düsteres Bild: Der Westen bedrohe die Muslime, man müsse sich wehren. Öffentlich-rechtlichen Medien könne man ohnehin nicht vertrauen, sie würden eine klare anti-muslimische Agenda verfolgen.
Die Anschlagspläne gegen die Pride passen ins ideologische Konzept, sind doch auch homosexuelle und transidente Personen beliebte Feindbilder: “Anti-LGBTQ Hass und Gewalt werden immer mehr zum Hauptfokus für extremistische Bewegungen in islamistischen, rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Kreisen”, sagt Extremismusexpertin Ebner.
Ein gemeinsames Feindbild wirkt verbindend, das wissen auch Rechtsextremisten.