WHO-Diktatur, Bevölkerungsaustausch, Freimaurer: Die Verschwörungsmythen der FPÖ
Die Welt ist ein Ort zum Fürchten - und zwar nicht nur wegen Kriegen, Krisen und Inflation. Laut der Doktrin der blauen Blase stehen Deutschland, Europa und die ganze Welt auf der Kippe - gelenkt von der WHO, dem Weltwirtschaftsforum und den Freimaurern, die im Verborgenen an einem „Great Reset“, an einem Bevölkerungsaustausch und an der Unterwanderung der Gesellschaft arbeiten. So die Erzählungen populärer Verschwörungsmythen.
„Gegen das System“
„Für Verschwörungsmythen gibt es seit der Corona-Pandemie ein neues Zielpublikum für rechtspopulistische Parteien“, sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner im Gespräch mit profil. Parteien wie die FPÖ haben sich eine Monopolstellung in Sachen Gegenpol zum Status quo aufgebaut. Denn aktuelle Verschwörungsmythen, die von rechtspopulistischen Parteien bedient werden, haben einen gemeinsamen Nenner: Sie wenden sich gegen ein sogenanntes System, das sich angeblich gegen die Interessen der Mehrheitsbevölkerung richtet. Die Politik, die Wirtschaft und die Wissenschaft - alle stecken unter einer Decke, sind ein Marionettentheater und müssen ausgetauscht werden. Dazu gehöre es, ein alternatives Narrativ aufzustellen, das sich aus Falschinformationen oder Verschwörungsideen speist. Egal ob es um Migration, Covid, Klimawandel, Russland und den Angriffskrieg in der Ukraine geht.
Der Kampf gegen ein vermeintliches System, das die Menschen manipuliere und verrate, erzeuge auch ein „starkes Zusammengehörigkeitsgefühl“, meint die Forscherin, die in London und Oxford zum Thema forscht. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl setzt auf diese Strategie, er will seinen Anhängern das Gefühl geben, sie seien die einzigen, die die Wahrheit sehen würden. Das wird von seinen Fans mit Treue belohnt - und da gehe es nicht nur um das Wahlverhalten, meint die Extremismusforscherin, sondern auch um die Kampagnen, die die FPÖ fahre, oder wie bei Postings von Herbert Kickl kommentiert werde. „Dieses Feindbild von außen macht etwas mit einer Innengruppe“, sagt Ebner.
„Der große Austausch“
„Politik ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Ebner. So haben sich die deutsche AfD und die FPÖ in den letzten Jahren dem ganz rechten Rand angenähert. Das heißt: Verschwörungserzählungen, die zuvor nur in kleinen, radikalisierten Kreisen diskutiert wurden, sind heute in Rechtsparteien mehrheitstauglich. Als Beispiel nennt sie die Mär vom Bevölkerungsaustausch, also die Erzählung, dass es in westlichen Staaten bald mehr Menschen mit Migrationshintergrund geben soll, als ohne. Erst 2022 setzte die Freiheitliche Jugend Oberösterreich eine Website auf, um zu berechnen, ab wann es in Österreich zu einem „Kipppunkt“ kommen könnte. Ein Faktencheck des profil kam schon damals zu dem Schluss, dass die Berechnung „irreführend“ und laut Fachleuten auch höchst problematisch seien. Die Prognose weist zahlreiche Mängel auf - von mangelhaft angewandter Methodik bis zu falsch getroffenen Annahmen. Zudem sei die Annahme, ein Migrationshintergrund würde sich ewig weiter vererben, „realitätsfern und sinnlos“. Die Website ist bis heute online.
„Der große Neustart“
Der Dauerbrenner unter den rechten Verschwörungsmythen vereint den Hass auf Globalisierung, Eliten und eine angeblich geheime Weltregierung und ist als „The Great Reset“ bekannt. Das Gesicht dieser vermeintlichen Verschwörung - und erklärtes Feindbild der FPÖ: Der Deutsche Klaus Schwab, Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums (WEF), das jährlich zu einer mehrtägigen Konferenz in die Schweizer Gemeinde Davos lädt. Schwab wird als Strippenzieher einer globalen Elite (Zitat Kickl: „Man sieht, wo die Radikalität beheimatet ist“) gesehen, der von einer „neuen Normalität“ und einem „neuen Menschen“ träume. Als Schwab während der Corona-Pandemie einen Initative unter dem Namen „Great Reset“ veröffentlichte, war das für viele Rechte ein gefundenes Fressen: Denn laut FPÖ plane das WEF massive Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte. Trotz fehlender Nachweise floriert der Mythos bis heute. Bereits letztes Jahr erklärte die Direkten für Staatsschutz und Nachrichtendienste den „Großen Neustart“ zu einem „Dauerbrenner“ unter den Verschwörungsmythen.
„Gerade zu Krisenzeiten sind Verschwörungsmythen besonders erfolgreich“, sagt Ebner und manchmal komme eine neue Dimensionen dazu, die bereits auf alten Verschwörungsideen aufbaue. Das Problem sei, so Ebner, dass Menschen, die bereits an eine Verschwörung glauben würden, schneller anfällig für andere seien - egal ob es sich um die Mondlandung, den Tod von Prinzessin Diana, 9/11 oder eben Impfungen handle.
Zuletzt hatte sich die FPÖ auch auf Vereinten Nationen, allen voran die Weltgesundheitsorganisation, eingeschossen. Erst Mitte Jänner dieses Jahres wetterte FPÖ-Chef Kickl im Rahmen einer Buchpräsentation („Die gestohlene Normalität“), dass es der WHO „in Wahrheit“ nur darum gehe, „unter dem Deckmantel des Gesundheitsschutzes ihre Pläne von einem ‘neuen Menschen’ umsetzen zu wollen.“ Stein des Anstoßes ist der sogenannte Pandemievertrag, der gerade verhandelt wird und vorsieht, die 194 WHO-Mitgliedsstaaten in Zukunft besser auf Pandemien vorzubereiten. Bereits letztes Jahr hatte die FPÖ zu einem Kongress geladen. Titel der Veranstaltung in Hall in Tirol: „WHO und EU: Auf dem Weg zur Gesundheitsdiktatur?“ Initiator: FPÖ-Mann Gerald Hauser, der sich auch für das jüngst veröffentlichte Buch verantwortlich zeigte. Seine bisherigen Veröffentlichungen tragen Namen wie „Raus aus dem Coronachaos“ und „Und die Schwurbler hatten doch recht“. Geplant ist beim Pandemievertrag ein besseres globales Frühwarnsystem und der Austausch von Gesundheitsdaten - zudem soll es im Falle einer Pandemie zu einer gerechteren Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten kommen. Inwieweit der Pandemievertrag überhaupt rechtlich bindend wird, ist noch offen.
„Reduzierung von Komplexität“
Auch ein anderes altes Gespenst geht aktuell wieder um: Die FPÖ hat es sich zum Ziel gesetzt, in der Politik und der Justiz Freimaurer aufzuspüren. In zwei parlamentarischen Anfragen vom vergangenen Dezember fragt FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sowohl bei ÖVP-Innenminister Gerhard Karner als auch bei Grünen-Justizministerin Alma Zadić nach, wie viele Mitarbeiter:innen ihrer Ressorts bzw. Kabinette Freimaurer seien. Das Spiel ist nicht neu: Bereits der ehemalige FPÖ- und BZÖ-Politiker Ewald Stadler hielt einst stundenlange Vorträge, wie sich Freimaurer im Bankensektor eingenistet hätten. Jüngst dozierte FPÖ-Urgestein Johannes Hübner, heute Präsident der Freiheitlichen Akademie Wien (FAW) über angebliche „Mächte hinter den Kulissen der Politik“ (profil berichtete). Bei Verschwörungsmythen geht es um die „Reduzierung von Komplexität“, sagt der Innsbrucker Historiker und Autor Helmut Reinalter („Die Weltverschwörer“) im Gespräch mit profil. Rechtspopulisten und Rechtsextreme versuchen, komplexe Zusammenhänge als vereinfachtes Muster der Wirklichkeit wiederzugeben. Zurück gehe die Vorstellung, Juden und Freimaurer würden Weltpolitik betreiben, so der Historiker, auf das 19. Jahrhundert und wurde nicht nur von den Nationalsozialisten aufgewärmt. Heißt: Freimaurer würden über ihre Macht die Politik beeinflussen, Fäden ziehen, Komplotte gestalten und die Weltherrschaft anstreben.
Was hilft gegen Verschwörungserzählungen?
Redet man mit den Expert:innen, dann sind Menschen aus allen Schichten und Bildungsgraden gleichermaßen anfällig, in den Teufelskreis von Desinformation zu geraten. Die gute Nachricht, so Extremismusforscherin Ebner, sei aber, dass Schulen und Ausbildungsinstitutionen heute vermehrt auf Aufklärung setzen und sich ansehen würden, wie zum Beispiel Manipulation und Desinformation in den sozialen Medien, wie das alternative Mediensystem funktioniere.
Während sich Parteien wie die FPÖ oder die AfD darauf verständigen, sich als „Volksparteien“ zu inszenieren und für „das Volk“ zu sprechen, ist aktuell ein Shift wahrzunehmen. Denn gegen die breite Radikalisierung, die sich seit Covid formiert hat, gibt es jetzt immer mehr Menschen, die es nicht zulassen wollen, dass sich Verschwörungserzählungen in den Parlamenten und in der Politik ausbreiten, so Extremismusexpertin Ebner. Jüngstes Beispiel: Die Massenproteste in Deutschland und Österreich gegen die „Remigrations“-Phantasien rechter Agitatoren. „Den rechten Parteien ist das ein Dorn im Auge“, sagt Julia Ebner. Denn die Proteste zerstören das Narrativ, dass Parteien wie die AfD und die FPÖ die Fürsprecher des Volkes und der schweigenden Masse seien.
Wohin die Hyperpolarisiering der Gesellschaft führen kann, konnte man unter der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA zu studieren. Die beiden Seiten konnten sich selbst bei einfachsten Fragen nicht einmal mehr auf eine gemeinsame Wahrheit einigen. In dieser Situation gebe es wenige Auswege für einen zivilisierten Dialog, sagt Ebner noch: „Für die Demokratie ist das sehr gefährlich.“