Dollfuß bleibt Ehrenbürger in niederösterreichischer Gemeinde
Im niederösterreichischen Mostviertel gibt es bis heute einen latenten Hype um Engelbert Dollfuß - der Österreich in der Zwischenkriegszeit in eine Diktatur führte. In der Gemeinde Steinakirchen am Forst ist Dollfuß bis heute Ehrenbürger.
Eine Frau, die erst kürzlich in den 2325-Einwohner-Ort zog, fand diese Huldigung befremdlich. Im Dezember 2022 schrieb sie ein langes Mail an den Bürgermeister, mit der Bitte, die Ehrenbürgerschaft für Dollfuß abzuerkennen. Das Mail liegt profil vor. Als Begründung führte sie an: Dollfuß “hat Österreich autoritär-diktatorisch geführt, Oppositionsparteien verboten, politische Gegner:innen hinrichten lassen”.
Für die Ära Dollfuß gibt es unter Historikern verschiedene Bezeichnungen. Linke bezeichnen die Zeit als „Austrofaschismus“, Konservative als „Ständestaat“ - das Haus der Geschichte in Wien wählt den Begriff “Kanzlerdiktatur”. Unstrittig ist jedenfalls, dass Dollfuß im Jahr 1933 das Parlament ausschalten ließ. Und dass deshalb immer mehr Gemeinden ihm die Ehrenbürgerschaft aberkennen.
Anders in Steinakirchen am Forst.
Der Brief der zugezogenen Bürgerin hatte zur Folge, dass der Bürgermeister das Thema auf die Tagesordnung der Gemeinderatssitzung am vergangenen Donnerstag setzen ließ. Allerdings nicht im Sinne der Bewohnerin: “Der Gemeinderat möge aus Mangel einer Rechtsgrundlage die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft von Dr. Engelbert Dollfuß nicht in die Wege leiten und gleichzeitig beschließen, dass die Originalurkunde dem Haus der Geschichte in St. Pölten zur geschichtlichen Aufarbeitung übergeben wird.”
Dollfuß bleibt Ehrenbürger
Die ÖVP, die im Gemeindeparlament mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet ist, stimmte im Sinne ihres eigenen Antrags. Dollfuß bleibt Ehrenbürger.
Das Argument: Die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft sei juristisch nicht möglich. Das war der Volkspartei offenbar so wichtig, dass sie im Vorfeld der Sitzung auf eigene Kosten ein vierseitiges Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hatte. Ergebnis: Eine Aberkennung von Ehrenbürgerschaften dürfe sich laut niederösterreichischer Gemeindeordnung “nur auf Umstände beziehen, die zum Zeitpunkt der Ehrung noch nicht bekannt waren und die dazu geführt hätten, dass die Ehrung nicht vorgenommen wäre”.
Diese Einschätzung ist deshalb bemerkenswert, weil Dollfuß in Amstetten schon 2014 die Ehrenbürgerschaft aberkannt wurde, im benachbarten Mank im Jahr 2022. Wolfgang Zuser, Oppositionspolitiker der SPÖ-nahen Fraktion LUST, lässt gerade prüfen, ob die Rechtsmeinung des Gutachtens valide ist.
ÖVP-Bürgermeister Wolfgang Pöhacker verwies auf profil-Anfrage auf das Gutachten und das Sitzungsprotokoll des Gemeinderats. Bei der oppositionellen Liste LUST erklärt man sich das Festhalten der Volkspartei an Dollfuß so: “Engelbert Dollfuß hat einen unpackbar großen Stellenwert in unserer Gegend”, sagt Gemeinderat Zuser. In den 1920er-Jahren gründete Dollfuß eine Landwirtschaftsschule in der Region. Das habe Eindruck hinterlassen.
In der Region muss man nach Dollfuß-Denkmälern nicht lange suchen. Nur eine 30-Minuten-Fahrt trennt Steinakirchen von Engelbert Dollfuß’ Geburtsort Texingtal: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) war dort lange Jahre Bürgermeister, die Gemeinde betrieb ein umstrittenes Engelbert-Dollfuß-Museum. Die Kritik an der unkritischen Darstellung Dollfuß’ hatte zur Folge, dass das Museum unter wissenschaftlicher Begleitung nun neu konzipiert wird.
In Wang, einem Nachbarort von Steinakirchen, findet sich heute noch in einer Kirche eine Gedenkschrift zu Ehren Dollfuß’. Und reiht sich damit in eine Reihe von Engelbert Dollfuß-Würdigungen in der Region. In Mank (Bezirk Melk) wurde zuletzt über die Umbenennung des Engelbert-Dollfuß-Platz diskutiert - ohne Erfolg, auch hier stellte sich die ÖVP dagegen.