Dollfuß-Verklärung an Schulen: Kritik am Bildungsminister
Engelbert Dollfuß ist zwar seit bald 90 Jahren tot, ermordet von einem nationalsozialistischen Mob, doch er sorgt immer noch regelmäßig für Aufregung.
Der Grund dafür ist, dass sich konservative Kreise nur sehr widerwillig von dem Mann lossagen, der – und das ist in der Geschichtsforschung heute unstrittig – im Jahr 1933 eine Verfassungskrise nutzte, um das Parlament auszuschalten und fortan als Diktator regierte.
Dass Dollfuß die Demokratie durch einen autoritären Ständestaat ersetzte, wird allerdings in einer Schautafel verschwiegen, die in einem Gymnasium in einer burgenländischen Bezirkshauptstadt hängt. Ein Foto davon postete der Neos-Abgeordnete Yannick Shetty Ende 2023 auf der Plattform X/Twitter.
Parlamentsausschaltung bleibt unerwähnt
Auf der Tafel werden in einer Zeitleiste von 1918 bis 2018 die wichtigsten Ereignisse von „100 Jahre Republik Österreich“ aneinandergereiht. Über Dollfuß steht auf der Tafel: „1933 – Engelbert Dollfuß: Bundeskanzler von 1932 bis 1934. Er wurde von den Nationalsozialisten ermordert.“
Aus. Kein Wort über die Diktatur und den Bürgerkrieg, den Dollfuß‘ Väterländische Front mit den durch ihn verbotenen Sozialdemokraten führte – die Februarkämpfe des Jahres 1934 jähren sich heuer zum 90. Mal.
Herausgegeben wird die Schautafel von eine Schulverlag aus der Steiermark, Schulen und Lehrkräfte können sie bis heute bestellen. Allerdings dürfte die Tafel inzwischen ein wenig überarbeitet worden sein.
In der aktuellen Version, die auf der Website des Verlags beworben wird, heißt es nun: „Engelbert Dollfuß: Bundeskanzler von 1932 bis 1934. Am 12.2.1934 kommt es wegen eines Generalstreiks zu schweren Kämpfen mit vielen Toten. Dollfuß löst daraufhin die sozialdemokratische Partei auf. Am 25.7.1934 wird er von den Nationalsozialisten ermordet.“
Die Parlamentsausschaltung wird also noch immer nicht erwähnt.
Anfragen an Minister Polaschek
Der Neos-Nationalrat Shetty und die SPÖ-Nationalrätin Sabine Schatz richteten zu der Schautafel parlamentarische Anfragen an Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP). Die Antworten an Schatz trudelten dieser Tage ein und liegen profil vor.
Darin schiebt Polaschek die Verantwortung von sich weg: Bei Hilfsmitteln wie Wandtafeln handle es sich laut Schulunterrichtsgesetzes „um eine Verantwortung, die im Aufgabenbereich des jeweiligen Schulstandortes liegt“. Solche Schultafeln müssten vorab nicht vom Ministerium zugelassen werden. Und weiter: „Es darf um Verständnis ersucht werden, dass eine Erhebung über die Bildungsdirektionen an den rund 5.000 Schulen österreichweit zur Darstellung der jeweils eingesetzten Unterrichtsmittel mit einem verwaltungsökonomisch zumutbaren Aufwand nicht möglich ist.“
Minister Polaschek müsste sich darum kümmern, dass diese unkorrekte Schautafel an Schulen nicht mehr zum Einsatz kommt
Der Minister weist in seiner Antwort an Schatz aber darauf hin, dass die Hilfsmittel dem Lehrplan entsprechen müssten. Von der Schautafel selbst wurde das Ministerium im Jahr 2021 in Kenntnis gesetzt. Allerdings: „Eine Anfrage bei der Bildungsdirektion für Burgenland ergab damals keine Hinweise, dass dieses Produkt tatsächlich an den Schulen zum Einsatz gelangte.“
Damit hat es das Ministerium offenbar belassen.
Rote und pinke Kritik
Schulunterrichtsgesetz hin oder her – Schatz von der SPÖ fordert vom Minister, dass er sich proaktiv einschaltet: „Minister Polaschek müsste sich darum kümmern, dass diese unkorrekte Schautafel an Schulen nicht mehr zum Einsatz kommt“, sagt die Abegordnete: „Stattdessen schiebt er alle Verantwortung für Lehrmaterialien, die Dollfuß huldigen, direkt an die Schulen ab, weil das Thema Austrofaschismus umkämpft sei. Das ist falsch verstandene Schulautonomie zu Lasten wissenschaftlich fundierter Geschichtspolitik.“ Neos-Mandatar Shetty wählt noch härtete Worte. Er bezeichnet das Vorgehen des Ministers wörtlich als „verrückt“: „Dieser Vorfall zeigt, dass wir das System der Zulassung von Unterrichtsmaterialien grundlegend reformieren müssen. In einer anderen Anfrage haben wir aufgezeigt, dass Hamas-verharmlosende Inhalte in Schulbüchern vorkommen. Das darf einfach nicht sein.“
Der Eigentümer des Schulverlages versicherte profil am Telefon, er werde sich der Sache annehmen. Dass Dollfuß das Parlament ausgeschaltet hat, werde er beim nächsten Nachdruck ergänzen.
Mit neuen Debatten über Dollfuß ist zu rechnen, spätestens am 90. Todestag des Kanzlerdiktators im Juli.