„Der Bundeskanzler wird überschätzt“

Doppelconférence: Erhard Busek und Anton Pelinka über politische Umbrüche

Interview. Erhard Busek und Anton Pelinka über politische Umbrüche und Obmanndebatten

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Interview: Gernot Bauer und Otmar Lahodynsky

profil: Herr Busek, ist es vorstellbar, dass Sie bei der Wiener Gemeinderatswahl 2015 eher die bunten Vögel NEOS wählen als Ihre ÖVP?
Busek: Ich habe dem nichts zu entgegnen.

profil: Die Obmanndebatte um Michael Spindelegger dürfte Sie an Ihr eigenes Schicksal 1995 erinnern.
Busek: Es ist anders. Ich wurde nie angelogen, sondern einzelne Landesparteiobmänner kamen zu mir und sagten offen, mit mir als Bundesparteiobmann sei nichts mehr zu gewinnen. Insgesamt zeigt die jetzige Situation, wie klassische Strukturen zerbröseln. Das ÖVP-Grundmodell des gesellschaftlichen Ausgleichs durch die Bünde ist überholt. Und die Volkspartei ist nicht in der Lage, das aufzufangen.
Pelinka: Was hier passiert, ist ein Anpassungsprozess an europäische Verhältnisse. Mit Ausnahme von CDU/CSU gibt es keine Partei rechts der Mitte, die an die 40 Prozent herankommt. Auch die SPÖ ist immer noch stark im europäischen Vergleich. Die Vergangenheit war die Ausnahme. Jetzt herrscht Normalität.

profil: Dann sollten Sie, Herr Busek, die ÖVP-Landeshauptmänner durchrufen und ihnen sagen: „Burschen, regt euch nicht auf. Das ist alles ganz normal.“
Busek: Das ist eher nicht meine Aufgabe, außerdem glaube ich nicht, dass die Landeshauptmänner abheben würden, wenn ich anrufe. Außerdem ist die derzeitige Obmanndebatte ein Konstrukt. In Wahrheit ist es viel primitiver: Diejenigen, die Spindelegger kritisieren, rennen selbst um ihr Leiberl. Im Übrigen geht es der SPÖ mit Bürgermeister Michael Häupl auch so.
Pelinka: Time for a change auch in Wien.
Busek: Die Österreicher müssen allerdings erst lernen, dass rot-schwarze Mehrheiten nicht mehr existieren.
Pelinka: Es wird in Zukunft Minderheitenregierungen geben, es wird Dreierkoalitionen geben. Die Stabilität, die in Österreich in der öffentlichen Wahrnehmung ja ein Primärwert ist, wird abnehmen. Wir sind am Ende einer Phase der Berechenbarkeit. Das ist, nüchtern betrachtet, weder gut noch schlecht.

profil: Das muss die Stabilitätsfans vom Bundespräsidenten an abwärts irritieren.
Pelinka: Stabilität hat ja auch Vorteile. In einer Demokratie ist sie aber per se kein Primärwert. Die Volksrepublik China ist sehr stabil, aber ist sie deshalb eine Demokratie?
Busek: Auch Putins Russland ist stabil.
Pelinka: Stabilität ist ein sekundärer Wert.

profil: Mehr Wirbel würde unserer Demokratie gut tun?
Busek: Es gibt eine Ursehnsucht der Bürger nach Ruhe und die Erwartung, die Politiker wüssten schon, was sie tun. Aber Teile der Republik lösen sich ab. Die Wirtschaft freut sich, wenn sie von der Politik separiert ist. Das ist auch gut. Wir haben ohnehin zu viel Politik in allen Lebensbereichen.
Pelinka: Die traditionelle Obrigkeitshörigkeit franzisko-josephinischer Ausprägung löst sich auf. Der Glaube an die Allmacht der Politik oder des Bundeskanzlers schrumpft. Niemand wird ja mehr überschätzt als der österreichische Bundeskanzler.

profil: Sie meinen das Amt oder den aktuellen Amtsinhaber?
Pelinka: Das Amt selbstverständlich. Ein Kanzler hat per Verfassung nur eine Koordinierungsfunktion. Und natürlich lässt es der jeweilige Koalitionspartner aus Eigennutz nicht zu, dass der Kanzler die Regierung führt. Nach Bruno Kreisky und dessen absoluter Mehrheit waren alle österreichischen Regierungschefs nur noch Verhandlungskanzler.

profil: Gerade aufgrund der mangelnden verfassungsrechtlichen Macht kommt es auf die Persönlichkeit eines Bundeskanzlers an. Hat Werner Faymann Leadership?
Pelinka: Ich kenne Werner Faymann nur flüchtig. Zu seiner Stärke kann ich nichts sagen. Seinen Vorgänger fand ich überraschend schwach. Alfred Gusenbauer schätzte seine Stellung in der SPÖ falsch ein.
Busek: Gusenbauer hatte ein Kommunikationsproblem. Er ist aber ein hochintelligenter Mann, jedes Gespräch mit ihm ist ein Vergnügen.

profil: War Gusenbauer am Ende zu gescheit für die Politik?
Busek: Er war nicht in der Lage, sich zu übersetzen.
Pelinka: Er hat sich selbst überschätzt. Er hielt sich für noch klüger, als er ist. Ein SPÖ-Vorsitzender wird in seiner Partei eine starke Stellung haben, wenn seine Parteifreunde zur Ansicht gelangen, dass ihre eigenen Chancen von der Durchsetzungskraft ihres Bundeskanzlers abhängen. Dieses Prinzip gilt übrigens auch für den Vizekanzler und seine Partei.

profil: Wie ging es in diesem Zusammenhang dem Vizekanzler Erhard Busek?
Pelinka: In den großen Koalitionen der 1990er-Jahre hatte ein ÖVP-Obmann im Vergleich zur SPÖ theoretisch mehr Spielraum, da es die Alternative Jörg Haider gab. Die gibt es heute so nicht. Heinz-Christian Strache hat ja angekündigt, selbst Kanzler werden zu wollen und keinen ÖVP-Regierungschef zu küren.
Busek: Wir hatten in den 1990er-Jahren das große Thema des EU-Beitritts. Mit der FPÖ war da kein Staat zu machen. Dass ich mich auf die Große Koalition festlegte, wurde mir ja auch parteiintern zum Vorwurf gemacht.

profil: Wird Strache je Kanzler?
Pelinka: Eher nicht. Strache bräuchte zwei Parteien, die ihn zum Kanzler machen. Die sehe ich nicht. Dass die FPÖ relative Mehrheitspartei wird, halte ich für möglich.
Busek: Derzeit schließe ich einen Kanzler Strache aus. Aber alles ist im Umbruch. Vielleicht entstehen neue Parteien. Frank Stronachs Erbe liegt jetzt ja brach.

profil: Wie ist das Phänomen Stronach zu beurteilen?
Pelinka: Stronach war ein Weckruf. Dass jemand aus dem Stand potenziell auf 20 Prozent kommt, bevor er sich selbst beschädigt, zeigt, wie volatil die Wählerschaft ist.
Busek: Stronach profitierte von seinem Nimbus als Unternehmer, aber auch vom Fußball. Er ist ein Phänomen der Unzufriedenheit. Es spricht aber für die Bürger, dass sie ihn rechtzeitig durchschaut haben.
Pelinka: Stronach verstand Politik und ihre Eigengesetzlichkeit nicht. Es gibt eine Professionalität des Politischen. Die hatte er nicht. Aber er war unterhaltsam, damit konnte er punkten. Und so etwas kann immer wieder kommen.
Busek: Beppe Grillo ist das italienische Beispiel. Wie die Italiener haben auch wir eine gewisse Neigung zum Theater in der Politik.
Pelinka: Auch Kreisky hatte Unterhaltungswert.

profil: Auch Haider.
Busek: Haider hatte hohes Aggressionspotenzial. Er stand für Schwarz oder Weiß. Kreisky vertrat mehr die Philosophie des Sowohl-als-auch.
Pelinka: Hier stehe ich, ich kann auch anders.

profil: Schüssel war auch verspielt.
Busek: Schüssel hatte immer etwas Spielerisches.
Pelinka: Dem leidenschaftlichen Fußballer Schüssel wird auch eine gewisse spielerische Härte nachgesagt.
Busek: Mir sagen seine Mitspieler, er schaut, dass er den Ball kriegt, und zieht dann allein aufs Tor.

profil: Waren die Politiker früher besser?
Pelinka: Nein. Ich würde die Frage der Qualität von Politik auch der Gesellschaft stellen. Wenn es notwendig für ihren Erfolg ist, springen Politiker nackt vom 20-Meter-Brett im Winter in die Alte Donau. Damit will ich sagen, dass Politiker offen wären für Themen, aber aus der Zivilgesellschaft kommen zu wenig Impulse. Sie artikuliert sich selbst zu wenig, weil sie noch verschlafen ist.

profil: Aber gerade das aktuelle Beispiel um die Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Bank oder die skurrile Debatte um die Budgetlücke in den Koalitionsverhandlungen zeigen doch eine gewisse professionelle Hilflosigkeit unserer Politiker.
Busek: In der Frage der Budgetlücke glaubten die handelnden Personen offenbar ihren eigenen Lügen.

profil: Muss man den Bürgern nicht auch vorwerfen, dass sie Politiker, die unangenehme Wahrheiten ansprechen und Reformen umsetzen, bei nächstbester Gelegenheit abwählen?
Pelinka: Das nennt sich Demokratie. Außerdem stimmt das so nicht. Der Großen Koalition der 1990er-Jahre ist es mit Einsatz und Leidenschaft gelungen, eine Anti-EU-Stimmung in ein überzeugendes Pro-Europa-Votum zu wenden. Der Zeitgeist von heute ist nicht der von morgen.
Busek: Wenn die Zeit überhaupt einen Geist hat.

Zu den Personen
Zwei Tage lang saßen der frühere Vizekanzler und ÖVP-Obmann Erhard Busek und der Politikwissenschafter Anton Pelinka – beide Wiener, beide Jahrgang 1941 – beisammen, um über Gott und die Welt zu räsonieren. Das Ergebnis ist ein Gesprächsband über Innenpolitik, Europa, Globalisierung und Religion. Man erfährt unter anderem, dass Busek einmal sogar die SPÖ wählte und warum der deutsche Kanzler Gerhard Schröder wahlweise brüllte oder weinte, wenn es um Österreich ging. Als Buben waren Busek und Pelinka Ministranten in benachbarten Pfarren in Wien-Alsergrund. Der Ex-Vizekanzler verfügt noch immer über Beziehungen in den Vatikan. So schilderte ihm Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran, der 2013 auf der Benediktionsloggia des Petersdoms den Namen des neuen Papstes ausgerufen hatte, dass seit Amtsantritt von Franziskus Kurienbischöfe und Kardinäle vermehrt Holz- statt Goldkreuze tragen. Das Buch wird Donnerstag, 20. Februar, um 19 Uhr in der Wiener Buchhandlung Thalia (Landstraßer Hauptstraße 2a) präsentiert.

Busek/Pelinka: „Unsere Zeit. Vorwärts gedacht. Rückwärts verstanden.“ Galila Verlag, 208 Seiten, 18,90 Euro

Foto: Philipp Horak für profil