Sozialdemokratie
Doskozil ad SPÖ-Vorsitz: "Es gibt immer einen Ersatz"
Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil will am neuen Migrationspapier gar nicht erst mitarbeiten. Was sagt er zum Eindruck, ein "gekränktes Ego" zu sein?
Von Eva Linsinger und Clemens Neuhold
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Was ist schlimmer am EU-Wahlergebnis, Platz eins für die FPÖ oder Platz drei für die SPÖ?
Doskozil
Als Demokrat muss man Wahlentscheidungen akzeptieren. Natürlich ist es bedauerlich, wenn die eigene Partei nicht reüssieren kann. Ich fand es generell etwas erheiternd, die Reaktionen der Parteien zu hören - lauter Sieger. Sogar die ÖVP mit ihrem fast zweistelligen Minus tut, als ob sie gewonnen hätte. So etwas durchschauen die Wähler!
Auch die SPÖ hat verloren und gesagt, dass der Weg stimmt.
Doskozil
Das gilt auch für die SPÖ, keine Frage. Wer Niederlagen schönredet, verliert Glaubwürdigkeit.
Auch im Burgenland hat die SPÖ drei Prozent verloren.
Doskozil
Wir haben von sehr hohem Niveau aus verloren und das beste Ergebnis aller Bundesländer. Aber natürlich war die Motivation, zu rennen, nur bedingt da. Es gab keinen burgenländischen Kandidaten. Sonst wäre der Wahlkampf intensiver und das Ergebnis besser gewesen.
Die FPÖ profitiert vom Frust über die ÖVP-Grüne-Regierung, warum die Oppositionspartei SPÖ nicht?
Doskozil
Menschen sind frustriert, weil sie keine Termine bei Kassenärzten bekommen und täglich die Teuerung spüren. Wir machen da Denkfehler. Wir fordern Mietpreisdeckel, Energiedeckel, wir müssen das auch machen – und glauben dann, dafür werden wir gewählt. Dieses Denken ist überholt. Menschen wollen keine Hilfsleistungen, sie wollen von ihrem Gehalt leben können, sonst sind sie unzufrieden. Und wählen die FPÖ. Wir glauben reflexartig, dass alle FPÖ-Wähler Rechte sind. Das stimmt aber nicht. Unser Anspruch müsste sein, diese Wähler wieder zurückzuholen. Zum Beispiel mit dem Mindestlohn.
Sie drohten, nach der Nationalratswahl über die Parteispitze reden zu wollen. Halten Sie den Kampf um Platz eins für die SPÖ verloren?
Doskozil
Die EU-Wahl zeigt, dass die Tendenz der Umfragen stimmt. Die FPÖ liegt klar auf Platz eins, die SPÖ auf Platz zwei oder drei. Niemand braucht das zu beschönigen. Im Vorjahr hat die SPÖ die Entscheidung getroffen, dass Andi Babler Parteichef wird. Babler hat angekündigt, die SPÖ wieder auf Platz eins und ins Kanzleramt zu führen. Diese Ziele hat er sich selbst gesetzt und versucht sie mit seinem Weg – einem Linksruck – zu erreichen. Das ist nichts Verwerfliches, ich mache auch linke Politik im Burgenland. Er wird daran gemessen, ob er mit seinem Weg Erfolg hat. Das gilt für alle – vom kleinsten Bürgermeister bis zu mir als Landesparteichef und zur Bundespartei. Der Anspruch muss sein, Wahlen zu gewinnen. Wenn ich persönlich mit meinem Weg keinen Erfolg mehr habe, weiß ich auch, was zu tun ist.
Heißt das, Babler muss Erster werden oder sonst zurücktreten?
Doskozil
Nein, das sage ich nicht. Aber bei allen Funktionären ist nach Wahlen die Frage zulässig, ob sie noch die Richtigen sind. Es wäre lächerlich, wenn man auf Bundesebene die Frage nicht stellen darf.
Ist Bablers Linksruck gescheitert?
Doskozil
Man muss so fair sein, die Wähler urteilen zu lassen. Daher sage ich: Bis zur Wahl muss Ruhe sein in der SPÖ. Nach der Wahl über den Parteivorsitz zu reden, kann auch bedeuten, dass wir den Hut vor Babler ziehen, weil er den Wahlsieg geschafft hat. Niemand soll vorgaukeln, dass die SPÖ auf Erfolgskurs ist. Die SPÖ muss den Anspruch haben, Wahlen zu gewinnen. Sonst geben wir uns als Partei auf.
Wie hoch ist Ihre Mitschuld am Misserfolg? Sie sticheln ständig.
Doskozil
Wenn ich Mitschuld hätte, wer hat dann die absolute Mehrheit Burgenland produziert? Wenn wir so schlechte Wahlkämpfer wären, wie kommt dann das gute Ergebnis im Burgenland zustande?
Andreas Babler nannte Sie ein „gekränktes Ego“.
Doskozil
Ich will mich nicht auf die persönliche Ebene begeben.
Ihre Art, reinzugrätschen, ist doch auch persönlich.
Doskozil
Ich habe nur formuliert, dass es die Erwartungshaltung an Babler ist, Wahlen zu gewinnen. Diesen Anspruch muss jeder in der Partei haben, egal ob er oben steht. Das wäre auch mein Anspruch gewesen, wenn ich SPÖ-Chef geworden wäre.
Ganz verwunden scheinen Sie Ihre Niederlage nicht zu haben.
Doskozil
Ich ärgere mich im Nachhinein nur über eines: Als die Mitgliederbefragung vorbei war, wurde ich im Parteipräsidium massiv von Vorarlberg, der Gewerkschaft und Wien angegriffen. Und habe mich trotz der Widerstände von anderen Bundesländern breitschlagen lassen, in den Parteitag zu gehen. Das war ein Fehler.
Werden Sie wieder kandidieren?
Doskozil
Nein, das Kapitel Bundespolitik ist für mich geschlossen. Ich bleibe im Burgenland. Das hängt stark mit Glaubwürdigkeit zusammen. Wäre ich Parteivorsitzender geworden, hätte ich jetzt im Intensivwahlkampf die Position als Landes- hauptmann zurücklegen müssen.
Kann Babler als Bürgermeister in die Wahl gehen?
Doskozil
Rechtlich natürlich, aber ich hätte es nicht gemacht. Ich jedenfalls gehe im Jänner im Burgenland in die Landtagswahl.
Im Juli erscheint Ihre Autobiografie „Hausverstand“, das klingt, als hätten Sie größere Ambitionen.
Doskozil
Im Gegenteil. Vor zwei Jahren kam der Verlag auf uns zu, wegen der Entwicklung in der Bundes-SPÖ haben wir das Projekt auf Eis gelegt, jetzt erscheint das Buch, es hat einen Fokus auf Inhalte, auf meine landespolitischen Ziele. Ich gehe nicht in die Bundespolitik.
Gibt es andere Menschen, die Ihren Weg an der SPÖ-Spitze vertreten könnten?
Doskozil
Die SPÖ ist so breit aufgestellt, dass es die geben wird und geben muss. Es gibt immer einen Ersatz. Ich will niemand benennen, das wäre ungerecht. Am ungerechtesten wäre es gegenüber dem Parteivorsitzenden.
Ihren eigenen Weg gehen Sie im Burgenland auch beim Thema Asyl. Sie übernehmen seit Monaten keine Asylwerber in die Grundversorgung.
Doskozil
Das Burgenland liegt noch immer bei über 80 Prozent der Flüchtlinge, die wir laut Quote übernehmen müssten. Andere übernehmen nicht mehr als 70 Prozent der Flüchtlinge und weniger.
Sie erfüllen die Quote nicht, Wien hingegen hat weit über 100 Prozent.
Doskozil
Die Städte ziehen an. Abgelehnte Asylwerber tauchen unter, um sich der Abschiebung zu entziehen, das geht am leichtesten in Wien. Das ist aber nicht von Wien verschuldet: Innen- und Außenministerium bekommen seit Jahren Abschiebungen nicht in den Griff.
Soll nach Syrien oder Afghanistan abgeschoben werden?
Doskozil
Wenn unabhängige Richter sagen, Abschiebung nach Afghanistan oder Syrien ja, dann ja. Wenn sie nein sagen, dann nein.
SPÖ-Klubchef Philip Kucher forderte Abschiebungen nach Afghanistan.
Doskozil
Er bezog sich auf Schwerkriminelle.
Für eine Asyl-Obergrenze sind Sie nach wie vor?
Doskozil
Ja, natürlich bin ich für eine Beschränkung.
Wien fordert eine bessere Verteilung von Flüchtlingen. Sind Sie dafür?
Doskozil
Nein.
Das wirkt unsolidarisch.
Doskozil
Ich kann schwer solidarisch sein, wenn das Burgenland wegen unsolidarischer Maßnahmen in anderen Bereichen benachteiligt wird. Ein Beispiel: Das Burgenland wird bei der Aufteilung der Gelder aus Bundessteuern gegenüber anderen Ländern benachteiligt. Dann führt Wien eine Abgabe für Zweitwohnsitze ein. Dadurch verliert das Burgenland mehr im Finanzausgleich, weil Burgenländer ihren Hauptwohnsitz nach Wien verlegen und Geld dorthin fließt. Nicht nur Wien wächst, auch bei uns wachsen Gemeinden und brauchen Geld für Infrastruktur.
Die SPÖ will das Integrationspapier „Integration vor Zuzug“ aus dem Jahr 2018 „refreshen“. Sie haben es mit dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser geschrieben. Machen Sie bei der Neuversion mit?
Doskozil
Ich werde am Ergebnis nicht mitwirken, das sage ich ganz offen. Ich will keine Konfliktlinien aufreißen und damit den innerparteilichen Frieden bis zur Nationalratswahl gefährden.
Sie glauben nicht, dass in Ihrem Sinne „refresht“ wird?
Doskozil
Nein, weil wir weder über eine Obergrenze diskutieren werden können noch über verstärkte Abschiebungen oder Asylverfahrenszentren außerhalb Europas. Indem ich das nicht in die Bundespartei hineintrage, leiste ich meinen Beitrag, Ruhe hineinzubekommen.
Asylverfahrenszentren zum Beispiel in Ruanda, wie es die Briten wollen?
Doskozil
Das braucht es gar nicht. Ich denke an eine Art Modell in der Türkei, von wo aus man Rückführungen starten könnte. Denn nach wie vor kommen die meisten Migranten aus der Türkei über die Balkanroute nach Österreich.
Die Zahl der Flüchtlinge über die Balkanroute bis ins Burgenland sank massiv.
Doskozil
Sie wird genauso wieder steigen. Die Hauptrouten verändern sich nicht.
Braucht es überhaupt eine schärfere Migrationslinie in der SPÖ? In Wien, wo die meisten Ausländer leben und Messerstechereien unter Flüchtlingen für Schlagzeilen sorgten, hat die SPÖ bei den EU-Wahlen nicht verloren. Am Land, wo es kaum Ausländer gibt, schon.
Doskozil
Man kann sich darüber freuen, ausgehend von 30 Prozent nicht noch mehr zu verlieren. Man kann sich aber auch ansehen, wo die SPÖ früher in der Bundeshauptstadt lag.
Bei den EU-Wahlen 1996 und 1999 holte sie in Wien 34 Prozent.
Doskozil
Frühere SPÖ-Chefs wie Franz Vranitzky holten bei Nationalratswahlen in den 1990er-Jahren in Wien 45 Prozent und wurden dadurch Kanzler. Die Sozialdemokratie sollte sich damit beschäftigen, wie sie Wähler zurückgewinnt, die sie seit den 1990er-Jahren verloren hat.
Babler setzt auf Vermögenssteuern, kürzere Arbeitszeiten und schnellere Termine beim Kassenarzt. Reicht das nicht für eine Rückholaktion?
Doskozil
Offensichtlich nicht. Außerdem reicht es nicht, zu sagen, ich will so und so viele neue Ärzte, damit jeder in zehn Tagen einen Termin bekommt. Wir müssen auch die Frage beantworten, woher dieses Personal kommen soll.
Die Wahlärzte könnten mehr Kassenleistungen anbieten müssen.
Doskozil
Wenn die Wahlärzte nicht wollen? Sperren wir sie ein? Wir müssen da mehr ins Detail gehen. Ich bin ein Fan echter Lösungen.
Karl Nehammer und Andreas Babler haben ein Duell mit FPÖ-Chef Herbert Kickl ausgerufen. Soll Kickl Kanzler werden, wenn er Erster wird?
Doskozil
Schwierige Frage, muss ich gestehen. Wenn ein Teil der Bevölkerung Kickl an die Spitze wählt, kann ich nicht sagen, das sind alles Rechtsradikale und Nazis.
Ist Kickl rechtsextrem?
Doskozil
Ich bin mir nicht sicher, ob Kickl rechtsextrem im Sinne einer Ideologie ist. Im Auftreten versucht er, dieses Klischee zu bedienen. Aber es gibt viel stärkere Ideologen in der Partei, die sich hinter netten, freundlichen Gesichtern verstecken. Da bin ich mir sicher.
Sie sind unsicher, wie man mit einem Wahlsieger Kickl umgehen sollte?
Doskozil
Auch der Bundespräsident wird sich schwer tun, ihn zu verhindern. Andererseits ist es auch schwer, sich vorzustellen, wie einer die großen Zukunftsfragen lösen will, der die Bevölkerung spaltet, polarisiert, Zwist und Zwietracht sät.
Was sollte die SPÖ bei einem Koalitionsangebot der FPÖ machen?
Doskozil
Ich hätte mir gewünscht, dass die SPÖ so stark wird, dass sich eine Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und NEOS ausgeht.
Was unrealistisch ist.
Doskozil
Leider. Deswegen wird es wohl entweder auf eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP, oder zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS hinauslaufen. Die Wahrscheinlichkeit dieser beiden Varianten sehe ich bei 70 zu 30 Prozent.
Wünschen Sie sich eine rot-schwarze Koalition?
Doskozil
In der SPÖ verspüre ich einen großen Wunsch danach. Ich würde es aber nur empfehlen, wenn die SPÖ spürbar zulegt. Von einer Koalition der Verlierer rate ich ab. Dann bräuchte sich die FPÖ nur zurücklehnen und ist bei der nächsten Wahl noch stärker.
Bei Verlusten sollte die SPÖ in Opposition?
Doskozil
Genau.
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Stand:
Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin
Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.