Das Zelt vor der ÖVP-Parteizentrale am Wahlsonntag.
Jahresrückblick

Das war 2024: FPÖ triumphiert, ÖVP stürzt ab

Die prägenden Stunden des Jahres: 29. September, 16.15 Uhr. Auf den Wahlpartys von ÖVP und SPÖ steigt die Unruhe. Ein Kanterwahlsieg der FPÖ zeichnet sich ab. Und eine Dreierkoalition gegen die blaue Nummer 1.

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Beim Hintereingang, gut geschützt vor neugierigen Blicken, fahren kurz nach 16 Uhr die ersten dunklen Dienstautos vor. Genau wie die präzise Regieanordnung für diesen Wahltag gelautet hat. Nach und nach kommen an diesem denkwürdigen Sonntag die ÖVP-Ministerinnen und -Minister auf der Rückseite des ÖVP-Parteihauses in der Lichtenfelsgasse am Rande der Wiener Innenstadt an und eilen schnurstracks hinauf in den dritten Stock in das große Besprechungszimmer von ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Gegen 16.15 Uhr sind Regierungsteam und Führungsriege der Volkspartei, bis zu diesem Wahlsonntag die stärkste Partei im Land, dort versammelt.

Die Stimmung ist mehr als gedämpft, reihum trudeln Momentaufnahmen aus den Landesparteien ein, dass diesmal viele neue Gesichter in den Wahllokalen gesehen wurden. Von Menschen, die wohl die FPÖ gewählt haben. Die zahlreichen Einzelberichte verdichten sich bald zu einem vorläufigen Befund, noch bevor die Wahllokale geschlossen und die ersten Hochrechnungen erstellt sind: Ein Kanterwahlsieg in Blau zeichnet sich ab, es scheint ein bitterer Wahlsonntag für die ÖVP und die SPÖ zu werden. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik landet keine der beiden bisher dominanten Parteien auf Platz 1.

Eine rauschende Wahlparty wie in den Jahren 2017 und 2019 hatten selbst die größten schwarzen und türkisen Optimisten nicht geplant. Damals hatte die ÖVP jeweils bis spät in die Nacht im peppigen Kursalon Hübner ausgelassen die Wahlsiege des damaligen türkisen Überfliegers Sebastian Kurz gefeiert, Promi-Auflauf inklusive. Eine derart schillernde (und teure) Fest-Location wurde 2024 gleich gar nicht angemietet, diese Entscheidung fiel schon drei Wochen vor der Wahl. Für Triumphe und den damals noch nicht im Strudel der Korruptionsermittlungen versunkenen Popstar Kurz hatte ein Glitzerfest gepasst, für den Parteirackerer Karl Nehammer schien das nüchterne Parteihaus in der Lichtenfelsgasse mit zwei Zelten davor adäquater. Und die ÖVP bleibt diesmal unter sich, Niederlagen ziehen eher keine Prominenten an.

Um 16.20 Uhr verlieren sich einzelne Getreue wie Josef Pröll, ehemaliger ÖVP-Obmann und Vizekanzler, in den zwei großen weiß-türkisen Zelten zu ebener Erde vor dem Parteihaus. Sogar das Speisen- und Getränkeangebot ist frugaler als unter Kurz: Frankfurter/Debreziner. Kornspitz mit Käse. Mineral. Apfelsaft, Cola. Weißer Spritzer. Bier. Kaffee. Aus. Mit allzu vielen Anlässen zum feierlichen Anprosten wird offenbar nicht gerechnet.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin