Dreier-Koalition gescheitert: Neos springen ab
Das neue Jahr ist erst drei Tage alt, da platzt bereits die erste innenpolitische Bombe: Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos sind gescheitert. Die Neos haben am Freitagvormittag überraschend zu einer Pressekonferenz geladen, nachdem die Parteichefs am Donnerstag bis Mitternacht im Bundeskanzleramt verhandelt hatten. In der Pressekonfeenz verkündete Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger den Ausstieg der Pinken aus den Verhandlungen. Es habe kein Durchbruch errungen werden können, sagte Meinl-Reisinger. Sie hat Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Morgen informiert, dass sie nicht weiterverhandeln wird.
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Eine müde wirkende Beate Meinl-Reisinger tritt am Freitagvormittag die Journalistinnen und Journalisten. Der Jahreswechsel sei eine Zeit, um in die Zukunft zu blicken. Sie holt weit aus und lässt die Öffentlichkeit lange warten, bis sie zum Punkt kommt. Ihr Statement wirkt wie eine vorgezogene Wahlkampfrede. Fragen sind danach keine zugelassen.
Für Meinl-Reisinger sei die Nationalratswahl am 29. September ein „eindeutiges Signal“ gewesen, das die Bevölkerung nicht das „weiter wie bisher wolle“. Niemand habe mit dem Wahlsieger FPÖ eine Regierung bilden wollen, deren Chef Herbert Kickl sei daran gescheitert, eine tragfähige Mehrheit zu bilden, so Meinl-Reisinger. Populismus sei keine Lösung, sagt sie als ein großes, totes Blatt von der einzigen Pflanze im Raum abfällt und hörbar auf dem weißen Fliesenboden der „NEOSphäre“ aufschlägt. Meinl-Reisinger kritisiert, dass die Koalition zwischen Schwarz-Blau in der Steiermark keine Lösungen bieten würde.
„Beide Hände gebunden“
Das Rekorddefizit mit dem Österreich nun umgehen müsse, sei vor der Wahl geleugnet worden. „Die Dimension hat uns auch überrascht“ – „Wir haben jahrelang davor gewarnt, was diese von Sebastian Kurz ausgerufene ‚koste es, was es wolle‘-Mentalität für dieses Land bedeutet“. Im September seien die Pensionen erhöht worden, zuletzt auch die Beamtengehälter – Meinl-Reisinger sieht keine Möglichkeit, einer „ernsthaften“ Budgetkonsolidierung. Ihr seien durch die Altlasten beide Hände gebunden.
Die Einladung zu den Regierungsverhandlungen haben die Neos angenommen, um für „unbedingt“ notwendige Reformen zu kämpfen. Sie habe „bis gestern Nacht“ Vorschläge gemacht, der Blick der anderen Parteien sei auf den nächsten Wahltag beschränkt gewesen, behauptet Meinl-Reisinger. Sehr wahrscheinlich werden ÖVP und SPÖ am heutigen Freitag ihre eigene Lesart der Ereignisse präsentieren. Gespiest haben dürfte es sich in puncto Budget, Bildung, „Generationengerechtigkeit“, bei den Pensionen, Föderalismus, aber auch der Sozialpartnerschaft.
Mangelnde Kompromissbereitschaft?
Meinl-Reisinger war bemüht, ihren Ausstieg aus den Verhandlungen zu rechtfertigen. Die Neos seien bereit für Kompromisse gewesen. Doch es seien keine Fortschritte erzielt worden, sondern Rückschritte. „Die bedeuten, dass wir wieder einmal nur bis zum nächsten Wahltag denken“. Es sei ein weiter wie bisher gewesen, so Meinl-Reisinger. Schwarz-Rot hätten sich gegen die notwendigen Sanierungen gestellt. Die Neos hätten sich nicht für den siebenjährigen Budgetsanierungsplan ausgesprochen, aber befürwortet, dass man über nur eine Regierungsperiode hinausdenken müsse.
Allerdings waren die Neos in den Verhandlungen strikt gegen neue Steuern und Steuererhöhungen, die selbst von führenden Experten als sinnvoll bezeichnet wurden.
Meinl-Reisinger dankte ÖVP-Chef Karl Nehammer und dem türkisen Klubchef August Wöginger persönlich für die "Bereitschaft, über den Tellerrand zu schauen". Der Sozialdemokratie dankte die NEOS-Chefin allgemein - appellierte aber gleichzeitig an die staatspolitische Verantwortung der SPÖ,„den Standort nicht aus dem Blick zu lassen". Schon im Wahlkampf hatte sich Meinl-Reisinger mit Babler persönlich am schwersten getan. Jeden anderen Parteichef kennt die NEOS-Chefin deutlich länger persönlich aus dem Parlament.
Fragen lassen die NEOS nach ihrer Pressekonferenz keine zu. Das ist unüblich, gerade für die pinke Partei. Es sei eben „alles gesagt“, erklärt eine Sprecherin nachdem die Parteispitze den Raum verlassen hat.
SPÖ weist Schuld von sich
Die ÖVP sieht die Schuld für den Ausstieg der Neos bei der SPÖ. „Rückwärtsgewandte Kräfte in der SPÖ“ hätten zuletzt überhand genommen, heißt es in einer Aussendung. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker stimmt den Kritikpunkten von Meinl-Reisinger zu, man brauche „nachhaltige Veränderungen und Reformen“.
Im „Ö1"-Mittagsjournal weist SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim die Schuld für das Aus der Koalitionsverhandlungen von sich. „Offensichtlich haben sie jetzt gemerkt, dass ihnen das Ganze eine Nummer zu groß geworden ist.“
Kommen jetzt Neuwahlen?
Nach dem Absprung der Neos gibt es mehrere Szenarien, wie es weitergehen könnte. ÖVP und SPÖ haben gemeinsam eine hauchdünne Mehrheit und könnten eine wackelige Zweier-Koalition bilden. Sie könnten aber auch versuchen, mit den Grünen weiterzuverhandeln.
Falls aus diesen Varianten nichts wird, bleiben wohl nur mehr zwei Optionen: Entweder die ÖVP koaliert doch mit der FPÖ oder es kommt zu Neuwahlen.
Grünen-Chef Werner Kogler hatte sich zuletzt offen für eine Koalition gezeigt. Nach Meinl-Reisingers Pressekonferenz kritisierte Kogler auf Bluesky allerdings ÖVP, SPÖ und Neos, die den Österreicherinnen und Österreichern „Antworten schuldig“ seien. Die nun geschehene „Flucht aus der Verantwortung“ bedarf aus Sicht des Grünen-Chefs Aufklärung: „Alle verhandelnden Parteien müssen sich jetzt erklären. Das ist eine Notwendigkeit, bevor nächste Schritte gemacht werden können.“
Die FPÖ meldete sich in Person von Generalsekretär Michael Schnedlitz zu Wort - und nahm ÖVP-Chef Karl Nehammer ins Visier ihrer Attacke: Dem Kanzler ginge es nur um seinen eigenen Job, so Schnedlitz: „Es ist Zeit für Ihren Rücktritt, Herr Nehammer!“
Nehammer hatte eine Koalition mit einer FPÖ unter Führung des blauen Parteichefs stets ausgeschlossen. Innerhalb der ÖVP gibt es aber ausreichend Kräfte, die mit den Freiheitlichen - nicht nur auf Landesebene - zusammenarbeiten würden. Sollte Nehammer als ÖVP-Chef zurücktreten, würde dies Blau-Schwarz folglich den Weg erleichtern.