DSN-Chef Haijawi-Pirchner: „Terrornetzwerke werden gerade neu aufgebaut“
Omar Haijawi-Pirchner, Direktor des Inlandsnachrichtendienstes (DSN), hat die Terrorwarnstufe hochgeschraubt. Über die Auferstehung der Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) und Al-Qaida, die Gemeinsamkeiten von altem und neuem Antisemitismus und Judenhass als Folge verfehlter Integration.
Gehen Sie derzeit noch privat in die Wiener Innenstadt? Kann man sich da noch sicher fühlen?
Haijawi-Pirchner
Selbstverständlich. Die Terrorwarnstufe wurde zwar erhöht, und wir wissen, dass es auch jederzeit zu Anschlägen kommen könnte. Für mich gibt es dennoch ein großes Aber: Wenn sich unsere liberale, freiheitsliebende Gesellschaft dadurch einschränken lassen würde, dann ist es genau das, was die Terroristen wollen: für Angst und Schrecken zu sorgen. Ich will das nicht zulassen, darum bewege ich mich wie vorher.
Die Terrorwarnstufe wurde angehoben. Was sind die ganz konkreten Gründe für diese Maßnahme?
Haijawi-Pirchner
Da ist einerseits die generelle Sicherheitslage in Zusammenhang mit extremistischem Islamismus, die wir ständig unter Beobachtung halten – die hat sich verschärft. Ganz konkret ist das aber auch auf die drei jüngsten Anschläge zurückzuführen, die in den vergangenen Tagen in Europa durchgeführt wurden. Zwei schwedische Fußballfans wurden in Brüssel erschossen. Ein Lehrer wurde in Nordfrankreich erstochen und in England kam es ebenfalls zu einer Messerattacke. Dazu kommen noch die Auswirkungen des Konflikts im Gazastreifen, die dazu führen, dass sich Gefährder weiter radikalisieren. Dadurch wird die Gefahr höher, dass diese Personen auch Terroranschläge umsetzen.
Zuletzt war die Rede von etwa 300 Gefährdern. Wer sind diese Menschen?
Haijawi-Pirchner
Die Zahlenlage verändert sich ständig. Wir sprechen von einer mittleren zweistelligen Zahl an Gefährdern, die prinzipiell dazu bereit wären, einen Anschlag auch umzusetzen. Die Gruppe der Gefährder setzt sich aus einem unterschiedlichen Spektrum zusammen. Das sind Personen, die teils erst 15 Jahre alt sind – es sind aber auch Personen dabei, die doch einiges an Lebenserfahrung und Bildung haben.
Darunter kann man sich jetzt nicht so viel vorstellen.
Haijawi-Pirchner
Es sind teils Personen, die in Österreich geboren und aufgewachsen sind. Es sind aber auch Personen, die im Rahmen der Migration nach Österreich gekommen sind – es ist wirklich sehr gemischt.
Wie werden diese Personen jetzt genau überwacht?
Haijawi-Pirchner
Im Rahmen unserer gesetzlichen Möglichkeiten.
Was bedeutet diese theoretische Ansage in der Praxis?
Haijawi-Pirchner
Wir haben verschiedene Möglichkeiten, wie wir diese Beobachtungen vornehmen – ich bitte aber um Verständnis, dass wir aus taktischen Gründen nicht näher ausführen können, wie wir das machen.
Der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt jährt sich zum zweiten Mal. Damals wurde Ihr Amt, das sie damals noch nicht geleitet haben, stark kritisiert, weil man den bekannten Gefährder zu wenig am Schirm hatte. Begründet wurde das auch mit chronischem Personalmangel. Ist der gelöst?
Haijawi-Pirchner
Wir haben in dem Bereich keinen Personalmangel, auch wenn wir zusätzliches Personal gut gebrauchen könnten. Risikoeinschätzungen nehmen wir heute aber tatsächlich anders vor. Das sieht man auch daran, dass wir einige große Ermittlungserfolge im Bereich des Rechtsextremismus’ und des islamistischen Terrors verbuchen können – es fragt selten wer, wie viele Anschläge verhindert wurden. Wir haben aus dem Anschlag gelernt – und sehen, dass die Verwandlung vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hin zur Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ein wichtiger Schritt in der Informationsverknüpfung war. Im BVT wurde in einigen Bereichen auch gute Arbeit geleistet, damals wurden entscheidende Erfolge erzielt, die aber nicht nach außen kommuniziert wurden.
Um wie viele Personen wurde seit der Reform, die kurz nach dem Terroranschlag abgeschlossen wurde, aufgestockt? Die Politik hatte hier zusätzliche Mittel versprochen.
Haijawi-Pirchner
Wir haben die personellen Ressourcen in allen Bereichen verstärkt. Konkrete Aussagen zu Zahlen kann ich aus Sicherheitsgründen ebenfalls nicht machen. Da bitte ich um Verständnis.
Aber werden alle Gefährder gut überwacht oder ketzerisch gefragt: Können die sich noch immer wegen fehlender Ressourcen frei bewegen?
Haijawi-Pirchner
Wir kontrollieren die Gefährderinnen und Gefährder so, wie es uns das Gesetz vorschreibt. Das heißt aber nicht, dass sie 24 Stunden unter physischer Kontrolle sind. Es sind neben den physischen Räumen auch die Onlineräume wichtig. Da wären die gesetzlichen Rahmenbedingungen aus meiner Sicht durchaus noch verbesserungswürdig.
Heißt?
Haijawi-Pirchner
Ich erwähne immer wieder, dass wir in Einzelfällen bei konkreten Gefährdern mehr Möglichkeiten brauchen, um die Onlinekommunikation zu überwachen. Freilich alles unter strengstem Rechtsschutz und Rechtsmitteln und nur bei potenziellen Gefährdern.
Es ist erschreckend, wie sehr der Israelhass momentan auf den österreichischen Straßen zelebriert wird. In welchen Communities ist das am Weitesten verbreitet?
Haijawi-Pirchner
Das ist wie auch bei den Gefährderinnen und Gefährdern unterschiedlich. Einerseits gibt es eine Gruppe von Zugewanderten, die da auffallen. Andererseits sind da aber auch Leute dabei, die hier in zweiter oder dritter Generation leben. Die hier aufgewachsen und sozialisiert sind. Personen, die sich nicht integrieren wollen und nach ihren Regeln leben möchten.
Wenn derartige Phänomene zu größeren Problemen werden, und man jetzt sieht, dass diese Migrantengruppen offenbar ein großes, vielleicht auch gefährliches Mobilisierungspotenzial haben, wenn für sie emotionalisierende Dinge passieren wie dieser Gaza-Konflikt: Was tut man da eigentlich präventiv? Gibt es etwa eine Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium, um gewisse Dinge vielleicht auch mal im Lehrplan zu verankern?
Haijawi-Pirchner
Gerade dieser Bereich war ein wesentlicher Pfeiler der Reform des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2021. Präventionsmodelle wurden neu kreiert und auf die DSN ausgerollt. Im Rahmen dessen gibt es auch ständige strategische Abstimmungen mit sämtlichen Ministerien - so auch mit dem Bildungsministerium. Wir erarbeiten derzeit ein gemeinsames Modell, wie Extremismusprävention an Schulen umgesetzt werden kann.
Ihre Beamten haben bei der Pro-Palästina am Stephansplatz fast alle Demonstranten überprüft und aufgeschrieben. Sie müssten jetzt ein sehr klares Bild haben, wer die Judenhasser sind, oder?
Haijawi-Pirchner
Die Polizei macht hier ihre Wahrnehmungen, und wir kennen auch oftmals die Rädelsführer in diesem Bereich.
Und was macht man dann mit denen?
Haijawi-Pirchner
Die gesetzlichen Möglichkeiten in Österreich ausschöpfen. Beispielsweise können Gefährderansprachen durchgeführt werden. Das bedeutet, dass diese Personen auf die geltende Rechtslage und die Auswirkungen ihres Verhaltens hingewiesen werden.
Und wie unterscheidet sich der unter Muslimen stark verbreitete Antisemitismus von dem historischen Antisemitismus der autochthonen österreichischen Bevölkerung? Trifft man sich da irgendwo?
Haijawi-Pirchner
Antisemitismus nimmt wegen dem Konflikt im Gazastreifen gerade in den vergangenen Tagen massiv zu. Das hat verschiedenste Ausprägungen, die sich überschneiden und treffen können. Da gibt es auch keine klare Abgrenzung.
Ist die Linke oder die Rechte für Juden in Österreich gefährlicher?
Haijawi-Pirchner
Wir sehen, dass vom Bereich des Rechtsextremismus derzeit generell ein größeres Gewaltpotenzial ausgeht als vom linken Spektrum. Wir hatten da zuletzt einige Ermittlungserfolge, haben auch große Waffenlager ausgehoben. Es gibt aber in beiden Szenen radikale und gewaltbereite Personen.
Welchen Terrororganisationen leistet der Nahostkonflikt jetzt Vorschub? Wird der schon für tot erklärte Islamische Staat wiederauferstehen?
Haijawi-Pirchner
Der Gaza-Konflikt leistet allen islamistischen Terrororganisationen Vorschub – dem Islamischen Staat sowieso. Durch die Lage in Afghanistan und dem ISKP (Anm.: Der Islamische Staat – Provinz Khorasan ist ein Ableger der in Südasien und Zentralasien aktiven militanten Gruppe „Islamischer Staat“) ist der wieder stark im Kommen. Aber auch Al-Qaida macht sich in Afghanistan und in Afrika entsprechend breit und ruft zu Anschlägen in Europa auf. Terrornetzwerke werden gerade neu aufgebaut.
Ist Al-Qaida für Österreich gefährlich? Es hieß immer, dass sich auch hochrangige Al-Qaida-Mitglieder immer wieder in Österreich aufhielten. Aber eher, um sich hier zu besprechen – und nicht, um Anschläge zu begehen.
Haijawi-Pirchner
Wir sehen sehr wohl, dass wir Personen in Österreich haben, die den entsprechenden Netzwerken angehören und die Terrororganisationen verherrlichen.
Kämpfen Sie eher mit professionellen Strukturen, wie sie Al-Qaida historisch hatte – oder eher mit einsamen Wölfen, die sich dann eben zu einer Terrororganisation bekennen?
Haijawi-Pirchner
Die letzten Monate beschäftigte uns vor allem das Einzeltäterphänomen. Also Personen, die bereits radikalisiert sind und sich auch einer Organisation zugehörig fühlten, die aber keine Anweisungen erhalten haben. Seit dem Sommer gibt es wieder mehr Aufrufe, Anschläge in Europa zu begehen. Und wir sehen sehr wohl, dass auch das wieder zurückkommt, und dass versucht wird, Strukturen aufzubauen.
Wo findet man diese Aufrufe?
Haijawi-Pirchner
In entsprechenden, einschlägigen Kommunikationskanälen – vor allem über verschlüsselte Messenger-Systeme.
Wie kommen Sie zu dieser Kommunikation, wenn sie verschlüsselt ist? Derzeit haben Sie kaum gesetzlich Möglichkeiten, sich das selbst durch Sicherstellungen zu besorgen?
Haijawi-Pirchner
Wir sammeln unsere Informationen im Rahmen unserer Möglichkeiten. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Dass wir aber keine rechtliche Möglichkeit haben, verschlüsselte Kommunikation von Gefährdern zu überwachen, ist bekannt.
Ich frage, weil das dann eigentlich nur von Partnerdiensten stammen kann – was ja erfreulich ist, sollte dem wirklich so sein. Die Zusammenarbeit mit den westlichen Diensten war nach der Hausdurchsuchung der Vorgängerorganisation Ihres Amtes im Jahr 2018 schlecht bis sehr schlecht. Man vertraute Österreich nicht mehr. Schweißt die neue Bedrohungslage wieder mehr zusammen?
Haijawi-Pirchner
Zusammenschweißen ist vielleicht zu viel gesagt. Aber die Zusammenarbeit und der Austausch der europäischen Sicherheitsbehörden ist da und gut und funktioniert auch.
Wie groß ist der Einfluss anderer Länder – vor allem der Golfstaaten. Die Saudis bauen in Bosnien Moscheen. profil deckte ein großes Netzwerk an Lobbyingtätigkeiten der Emiratis auf – und Qatar spielt dasselbe Spiel auf der anderen Seite. Der Iran ist im Vormarsch, wie ist die Gemengelage auf österreichischem Boden?
Haijawi-Pirchner
Wir sehen starken ausländischen Einfluss gerade im Bereich der Finanzierung, das betrifft auch die Terrorismusnetzwerke – aber da kann ich mich zu konkreten Ermittlungen nicht äußern.
Sie sprechen wohl implizit die Operation Luxor an. Die angebliche Muslimbruderschaft wurde beschuldigt, etwa auch konkret die Hamas zu finanzieren. Diese Ermittlungen laufen nun schon ewig, und konkrete Finanzierungen wurden bisher noch nicht nachgewiesen. Also, was weiß man wirklich konkret?
Haijawi-Pirchner
Die Ermittlungen sind extrem komplex, wenn sie über Ländergrenzen gehen. Und ja, es ist manchmal schwierig, das dann an konkreten Personen festzumachen, wo und wie die Gelder geflossen sind. Aber gerade was die Terrorismusfinanzierung betrifft, funktioniert der Austausch in Europa hervorragend. Und da gibt es ganz klare, sichtbare Strukturen, wie Terrorismus finanziert wird – und dementsprechend gibt es auch Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaften.
Hat man in Österreich genug qualifiziertes und differenziertes Wissen zum Thema Islam – auch in den Institutionen. Man hat oft das Gefühl, alles wird über einen Kamm geschoren, dabei wäre eine Differenzierung für die zielgenaue Ausmachung von Gefahrenpotenzialen wohl sehr hilfreich.
Haijawi-Pirchner
Selbstverständlich haben wir im Verfassungsschutz Personen mit entsprechendem akademischen Hintergrund, die über dieses Spezialwissen verfügen.
Haben Sie arabischsprachige Mitarbeiter im Amt?
Haijawi-Pirchner
Ja.
Ein Amt wie die DSN muss sich permanent wandeln, weil es ja immer neue Herausforderungen gibt. Mit der Strukturreform wurde viel gemacht – aber wo will man sich auch in Anbetracht der Gefahrenlage vermehrt hinentwickeln?
Haijawi-Pirchner
Wir haben die Reform des österreichischen Verfassungsschutzes und den damit einhergehenden Personalaufbau noch nicht abgeschlossen und werden weiter qualitätssteigernde Maßnahmen setzen. Wir haben im Gesetz ein Qualitätsmanagement implementiert – im Sinne dieses Qualitätsmanagements sind wir bemüht, unsere Arbeit ständig weiterzuentwickeln und zu verbessern. Die Reform der Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung steht an – darauf ist derzeit unser Fokus gerichtet, damit wir auch in den Bundesländern bestmöglich aufgestellt sind und vor allem mit der DSN bestmögliche Synergien finden. .