Europa-Streit
Zu einer Verwerfung zwischen Nehammer und Edtstadler kam es im Jänner des heurigen Jahres. Nach dem Wunsch des Bundesparteiobmanns sollte Edtstadler Spitzenkandidatin für die Europawahl am 9. Juni werden.
Doch Edtstadler weigerte sich beharrlich. Schließlich habe sie schon fünf Jahre zuvor auf der Liste für die EU-Wahl kandidiert. So musste der langgediente ÖVP-Politiker Reinhold Lopatka ran, der sich wider Erwarten gut schlug. Die ÖVP landete auf dem zweiten Platz, nur 0,9 Prozentpunkte hinter der FPÖ. Noch am Wahlabend hob neben Jubel Gemurre an: Mit Edtstadler als Spitzenkandidatin wäre sogar ein Sieg möglich gewesen. Die angeschlossene Kritik: Die „Karo“ habe ihre Gesinnungsgemeinschaft im Stich gelassen.
Dass Österreichs EU-Kommissar-Posten an Finanzminister Magnus Brunner und nicht an Edtstadler ging, kann auch als Sanktion durch den Kanzler interpretiert werden. Zudem dürfte ihn das interne Geraune, Edtstadler sei eine ernst zu nehmende Alternative an der Parteispitze, irritiert haben.
Zweifellos wäre Edtstadler als Europaministerin für den Job der EU-Kommissarin geeignet gewesen. Sie war Richterin, spricht fließend Englisch und Französisch und arbeitete beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Ihre Enttäuschung war groß. Zumal sie sich oft raufbereit zeigte, wenn es um die Durchsetzung von ÖVP-Interessen ging. So attackierte sie wiederholt Klimaministerin Eleonore Gewessler für deren Alleingänge in Brüssel, etwa in Zusammenhang mit der EU-Renaturierungsverordnung oder Österreichs Nationalem Klimaplan.
Einen Fehler leistete sich Edtstadler allerdings im heurigen April, als sie bei einer Veranstaltung der Industriellenvereinigung davon sprach, die Österreicher müssten „eher mehr als weniger arbeiten“, um den Wohlstand zu erhalten. Die Opposition nahm das Zitat dankbar auf und unterstellte der ÖVP sinistre Arbeitszeitverlängerungsfantasien. Der Kanzler zürnte.
Kickls Aufpasserin
Loyalität zählt in der Politik zu den Kardinaltugenden. Wer die Parteifreundschaft nicht ehrt, gerät rasch unter Generalverdacht. Als Illoyalität wird es schon ausgelegt, wenn man wie Edtstadler nicht steuerbar ist. 2017 war sie vom damaligen ÖVP-Obmann und Bundeskanzler Sebastian Kurz als Staatssekretärin ins Innenministerium geschickt worden, um auf FPÖ-Ressortchef Herbert Kickl aufzupassen. In der ÖVP-Grünen-Koalition stieg sie 2020 zur Ministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt auf, allerdings gelten Kanzleramtsminister mangels eigenem Ressort als Regierungsmitglieder zweiter Klasse. Schon damals stand Edtstadler der Sinn nach Höherem. Sie wäre gern Innenministerin geworden, scheiterte aber an der ÖVP-internen Machtlogik. Das Innenministerium gilt als einflussreiches Ressort und steht damit einem mächtigen Bundesland zu. Edtstadlers Landespartei, die Salzburger ÖVP, verfügt über zu wenig Gewicht.
Allerdings verstand es Edtstadler, ihren Einflussbereich geschickt auszuweiten. EU- und Verfassungsagenden sind Querschnittsmaterien – de facto fühlte sich die Ministerin für alles zuständig. Dazu begann Edtstadler, sich von Sebastian Kurz und dessen engstem Führungskreis zu emanzipieren. Allerdings übersah sie dabei, sich eine eigene Hausmacht in der ÖVP zu schaffen: weder in der Salzburger Landespartei noch im Arbeitnehmerbund ÖAAB, in dem sie immerhin als Stellvertreterin des Bundesobmanns, Parlamentsklubchef August Wöginger, fungiert.
Bei der Umgestaltung der ÖVP-Regierungsriege nach Sebastian Kurz’ Abgang aus der Politik im Dezember 2021 kam sie abermals nicht zum Zug. Nehammer wurde Bundeskanzler, sein Nachfolger im Innenministerium der Niederösterreicher Gerhard Karner.
Die Ministerin durfte wenigstens hoffen, die von Sebastian Kurz im Kanzleramt verantworteten Medienagenden zu erhalten, die viel Öffentlichkeit und Einfluss garantieren. Doch Karl Nehammer übertrug die Zuständigkeit für Medien an seine zweite – für Frauen, Familien und Integration zuständige – Kanzleramtsministerin Susanne Raab.
Gehen, um zu bleiben
Im Gegensatz zur Darstellung der „Salzburg-Krone“ verabschiedet sich Edtstadler allerdings nicht aus der „Spitzenpolitik“. Zwar will sie in Salzburg eine Anwaltskanzlei aufbauen, ihr Nationalratsmandat wird sie aber behalten. Aufgrund ihrer Erfahrungen könnte sie auch eine wichtige Bereichssprecher-Funktion erhalten.
In der „Krone“ ließ sie sich mit den Worten zitieren: „Das starke Ergebnis bei den Nationalratswahlen, das ich in Salzburg bekommen habe, sehe ich als Auftrag, die Interessen meines Bundeslandes in den kommenden fünf Jahren als Abgeordnete zum Nationalrat mit vollem Einsatz zu vertreten.“
Das „starke Ergebnis“ war eine krachende Niederlage: Die ÖVP stürzte um 14,8 Prozentpunkte auf 31,6 Prozent ab, blieb aber vor der FPÖ mit 27,7 Prozent. Die 1788 Vorzugsstimmen für Edtstadler, die an der Spitze der VP-Landesliste kandidierte, reichten zwar für den ersten Platz unter allen Kandidaten in Salzburg, sind aber auch nicht gerade ein Nachweis von Stärke.
Umzug nach Salzburg ins Landeshauptmannbüro?
Edtstadlers plötzlicher Fokus auf Salzburg löste Spekulationen aus, sie wolle dereinst Wilfried Haslauer als Landeshauptmann beerben, der voraussichtlich Ende 2025 sein Amt zurücklegt. Allerdings haben sich Haslauer und die Landespartei bereits auf Verkehrslandesrat Stefan Schnöll festgelegt. Auch Edtstadler sprach sich wiederholt für Schnöll aus. Zudem muss der neue Landeshauptmann vom Landtag gewählt werden. Und dabei spielt die seit dem Vorjahr mitregierende FPÖ unter Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek eine entscheidende Rolle. Die Freiheitlichen würden für Schnöll stimmen, für die Quereinsteigerin Edtstadler wohl nicht. Dennoch könnten Teile der Salzburger Volkspartei in Versuchung geraten, die scheidende Ministerin in den kommenden Jahren als Landeshauptfrau aufzubauen.
Edtstadler selbst hat politische Ambitionen im Land Salzburg stets verneint. Als Nationalratsabgeordnete begibt sie sich nun in den politischen Warteraum. Ob es zu einer Dreierkoalition unter Nehammers Führung kommt, ist ungewiss; ebenso, ob dieses Bündnis dauerhaft halten kann. Sie könnte also bald wieder gefragt sein.
Für die ÖVP bedeutet Edtstadlers Rückzug – nach dem Wechsel von Magnus Brunner in die EU-Kommission und von Wirtschaftsminister Martin Kocher in die Nationalbank – einen weiteren Braindrain. Mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Innenminister Gerhard Karner wird die ÖVP-Regierungsmannschaft zur Niederösterreich-Filiale.
In Nehammers Verhandlungsteam ist Edtstadler weiterhin vertreten. Der Umzug nach Salzburg wird daher wohl erst später erfolgen, ebenso der Aufbau ihrer Rechtsanwaltskanzlei. Auch privat wartet auf Edtstadler eine neue Aufgabe. Seit wenigen Monaten ist die 43-Jährige Oma.