Ein innenpolitisches Sommerloch wie damals
Der Bundeskanzler hat mit seinem Sommerurlaub kein Glück. Eigentlich hatte Karl Nehammer heuer eine Auszeit mit Familie in Griechenland geplant. Doch die dramatischen Waldbrände, vor denen viele Touristen flüchten müssen, lassen die Reisepläne wackeln. Schon im Vorjahr fielen die Griechenland-Ferien der Nehammers ins Wasser: Damals erreichte die Teuerungs-Welle im Sommer einen ersten Höhepunkte, die Preise kletterten in immer neue Rekord-Höhen – und der Griechenland-Urlaub wurde storniert, mehr als ein verlängertes Wochenende am Wörthersee erschien Nehammer im Vorjahr nicht drin.
Heuer ginge mehr, ein akut drängendes Riesen-Thema, um das sich die Regierung und prompt und ohne Zeitverzögerung kümmern müssten, existiert nicht. Keine Frage: All die Dauer-Themen, die Österreich seit Monaten beschäftigen, machen keine Sommer-Pause: In Krankenhäusern fehlt Personal, auf Arzttermine und Operationen muss zu oft zu lange gewartet werden, die Kosten für Energie sind zu hoch, die Klimakrise zeigt immer dramatischere Auswirkungen. Nur: Keines dieser Problem-Felder ist plötzlich aufgetaucht.
Leichtes Infotainment
Neu ist in diesem Polit-Sommer bloß die von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner angezettelte Debatte, wer oder was eigentlich „normal“ ist. Vizekanzler Werner Kogler steuerte im profil-Interview bei, dass er die Auseinandersetzung um normal und nicht normal gefährlich und „präfaschistoid“ findet. Worauf die Wogen hochgingen – und der um Kalmierung bemühte Finanzminister Magnus Brunner, der stets freundliche Sunnyboy der Regierung, die Diskussion als „Beginn einer Sommerlochdebatte“ einordnete.
Da war es also, das vermisste Wort: Sommerloch! Lange nicht mehr gehört!
Ein Begriff, der vieles verheißt: Nachrichten, die sich um fabelhafte Tiere oder seltene Phänomene drehen, um leicht verdauliches Infotainment oder abseitige Ideen – kurz: um Themen, die vor allem an Nebenschauplätzen spielen. Und zudem den Vorteil haben, dass alle auch ohne Vorwissen ihre Meinung beisteuern können.
So viel innenpolitische Sommerpause wie heuer begab sich schon lange nicht mehr. Denn davor dominierte jeden Sommer hektische Daueraufregung: Im Jahr 2022 steigen die Preise drastisch an, Anti-Teuerungspakete werden geschnürt, gleichzeitig hektisch versucht, die Gas-Speicher zu füllen. Im Sommer 2021 wehrt sich der einstige türkise Superstar Sebastian Kurz gegen sein Aus als Kanzler und attackiert die Justiz, während die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt und die Chats von Thomas Schmid, dem Mann mit Talent für kultige Formulierungen, die Republik erschüttern. Im Oktober tritt Kurz als Kanzler zurück.
Corona und Ibiza
Der Sommer 2020 steht ganz im Zeichen der Corona-Pandemie: Der erste lange Lockdown ist vorbei, eine Impfung noch nicht in Sicht, Kontaktbeschränkungen und sonstige Auflagen dominieren, genauso wie hitzige Polit-Debatten über die richtige Anti-Corona-Strategie, die im Beschluss der Masken-Pflicht mündet.
Auch im Sommer 2019 ist an ein Sommerloch nicht zu denken: Das Ibiza-Video hat die ÖVP-FPÖ-Koalition in die Luft gesprengt, die Regierung Kurz ist via Misstrauensantrag enthoben, es verwaltet eine Expertenregierung unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein – und der Wahlkampf für die Nationalratswahl tobt (die im September einen Kantersieg der ÖVP und ein fulminantes Comeback der Grünen bringt).
Die Sommer davor, ebenso hektische Betriebsamkeit: 2018, Aufregung um blaue Rattengedichte und Riesen-Demonstrationen gegen den 12-Stunden-Tag (der am 1. September beschlossen wird).
2017, der Showdown zwischen Sebastian Kurz und Christian Kern im Nationalratswahlkampf.
Ein Jahr Hofburg-Wahlkampf
Sommer 2016, die dritte Runde im einjährigen Versuch, einen Bundespräsidenten zu wählen (die am mangelhaften Kleber für die Kuverts scheitert), der neue Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern versucht die Leere in der Hofburg zu nützen, sich als Staatsmann zu etablieren und die Große Koalition aus dem Koma zu holen.
2015, die große Flüchtlingswelle, Quartiere platzen aus allen Nähten, Flüchtlinge marschieren auf den Straßen aus Ungarn. 2014, ÖVP-Obmann Michael Spindelegger gibt entnervt auf, Wechsel zu Reinhold „Django“ Mitterlehner. 2013, Nationalratswahlkampf.
Seit dem Jahr 2013 begab sich nie ein Sommer mit Sommerloch, sondern stets drängende Themen, hyperventilierendes Wer-gegen-Wen, Wahlkämpfe, Show-Downs um die Parteispitzen. Fast begannen Polit-Beobachter, die typischen Sommer-Debatten zu vermissen – etwa die ewigen österreichischen Klassiker wie: Den Bundesrat abschaffen? Den Föderalismus begrenzen? Beides lässt sich risikofrei diskutieren, weil von vornherein feststeht, dass sich ohnehin nichts ändert. Oder nur mit gehöriger Zeitverschiebung: Die Frage, ob Frauen zum Bundesheer dürfen, fällt seit 1998, seit Soldatinnen möglich sind, als Sommer-Aufregung flach.
Der König des Sommerlochs
Eine themenarme Phase, in der noch dazu die erste Reihe der Politik urlaubt, kann geschickten Politikern die Chance bieten, mehr Aufmerksamkeit für sich und ihre Positionen zu erzeugen. Der ÖVP-Jungspund Christopher Drexler nutzte das regelmäßig, schwang sich zum König des Sommerlochs hoch und nutzte jeden Sommer wieder für einen lautstarken Tabubruch: Er forderte seinerzeit 160 auf Autobahnen (Sommer 2003), die Homo-Ehe (2004), verpflichtenden Sozialdienst für Asylwerber (2005), Pflicht-Pflegeversicherung für Kinderlose (2006) oder das Ende der Neutralität (Sommer 2007). Heute ist Drexler Landeshauptmann der Steiermark. Und der Thron des Sommerloch-Königs unbesetzt.
Der Sommer kann sich auch dafür eignen, ein neues Thema zu setzen: Die damalige ÖVP-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat forderte im Sommer 2005, in der Bundeshymne auch die „großen Töchter“ zu besingen. Und landete damit einen hitzig debattierten Polit-Heuler. 2011 wurde aus der Forderung sogar ein Gesetz.
Am alleröftesten wird das Sommerloch aber mit Tieren gefüllt: Einer angeblich entlaufenen Löwin in Berlin, die sich als Wildschwein entpuppte. Der Krake „Paul“, die Ergebnisse von Fußballspielen vorhersagen kann. Oder, in der Wiener Variante: Einem Tiergarten-Direktor, der Tieren vermeintlich ihre Name nehmen will – und dann zurückrudert. Da ist es nicht mehr weit zu einem Veteranen des Sommerlochs: Dem Ungeheuer von Loch Ness.