Niederösterreich

„Ein schmerzhafter Tag“: Als die ÖVP ihre absolute Macht verlor

Zwei Ergebnisse schocken die ÖVP an diesem Tag: Das historisch schlechteste Abschneiden der eigenen Partei. Und dass die FPÖ erstmals auf Platz zwei liegt. Szenen eines unüblichen Wahltags in Niederösterreich.

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Wie Johanna Mikl-Leitner reagierte, als der Balken bei der Hochrechnung nach oben wuchs und kurz vor der 40-Prozent-Marke stehen blieb, ist nicht überliefert. Vor fünf Jahren sah man noch Bilder von dem Moment, als die Landeshauptfrau mit ihrer ÖVP-Familie jubelte. An diesem Wahlsonntag blieb sie aber die ersten Minuten nach Wahlschluss für sich, ohne Öffentlichkeit. Auch ihren Vorgänger, Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll, sah man nur kurz vor Wahlschluss am Medienraum vorbeilaufen. Es war Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner, der vor den Kameras im Landtagsklub der ÖVP stehen musste.

Als das ÖVP-Ergebnis eingeblendet wurde, presste er die Lippen zusammen. Es ist das historisch schlechteste Ergebnis. Als das FPÖ-Ergebnis angezeigt wurde, stieß er ein leises „Puh!“ aus. Die Freiheitlichen sind erstmals auf Platz zwei.

Die jungen Wahlhelfer, die dafür sorgten, dass nicht nur Kameras den Saal füllten, trugen zwar trotz Hitze ihre blau-gelben Jacken. Aber es gab keinen Jubel, kein Klatschen – nur Stille.

Von der absoluten Mehrheit im Landtag hatte sich die ÖVP emotional schon länger verabschiedet. Aber die absolute Macht im Land, die wollte man noch länger behalten.

Die ÖVP hoffte daher bis zum Schluss, die 40-Prozent-Hürde doch noch zu schaffen. Das hätte nicht nur psychologische Gründe, der Wert hat auch praktische Auswirkungen: Wäre die ÖVP klar über 40 Prozent, würde die Partei die Mehrheit der Sitze in der Landesregierung behalten. Die komplizierte Wahlarithmetik sorgte dafür, dass es an diesem Abend nicht sofort klar ist. Es wäre jedenfalls das erste Mal in der Zweiten Republik, dass die ÖVP in der Regierung nicht die Mehrheit hat. Mindestens fünf von neun Regierungssitzen bräuchte sie dafür, aber aller Voraussicht nach stellt sie in Zukunft nur vier. 39,94 Prozent bekommt die Partei laut dem vorläufigen Ergebnis.

Die Gewinner: FPÖ-Chef Herbert Kickl und sein Spitzenkandidat Udo Landbauer

Als Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner am Sonntagabend im Landhaus doch vor die Medien trat, sprach sie von einem „schmerzhaften Tag“. Die Schuld, und das sagte auch Landesgeschäftsführer Ebner, liege nicht bei der ÖVP und vor allem nicht bei der Landeshauptfrau. Schuld sei der Zeitgeist, der absolute Mehrheiten nicht mehr vorsieht. Das Vertrauen, das die Bevölkerung nicht mehr in die Politik hat. Und die FPÖ, die diese Wahl zu einer Bundes-Wahl und zu einer Protest-Wahl gemacht hätte. Auch Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer kam nach St. Pölten, um Mikl-Leitner zu unterstützen: Er werde alles tun, „um Menschen auf bundespolitischer Seite zu überzeugen, dass die Regierung ihre Sorgen ernst nimmt“.

Auch die SPÖ (im Bild Spitzenkandidat Franz Schnabl) hat ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. 

Trotz allem will Mikl-Leitner irgendwie weitermachen wie bisher und Arbeitsübereinkommen mit SPÖ und FPÖ abschließen. Die vergangenen fünf Jahre regierte die Landeshauptfrau zwar mit absoluter Mehrheit, durch den Proporz aber dennoch nicht alleine: SPÖ und FPÖ waren bisher in der Landesregierung vertreten – und das sind sie auch in Zukunft. Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefällt, Mikl-Leitner braucht also mindestens einen Partner in der Regierung. Womöglich muss die ÖVP auf die Suche nach einem offiziellen Koalitionspartner gehen.

Die FPÖ wird es eher nicht werden. Am Sonntagabend, gegen 21.30 Uhr, zog Spitzenkandidat Udo Landbauer in die Parteizentrale ein, begleitet von FPÖ-Chef Herbert Kickl, Jubelchören von den Gästen und „Holding out for a Hero“ von Bonnie Tyler aus den Lautsprecherboxen. „Der wind of change ist angekommen, rief Kickl den Funktionärinnen und Funktionären zu. Man feierte nicht nur das eigene Ergebnis, sondern auch die Schwäche der FPÖ. Kickl: Und morgen schlafen wir uns aus.

Johanna Mikl-Leitner wird bei ihren Verhandlungsrunden wohl ohnehin nicht bei der FPÖ beginnen. 

Für den Wahlabend lud die ÖVP zwar zu einer internen Veranstaltung in ein Hotel. Man nannte das Event aber explizit nicht Wahlparty, sondern „Dankesabend“.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.