Eine griechische Tragödie
Noch vor zwei Wochen bin ich, berufsbedingt, bei der verdammt großen Wiener Corona-Demonstration in Wien mitgelaufen; stand am Straßenrand, ging in die Mitte des Menschenstroms, trug eine Maske im Gesicht, machte Fotos, wurde angepöbelt, gestoßen, kam zu Fall, rappelte mich hoch ehe die Menge über mich hinwegtrampelte, stellte mich wieder an die Seite. Drei Stunden stand ich da und schaute. Die Menschen blickten durchwegs böse zurück. Selbst die mit den Jesus-Plakaten. Ich registrierte wie kleine Gruppen von Identitären und notorischen Neonazis die Parolen, die Aufschriften auf den Transparenten und den gesamten Auftritt orchestrierten. Die Wenigen hatten die Vielen im Griff.
In meiner Heimatstadt Graz gingen nach Angaben der Polizei an einem Wochenende 30.000 Leute gegen die Impfpflicht und anderen Corona-Maßnahmen auf die Straße. So viele Grazer und Grazerinnen hatten sich noch nie für oder gegen etwas engagiert- sieht man einmal von der Hitler-Begeisterung ab, die Graz den „Ehrentitel“ Stadt der Volkserhebung einbrachte.
Vor wenigen Tagen kam ein Mann auf die Intensivstation, den ich gern habe wie einen Vater, mit Corona infiziert durch ein nahes Familienmitglied, einen Ungeimpften, einen der glaubt, das braucht es nicht.
Der Infizierte ringt auf der Intensivstation mit dem Tod. Alle, die ihn kennen, sind wie vor den Kopf geschlagen. Als begänne die Pandemie erst jetzt. Als hätten wir nicht schon vor knapp einem Jahr einen lieben, einen besten Freund verloren. Aber damals gab es noch keine Impfung für alle. Erich Zawinul, der Konzertmanager, Koch und Sohn des legendären Jazz-Musikers Joe Zawinul starb im Alter von 55 Jahren. Er war zu jung, um unter denen zu sein, die zum Jahreswechsel 2020/21 unter dem Blitzlicht von Fotografen den ersten Stich erhielten.
Aber das jetzt ist wie eine griechische Tragödie. Dieser Vater, Cousin, Ehemann, für manche auch „nur“ Freund, hat uns alle zusammengehalten. Ein liberaler Geist, der aus einem anderen Österreich zu stammen scheint. Er ließ alle reden, blieb aufmerksam und still, um nach dem letzten Gang mit seiner schönen Stimme und literarischen Sprache Begebenheiten aus der Nachkriegszeit zu erzählen, manche lustig, manche ernst. Er stritt auch gern, auch gern emotional, wobei er jede Meinung als so wertvoll erachtete und behandelte wie seine eigene. Er sah immer gleich alt aus und wirkte unsterblich. Er konnte und durfte selbst nicht krank werden, da er sich um all die Problemkinder, Maladen und Gefährdeten um ihn herum kümmern musste, die ihn brauchten wie die Luft zum Atmen. In der Haut des Impfgegners möchte man nicht stecken.
Nach deutschen Zeitungsberichten rufen bekannte rechtsradikale Impfgegner und Verschwörungsideologen in kleinen und größeren Städten Sachsens zu so genannten „Spaziergängen“ auf. Sie skandieren Mordaufrufe gegen den amtierenden Ministerpräsidenten. Viele Unzufriedene, die ihnen folgen, wollen damit nichts zu tun haben, haben jedoch keinerlei Bedenken, sich einzureihen. Der sächsische Verfassungsschutz ist ratlos angesichts dieser Ungerührtheit.
So ungerührt wird niemand bleiben können, der liest, was die Intensivmedizinerin Stephanie Neuhold meiner Kollegin Edith Meinhart über ihre Arbeit auf der Intensivstation am Klinikum Wien Favoriten erzählt. Eine traurige Erkenntnis: „Nicht nur das Virus wurde aggressiver, auch die Angehörigen - die nicht geimpft, nicht gut getestet, herumschreien und dabei viele Aerosole von sich geben“, sagt die Ärztin
So geht's übrigens auch bei jeder Anti-Corona-Demo zu: Nicht geimpft, wenig getestet, ohne Maske wird geschnaubt und geschrien.Beten hilft da wohl nicht, aber Impfen – zum Beispiel im Stephansdom.
Bleiben Sie gesund, wünscht Ihnen
Christa Zöchling
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