Experte zur Väterkarenz: „Viele Männer erwischt es kalt“
Väter, die in Karenz gehen, sind in Österreich eine Seltenheit. Die Regierung will jetzt gegensteuern. Nützt der politische Druck? profil hat mit dem Väterarbeiter Dieter Breitwieser-Ebster über faire Elternschaft, fehlende Vorbilder und das Totschlagargument Geld gesprochen.
Noch immer gehen in Österreich deutlich weniger Männer als Frauen in Karenz. Bei acht von zehn Paaren gehen Männer weder in Karenz, noch beziehen sie Kinderbetreuungsgeld. Zehn Prozent der Väter nehmen die Karenz nicht länger als drei Monate in Anspruch. Nur zwei Prozent der Väter in Partnerschaften unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit für drei bis sechs Monate, lediglich ein Prozent länger als ein halbes Jahr. Dies zeigte eine Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2022.
Dabei sind sich Expertinnen und Experten einig: Würden mehr Männer länger in Karenz gehen, könnte das Einkommens-, Karriere- und Pension-Unterschiede zwischen den Geschlechtern verkleinern. Die schwarz-grüne Regierung hat jetzt einen Gesetzesantrag eingebracht – demnach müssen bei einer 24-monatigen Karenz künftig zumindest zwei Monate vom “anderen Elternteil” in Anspruch genommen werden, wenn Eltern die volle Karenzzeit ausschöpfen möchten.
Nicht nur die Gesellschaft, die Kinder und Männer oder der andere Elternteil gewinnen durch eine Karenz, sondern auch die Unternehmen.
Ein Gespräch mit Auskenner Dieter Breitwieser-Ebster. Der Wiener Sozialarbeiter vom Verein „Papainfo“ war selbst insgesamt 14 Monate in Väterkarenz und leitet Workshops für werdende Papas und Elternpaare.
Mit Ende 20 wusste ich, dass ich mal Papa sein und mich auch einbringen möchte. Es war aber auch für mich schwierig, wenn man nach Jahren der Selbstständigkeit plötzlich kein klassisches Einkommen mehr hat und auf das Karenzgeld angewiesen ist. Viele Männer erwischt es kalt, wenn sie ihre Partnerin um Geld fragen müssen, um den Wocheneinkauf zu erledigen. Um eine gute Kommunikation kommt man nicht herum.
Frauen verdienen in Österreich immer noch weniger als ihre Partner. Was sagen Sie Männern, die meinen, eine Väterkarenz gehe sich finanziell nicht aus?
Breitwieser-Ebster
Das glaube ich den Männern auch. Ein Kredit muss womöglich abbezahlt werden, man will ein Auto, manche wollen sich auch einen Swimmingpool leisten. Es gibt unterschiedliche Studien, die sagen, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Väter mehr Zeit zu Hause mit den Kindern verbringen wollen. Ich sage den Männern: Bekennt Farbe! Was ist euch wichtig? Ich denke, dass es in Wahrheit selten ums Geld geht. Vielmehr geht es darum, wie man sich die Kinderbetreuung fair teilt und die eigenen Prioritäten setzt. Da ist man als Paar ohnehin schon im Vorteil. Denken Sie nur an Alleinerziehende, die allein monetär viel weniger zur Verfügung haben, sich keine Auszeiten nehmen können.
Väterarbeiter Dieter Breitwieser-Ebster: „Gesteht es euch und euren Partner zu, dass man Fehler machen darf.“
Nur 20 Prozent der Männer gehen in Karenz. Muss die Väterkarenz positiv besetzt und neu gedacht werden?
Breitwieser-Ebster
Nicht nur die Gesellschaft, die Kinder und Männer oder der andere Elternteil gewinnen durch eine Karenz, sondern auch die Unternehmen. Wenn eine Person aus der Karenz zurückkommt, bringt sie wichtige Eltern-Skills mit, die in jedem modernen Unternehmen gefragt sind. In Unternehmen werden Männer noch immer als Konstante und Frauen als Variable gesehen. Dass das eine Herausforderung für Unternehmen ist, wenn man gut eingearbeitetes Personal für ein paar Monate verliert, ist klar. Man sollte dieses Thema aber gesamtgesellschaftlich sehen.
Was hat die Gesellschaft von fair aufgeteilter Kinderbetreuung?
Breitwieser-Ebster
Kinder profitieren intellektuell und sozial davon, wenn sie unterschiedliche Bezugspersonen haben. Außerdem wird es in Zukunft notwendig sein, dass nicht nur Frauen fürsorglich sind, einen Gutteil der Care-Arbeit erledigen und die Angehörigen pflegen. In Schweden wurde ein moderneres Karenzsystem eingeführt, als es einen Fachkräftemangel gab. Mit guter Kinderbetreuung und einem ausgeglichenen Karenzsystem könnten auch in Österreich mehr gut ausgebildete Frauen mehr als 20 Stunden arbeiten.
Die Regierung versucht jetzt mit einem Gesetzesantrag, Männer zumindest für ein paar Monate in die Karenz zu bringen. Muss man Männer wirklich dazu zwingen?
Breitwieser-Ebster
Es ist interessant, dass bei diesem Entwurf der “Zwang” als erstes hängen bleibt. Das scheint ein österreichischer Reflex zu sein, wenn man hört, dass sich etwas ändern soll. Als würden wir hier über etwas Schlimmes sprechen. Ich denke, die Gurtpflicht im Auto regt heute auch noch kaum jemanden auf.
Ist dieser politische Druck notwendig?
Breitwieser-Ebster
Ja. Mir fehlen aber die notwendigen Begleitmaßnahmen. Denn durch den Gesetzesvorschlag ändert sich noch nichts. Das Einzige, was passiert: Eltern können zwei Monate weniger Karenz in Anspruch nehmen, wenn nur ein Elternteil in Karenz geht. Im Europavergleich hat man in Österreich noch immer ein recht langes Bezugssystem und arbeitsrechtliche Möglichkeiten, in Karenz zu gehen. Was in Österreich fehlt, ist eine flächendeckende, adäquate Kinderbetreuung. Außerdem hat die Kinderbetreuung durch geschultes Fachpersonal zum Beispiel in Skandinavien einen hohen Stellenwert, während in Österreich noch immer viele Menschen der Meinung sind, ein Kind würde leiden, wenn es nicht bei der Mutter ist.
Setzen sich Menschen zu spät mit Elternschaft auseinander?
Breitwieser-Ebster
Beim ersten Kind sind die meisten Eltern schon in der Rush Hour des Lebens, haben eine gute Arbeitsstelle, machen Karriere, bauen ein Haus oder stecken ihr Geld in die Miete für die Wohnung. Sinnvoll wäre ein Unterrichtsfach in der Schule - wie auch bei Politischer Bildung -, in dem man über verschiedene Arten von Familie, Erziehung und Elternschaft lernt und spricht. Im Idealfall müsste man sich zehn Jahre vor dem ersten Kind Gedanken über die Elternschaft machen.
Mit guter Kinderbetreuung und einem ausgeglichenen Karenzsystem könnten auch in Österreich mehr gut ausgebildete Frauen mehr als 20 Stunden arbeiten.
Fehlt es in Österreich nicht auch an Vorbildern?
Breitwieser-Ebster
Ja, es fehlen in den Unternehmen die Chefinnen oder Chefs, die ein paar Monate weg sind und in Teilzeit zurück in den Job kommen. Es sollte okay sein, wenn ich um 15 Uhr im Kindergarten sein muss und das Meeting nicht erst am Nachmittag angesetzt wird. Die Vorbilder fehlen aber auch in der Politik, wenn sich hochrangige Regierungsmitglieder vermeintlich aus der Politik zurückziehen, um sich mehr um die Familie zu kümmern und zwei Monate später im Silicon Valley neue Aufträge annehmen und durch die Welt jetten.
Muss man die Mütter mehr in die Pflicht nehmen, ihren Partnern keine Wahl in Sachen Kinderbetreuung zu geben?
Breitwieser-Ebster
In unseren Workshops versuchen wir zu vermitteln, dass beide Elternteile Verantwortung übernehmen - aber auch abgeben sollten. Es gibt viele gute Gründe, warum die Mutter mit der Karenz beginnt und Frauen dadurch einen Startvorteil und mehr Übung im Umgang mit dem Kind haben. Das heißt aber nicht, dass die Väter diesen Wissensrückstand nicht aufholen können. Es sind zwei verschiedene Personen mit unterschiedlichen Historien und Wertvorstellungen, die hier Pflichten übernehmen. Das heißt: Jeder wird das Kind anders halten, füttern, beruhigen und zu Bett bringen. Ganz wichtig ist, dass man nicht perfekt sein muss. Ich sage den werdenden Eltern dann gerne: Gesteht es euch und euren Partner zu, dass man Fehler machen darf.
Wie schafft man es als Eltern, die Paarbeziehung aufrechtzuerhalten?
Breitwieser-Ebster
Es ist wichtig, sich in der Kindererziehung gemeinsam auf einen Mittelweg zu einigen und der anderen Person Freiräume zuzugestehen. Wenn man dieses Vertrauen geben kann, bekommt man es vielleicht auch zurück. Sei es durch Intimität oder höhere Zufriedenheit. Das kann man pathetisch auch als Scheidungsprävention sehen.
Sehen Sie in Österreich, vor allem seit den Corona-Jahren, eine Art Retraditionalisierung?
Breitwieser-Ebster
Es ist sehr schwer zu verallgemeinern, weil Elternschaft und Care-Arbeit bei den Menschen so individuell sind. Es soll aber auch nicht sein, dass die Person, die länger beim Kind ist, sich automatisch um Haushalt und all den Rest kümmern muss. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es leider keine Schablone. Die positive Nachricht ist: Es gibt sehr viele kleine Schrauben, an denen man drehen kann, damit es für die Familien leichter wird.
Mit Kollegen betreiben Sie den Verein “Papainfo”, organisieren Workshops, Online-Beratungen und Babycafés. Wie landen Väter bei Ihnen?
Breitwieser-Ebster
Es gibt wenige Männer, die direkt auf uns zugehen, auch mit dem Argument: Das werden wir schon alleine hinkriegen. Meine Gegenfrage lautet dann: Was machst du, wenn du in der Arbeit eine neue Aufgabe bekommst, nimmst du einen Kurs, oder schaust du dir Tutorials auf YouTube an? Es ist noch nicht überall angekommen, dass Elternarbeit auch Männersache ist. Wenn die Männer aber zu unseren Veranstaltungen kommen, gefällt es ihnen. Sie profitieren schon allein durch den gegenseitigen Austausch.
Frauen sind auch hier weiterhin die treibende Kraft?
Breitwieser-Ebster
Die meisten Männer kommen durch die Geburtsvorbereitungskurse zu uns, die sie mit ihren Partnerinnen machen oder weil die Mütter schon angedockt sind. Männer gehen weniger zum Arzt oder zur Vorsorgeuntersuchung und kommen erst, wenn es brennt und es ein konkretes Problem gibt. Dabei sind wir eine Organisation, die mit präventiven Maßnahmen arbeitet, Wissen vermittelt und nicht erst mit den Leuten reden möchte, wenn es zu spät ist.
Suchen sich Männer heute schneller Hilfe oder Austausch?
Breitwieser-Ebster
Es gibt einen regelrechten Boom von Vaterschaftsberichten und Büchern, in denen Männer ihr Wissen kundtun. Ich denke schon, dass sich Männer heute mehr mit dem Thema beschäftigen, sich im Internet informieren oder Videos ansehen. Bei uns in der Beratung gibt es noch Luft nach oben.
Zur Person
Dieter Breitwieser-Ebster ist ausgebildeter Kindergärtner, arbeitet im Sozialbereich und leitet seit 2016 Workshops für werdende Väter im St. Josef Krankenhaus in Wien. Mit dem Verein “Papainfo” wendet er sich an Väter vor, während und nach der Geburt.