Diese SPÖ-Lokale im Gemeindebau bekommen keine Mieterhöhung
Von Stefan Melichar und Jakob Winter
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Auf Stiege 5 ist neben den Familien Mayer und Jankovic auch die SPÖ zu Hause. Die bröckelnde Fassade des Gemeindebaus in der Breitenseer Straße im 14. Wiener Bezirk sieht so aus, als wäre sie seit der Errichtung in den 1950er-Jahren nie saniert worden. Auch die vergilbten Buchstaben auf einer Wand im Innenhof des Gemeindebaus haben schon bessere Tage gesehen: S. P. Ö. steht da in großen Lettern, darunter war einmal „Sektion 11“ zu lesen, allerdings haben nur die Buchstaben E, I und N die Jahrzehnte überdauert.
Die roten Sektionsabende finden hier immer montags von 19 bis 21 Uhr statt, zumindest steht das auf dem antiquierten roten Schild direkt unter der Hausnummer. Vom Gehsteig aus wirkt es, als würde die SPÖ dieses Haus als das ihre betrachten.
Und gewissermaßen ist das auch so: Die Wiener Gemeindebauten sind für die SPÖ ein Herzstück des roten Selbstverständnisses. In der Zwischenkriegszeit begannen die regierenden Sozialdemokraten in Wien, leistbare Wohnungen für die Arbeiterschicht zu errichten. Heute ist der kommunale Immobilienriese Wiener Wohnen mit seinen 220.000 Wohneinheiten der mit Abstand größte Vermieter der Stadt.
Mietpreisbremse für Parteien
Zu den Mietern zählen nicht nur eine halbe Million Wienerinnen und Wiener – sondern auch politische Parteien. Vor allem die SPÖ hat es sich im Gemeindebau gut eingerichtet. Die Wege zwischen der Stadtpartei und dem Wohnbauressort sind traditionell kurz. Bemerkenswert daran: In mehreren Fällen durften sich Parteien über eine Mietpreisbremse freuen, der Mietzins wurde nicht indexiert. Ganz im Unterschied zu privaten Mietern, die zuletzt deutliche Erhöhungen zu stemmen hatten. Wie ist das möglich?
profil hat sich auf die Suche nach den Mietverträgen zwischen der Stadt Wien und den Parteien gemacht – und wird dafür nun vor Gericht ziehen. Denn die Kommune und die SPÖ versuchen, die Deals geheim zu halten.
Das rote Sektionslokal im 14. Bezirk ist eines von insgesamt 413 Mietverhältnissen, das zwischen der Stadt Wien und politischen Fraktionen besteht. Der Großteil davon sind Schaukästen, die an den Außenwänden der Gemeindebauten hängen – sie werden von den Parteien für Plakatwerbung genutzt. Alleine die SPÖ verfügt laut einer Auflistung des Stadtrechnungshofs aus dem Mai 2023 über 239 dieser Werbeflächen. Die Veröffentlichung des Berichts sorgte damals für Kritik, denn für viele der Flächen auf öffentlichen Gebäuden zahlen die Parteien keinen Cent. Außerdem hat Wiener Wohnen keinen vollständigen Überblick über die Schaukästen auf ihren eigenen Häusern. „Mit der Erfassung sämtlicher Schaukästen wurde bereits begonnen“, meldete Wiener Wohnen an den Rechnungshof.
SPÖ-Lokal im Gemeindebau
Als die SPÖ noch "sozialistisch" im Namen trug, waren auch die Mieten günstiger. Bei diesem Lokal in 1170 dürfte seit vielen Jahren die Miete nicht erhöht worden sein.
Die 14 Adressen
Dass der kommunale Wohnbauträger nicht auf Gewinn ausgerichtet ist, zeigt sich noch an einem weiteren Aspekt – der bislang unterbelichtet blieb.
Neben den Schaukästen vermietet Wiener Wohnen auch 98 Lokale, Magazine und Garagen an politische Parteien (siehe Karte). Das geht ebenfalls aus dem Bericht des Stadtrechnungshofs hervor.
Den Knüller im Bericht hat der Stadtrechnungshof ein wenig unterverkauft: Bei 14 dieser Lokalitäten wurde „keine Indexierung durchgeführt“, schreiben die Prüfer trocken. Das heißt: Es dürften keine regelmäßigen Mieterhöhungen – etwa zur Abdeckung der Inflation – erfolgt sein. Und das teils über Jahrzehnte hinweg. Um welche Objekte es sich konkret handelt, ließen die Prüfer offen.
Mittels einer Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz an Wiener Wohnen brachte profil die Adressen jener 14 Objekte in Erfahrung, die in den Genuss des Mietendeckels kamen. Zwölf sind der SPÖ zuzurechnen, je eines der ÖVP und der KPÖ. Sie verteilen sich über das gesamte Stadtgebiet, das SPÖ-Lokal im 14. Bezirk ist eines davon (siehe Auflistung in der Grafik).
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Wurde die Erhöhung der 14 Mietpreise „bewusst unterlassen“ oder war sie aufgrund des Vertrages nicht möglich? Diese Frage hätte der Stadtrechnungshof gerne beantwortet. Bloß waren bei Wiener Wohnen die Mietverträge nicht auffindbar. Wiener Wohnen rechtfertigte das unter anderem mit einem „Wasserschaden“, der einen Teil der Unterlagen vernichtet hätte. Pech für die Stadt, Glück für die Parteien, allen voran die SPÖ.
Doch wie viel Miete zahlen die Miet-Parteien für die 14 Lokalitäten, bei denen Wiener Wohnen die Preise nicht erhöhen will – oder kann?
Auf das Auskunftspflichtbegehren von profil verweigerte Wiener Wohnen in diesem Punkt die Auskunft aus „datenschutzrechtlichen Gründen“. Also fragte profil bei den Parteien selbst nach.
SPÖ mauert
Die Wiener Sozialdemokraten zogen daraufhin in Windeseile eine Mauer hoch, dicker und undurchdringlicher als jene des monumentalen Karl-Seitz-Hofes im Bezirk Floridsdorf, wo sich eine der betroffenen Adressen findet. Zunächst verwiesen die Genossen darauf, dass man sich „momentan in einer internen Klausur befinde“ und deshalb die Fragen in der gestellten Frist (von Montagfrüh bis Dienstagnachmittag) nicht beantworten könne. profil verlängerte daraufhin die Antwortfrist bis Mittwoch. Am Mittwoch ließ die SPÖ Wien wissen, dass man noch bis Donnerstag brauchen würde. Am Donnerstag hieß es dann: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir zu Vertragsverhältnissen mit Dritten keine Informationen weitergeben.“ Man achte aber immer darauf, „alle rechtlichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen sofort umzusetzen und einzuhalten“. Mehr als drei Tage für eine inhaltliche Nullantwort – gezeichnet mit dem Hashtag „#sogehtwien“.
Die Stadt-Roten ließen sogar die Fragen offen, wofür die jeweiligen Mietobjekte genau genutzt werden. Ein Lokalaugenschein zeigt hier durchaus bemerkenswerte Verquickungen auf. So scheinen einzelne der SPÖ-Mietobjekte regelmäßig und dauerhaft vom „Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser“ (KWP) genutzt zu werden – einem von der Stadt Wien gegründeten Fonds, der für die Stadt Wien Seniorenheime und Pensionistenklubs betreibt und dessen Präsident SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker ist. Die Partei mietet also die Lokale günstig von der Stadt und ermöglicht dann dem stadtnahen KWP zumindest eine Mitbenutzung. Auf profil-Anfrage teilte das KWP dazu mit, „dass wir zu Verträgen grundsätzlich keine Auskunft an Externe geben“.
So viel Miete zahlt die ÖVP
Die SPÖ mauert bezüglich ihrer nicht indexierten Gemeindebau-Mieten, aber wie sieht es bei den anderen Parteien mit der Auskunftsfreude aus? Das betreffende ÖVP-Lokal liegt im bürgerlichen Bezirk Währung, das Haus braucht man nicht lange zu suchen. Auf der Fassade prangt ein unübersehbares ÖVP-Schild, darunter blickt aus einem Schaukasten Stadtparteichef Karl Mahrer streng auf die vorbeigehenden Fußgänger.
Auf Anfrage legt die ÖVP Wien ihren Vertrag offen: Das Mietverhältnis bestehe seit 1984, warum es nicht indexiert wurde, müsse man Wiener Wohnen fragen. Für das 52 Quadratmeter große Lokal bezahle die Partei monatlich 222,57 Euro – ein Quadratmeterpreis von 4,30 Euro.
ÖVP-Lokal im Gemeindebau
Für dieses Objekt in Wien-Währing legte die Partei den Mietvertrag offen. Quadratmeterpreis: 4,30 Euro.
Das ist billig, aber es geht noch billiger. Die niedrigstmögliche Miete für eine Partei beläuft sich laut Stadtrechnungshof auf bloß 53 Cent pro Quadratmeter. Um welche Mieterin es sich handelt, legten die Prüfer in ihrem Bericht nicht offen.
Die KPÖ dürfte es nicht sein. Das kommunistische Lokal im 10. Bezirk, das laut der Liste von Wiener Wohnen keiner Miet-Indexierung unterliegt, kostet die Partei laut Eigenangaben 294,41 Euro für circa 37 Quadratmeter (7,96 Euro pro Quadratmeter) pro Monat. „Ohne Heizung“, wie der Wiener KPÖ-Vorsitzende Dietmar Zach betont. Er widerspricht Wiener Wohnen: In den vergangenen drei Jahren sei es immer wieder zu Anpassungen des Mietzinses gekommen (wenn auch in überschaubarem Ausmaß: Im Dezember 2016 machte die Monatsmiete laut Zach 275 Euro aus – daraus ergibt sich bis heute eine Erhöhung um rund sieben Prozent in sieben Jahren). Zach: „Ich gehe davon aus, dass Wiener Wohnen uns nicht übers Ohr haut. Zudem sind wir froh, dass wir ein kostengünstiges kleines Kellerlokal in Favoriten haben.“
Widerspruch zu Wiener Wohnen
Die Auskunftsfreude von ÖVP und KPÖ kam für profil durchaus überraschend.
Wiener Wohnen hatte nähere Auskünfte zu den nicht indexierten Mietverhältnissen der Parteien nämlich zuvor per Bescheid abgelehnt – mit Verweis auf den Datenschutz und auch mit der Behauptung, die jeweils Betroffenen hätten keine „Einwilligung zur Verarbeitung“ der sie betreffenden Daten gegeben. Sowohl ÖVP als auch KPÖ erklärten gegenüber profil nun, sie seien von Wiener Wohnen gar nicht gefragt worden, ob sie der Datenweitergabe zustimmen würden. Die SPÖ ließ auch diese Frage unbeantwortet.
Wenn der Mietpreis deutlich unter dem Marktwert liegt, wird man sagen müssen: Im Ausmaß des Fehlbetrages ist es eine Parteispende.
Das Geheimnis um die roten Mietzinse soll also offenbar mit allen Mitteln gewahrt werden. Ein möglicher Grund dafür könnte im Parteienrecht zu finden sein. Denn Parteien dürfen keine Spenden von öffentlichen Körperschaften annehmen. Unüblich niedrige Mietverhältnisse wurden in der Vergangenheit vom Unabhängigen Parteien-Transparenzsenat (UPTS) bereits mehrmals als Spende qualifiziert – es setzte Strafen für die betroffenen Parteien. „Wenn der Mietpreis marktkonform ist, dann ist es keine Parteispende. Wenn er deutlich darunter liegt, wird man sagen müssen: Im Ausmaß des Fehlbetrages ist es eine Parteispende“, erklärt Verfassungsjurist Peter Bußjäger, der selbst Ersatzmitglied im UPTS ist. Die Strafe kann maximal das Dreifache des Werts der Spende ausmachen – im Falle von über 400 Mietverhältnissen könnte da eine stattliche Summe zusammenkommen.
profil bekämpft Auskunftsverweigerung
Der Bericht des Stadtrechnungshofs bezog sich auf den Stichtag 1. Oktober 2021. Um die Frage zu klären, welche aufrechten Mietverhältnisse es zwischen der Stadt Wien beziehungsweise ihren Unternehmungen mit politischen Parteien und deren Vorfeldorganisationen gibt, geht profil nun zum Landesverwaltungsgericht. Wiener Wohnen hatte bei der bescheidmäßigen Ablehnung der Auskunft argumentiert, es bestehe „ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse“: „Der Abschluss der vorliegenden privatrechtlichen Miet- und Pachtverträge hatte zu keinem Zeitpunkt die Zielsetzung, an die Öffentlichkeit gerichtet zu werden. Vielmehr fallen diese Verträge in den rein internen Bereich der Vertragsparteien.“
Mit anderen Worten: Das rot geführte Wohnbauressort und die Wiener SPÖ wollten nie, dass diesbezüglich irgendetwas nach außen dringt. Jetzt versucht man, diesen Status mit Verweis auf den Datenschutz zu argumentieren. profil hingegen ist der Meinung, dass die zurückgehaltenen Informationen umso mehr von öffentlichem Interesse sind und hat im November 2023 eine Beschwerde eingebracht. Nun ist das Wiener Landesverwaltungsgericht am Zug.
Für die Visualisierung der Miet-Parteien im Gemeindebau arbeitete profil mit dem Wiener Datenjournalisten Peter Sim zusammen.
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
Jakob Winter
ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.