Ausgetrickst

Entwicklungshilfe: Beschämende Bilanz für Österreich

Entwicklungshilfe. Von 100 Euro, die Österreich ausgibt, landen nur 40 in einer armen Weltgegend

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Die Fachleute zogen die Brauen hoch. So deutlich hatte noch keine Statistik vor Augen geführt, wie viel Entwicklungshilfe in den armen Ländern überhaupt ankommt. Oder besser: wie wenig. Von 100 Euro gibt Österreich 60 im eigenen Land aus. 40 Euro bleiben für das, was man gemeinhin unter Entwicklungshilfe versteht: Schulen bauen, Malaria bekämpfen, Hilfsgüter verteilen, Brunnen bohren, Saatgut kaufen und hoffentlich, irgendwann, ein Auskommen und Wohlstand schaffen.

Ärger steht nur Griechenland da, wo inzwischen nur mehr jeder zehnte Entwicklungshilfe-Euro für ein Hilfsprojekt außer Landes geht. Dieses Ranking, in dem das reiche Österreich vor dem maroden EU-Land den zweitletzten Platz belegt, wurde kürzlich vom britischen „Guardian“ publiziert.

Abgesehen von dem ruhmlosen Duett überschreitet kein anderes Land auch nur annähernd die 50-Prozent-Marke. Im Durchschnitt der Geberstaaten bleibt nicht einmal jeder fünfte Euro im eigenen Land (18 Prozent).
Verglichen wurde die bilaterale Entwicklungshilfe. Nur über diese Mittel – in Österreich 2012 rund 443 Millionen Euro – können die Geberstaaten verfügen. Der multilaterale Teil, der sich aus Beiträgen zu UN, EU, Weltbank, IWF oder afrikanischer Entwicklungsbank zusammensetzt, wird von außen diktiert. Österreich entrichtet mehr oder weniger brav seinen Obolus, bestimmt aber weder über die Höhe der Gelder noch über ihre Verwendung.

Eine Einsparung nach der anderen
Den Kern der bilateralen Hilfe leistet die Austrian Development Agency (ADA). Sie wurde 2004 gegründet und aus dem Außenministerium ausgegliedert, um die vermeintlich anschwellenden Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zu verwalten. In Wahrheit kämpft die Agentur seither mit einer Einsparung nach der anderen. Mit Seufzern der Erleichterung quittierte die entwicklungspolitische Szene im Jänner das Versprechen des neuen Außenministers Sebastian Kurz, zumindest heuer nicht zu kürzen.

Das aktuelle ADA-Budget hält bei 77 Millionen Euro. Nach Abzug der Verwaltungskosten bleiben 68 Millionen Euro, um den Hunger in Äthiopien zu lindern, Kinder in Ecuador von der Straße zu holen, Operationen für blinde Menschen in Burkina Faso zu bezahlen, Bildungsprojekte in Pakistan zu fördern oder den Aufbau einer biologischen Garnelenzucht in Indien für die Handelskette Hofer mitzutragen. 2010 lag das operative ADA-Budget noch bei 85 Millionen Euro.

In den 1970er-Jahren verständigte sich die UN-Generalversammlung auf das 0,7-Prozent-Ziel: So viel sollten die Industrie­länder von ihren Nationaleinkommen abzweigen, um darniederliegenden Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika auf die Beine zu helfen.
Wer das Ziel notorisch verfehlt, steht am Pranger und muss sich schämen. Ernsthafte Sanktionen gibt es jedoch nicht. Tatsächlich schafften es bis heute nur Schweden, Norwegen, Dänemark, Holland und Luxemburg, über die selbst auferlegte Latte zu kommen. Die USA haben sich nie zu dem 0,7-Prozent-Ziel bekannt. Alle anderen Industriestaaten scheitern regelmäßig, und stets aus triftigen Gründen. Als es Ende der 1970er-Jahre rund um den Erdball mehr Arme gab als je zuvor, musste die Ölkrise als Erklärung herhalten. In den 1980er-Jahren war es die Schuldenkrise.
Mit dem EU-Beitritt 1995 wurde die 0,7-Prozent-Vorgabe für Österreich etwas verbindlicher. Unerreichbar blieb sie dennoch. Zuerst fiel der Eiserne Vorhang, dann tobten am Balkan blutige Kriege, es folgten 2001 die Anschläge vom 11. September und der globale Kampf gegen den Terrorismus, der die Bündelung aller Mittel erforderte. 2008 brach auf den entfesselten Finanzmärkten das Chaos aus, in dessen Folge es zu einer globalen Wirtschaftskrise kam.

Geiziges Österreich
2012 wandte Österreich 0,28 Prozent seines Bruttonationalprodukts für globale Armutsbekämpfung und Katastrophenhilfe auf. Gemessen an seinem Wohlstand, ist kein anderes Land im Kampf gegen die weltweite Not so geizig. An dem 0,7-Prozent-Ziel hält das Land aber unverdrossen fest. Sollte es sich zur nächsten Deadline 2015 wieder nicht ausgehen, wäre mit der Hypo-Krise bereits eine schlüssige Erklärung zur Hand.
Damit das Versagen in der Statistik nicht gar so grell aufleuchtet, wird alles hineingepackt, was auch nur entfernt mit Entwicklungspolitik in Verbindung gebracht werden kann – eine unschöne, wenn auch legale Übung, die Watchdog-Organisationen seit Langem verärgert. Als „inakzeptabel“ bezeichnet etwa Annelies Vilim von der AG Globale Verantwortung, einem Dachverband der über 40 heimischen NGOs auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik, diese Form der „kreativen Budgetgestaltung: Mittel, die nicht der Armutsbekämpfung, der nachhaltigen Entwicklung oder der Katastrophenhilfe dienen, haben im öffentlichen Budget für Entwicklungszusammenarbeit nichts zu suchen.“

Die „Guardian“-Liste weist diese Phantomposten in voller Größe aus: 58 Millionen Dollar (umgerechnet 44,6 Millionen Euro) – mehr als ein Zehntel der gesamten bilateralen Hilfe – veranschlagt Österreich für die Versorgung von Flüchtlingen im eigenen Land. Einen noch größeren Brocken stellen die indirekten Studienplatzkosten dar: 126 Millionen Dollar (97 Millionen Euro) entfallen auf Studenten aus Entwicklungsländern, die an heimischen Hochschulen ein im weitesten Sinn entwicklungspolitisch relevantes Fach inskribiert haben – von ­Humanmedizin über Sozial- und Gesellschaftswissenschaften bis hin zu Boden­kultur und Technik.
Bis in die 1990er-Jahre hinein wurden sogar Musikstudien erfasst. Inzwischen zählen junge Koreaner, die in Salzburg Klavier studieren, nicht mehr dazu. Alle anderen Studenten mit einem ausländischen Pass bleiben jedoch in der Statistik, solange ihr Herkunftsland auf der Liste der Entwicklungsländer steht und unabhängig davon, ob sie dort geboren wurden oder Österreich vor Ort Projekte finanziert. Die Liste ist lang und umfasst neben klassischen Destinationen der Entwicklungszusammenarbeit auch Länder wie Bosnien, Serbien und die Türkei.

Je mehr Aufwendungen die ADA-Mitarbeiterinnen ausfindig machen, die sie der OECD als Entwicklungszusammenarbeit (ODA) verkaufen können, desto erfreuter zeigt sich der Finanzminister: So rückt Österreich dem 0,7-Prozent-Ziel näher, ohne dafür frisches Geld in die Hand nehmen zu müssen.

Auch ein Schuldenerlass zur rechten Zeit wirkt Wunder: Beseitigt ein Geberland die ausständigen Zinsen und Zinseszinsen eines Entwicklungslandes mit einem Federstrich, schnellen die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit sofort um diesen Betrag nach oben. Allerdings sind diese Zahlensprünge kaum planbar. Beschlossen werden sie im Pariser Club, einem Gremium der Industrieländer, das über die Bonität der Entwicklungsländer befindet.

Laut Dreijahres-Prognose des Außenministeriums hätte Österreich im Vorjahr dem Sudan 500 Millionen Euro nachsehen sollen. Der Schuldenschnitt wurde verschoben und geht vielleicht noch heuer, vielleicht aber auch erst nächstes Jahr über die Bühne. 2012 erließ Österreich Schulden in der Höhe von 106 Millionen Dollar (81,5 Millionen Euro). Das fettete die offizielle Entwicklungshilfe um acht Prozent auf und reichte für eine lobende Erwähnung im NGO-Bericht „AidWatch 2013“. Die Leute vom Fach aber mussten sich wieder einmal ärgern: „In Wirklichkeit hat das für keinen einzigen Menschen irgendwo auf der Welt einen Unterschied gemacht.“

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