#ErdeBrennt: Wie auf der Uni Wien gegen die Klimakrise demonstriert wird
Hinter der Statue von Joseph II. wehen Banner, die an Bäumen befestigt und mit vollen Plastik-Wasserflaschen beschwert wurden. „Uni besetzen!“ steht darauf – sie hängen im Hof am Campus der Universität Wien, dem Alten AKH, wo seit zwei Wochen einer der größten Vorlesungsräume der Uni besetzt wird. Es geht im Hörsaal C1 um nichts Geringeres als die Rettung der Welt.
Auch in Salzburg und Innsbruck wurden Hörsäle an den Unis besetzt, seit Beginn der Woche ist in Wien zusätzlich noch der Hörsaal 1 an der Universität für Bodenkultur (Boku) okkupiert. Die Aktivist:innen sehen sich im Kampf für „eine soziale und klimagerechte Zukunft“ und fordern das Aus für fossile Energieträger und eine Verkehrswende. Auch bildungspolitische Forderungen werden geäußert: Man spricht sich aus für eine ausreichende Hochschulfinanzierung und die „Abschaffung diskriminierender Strukturen“ im Lehrbetrieb.
Trotz der Besetzung findet hier im C1 am vergangenen Donnerstag eine Vorlesung statt - unter verschärften Bedingungen: Die Lehrveranstaltung „Climate Change and Climate Crisis - Staying within Planetary Boundaries“ ist die einzige, die im besetzten Hörsaal noch abgehalten werden darf. Professorin Christa Schleper, Leiterin der Abteilung funktionale und evolutionäre Ökologie, hat mit ihren Kolleg:innen bei den Protestierenden angefragt, ob sie die Lehrveranstaltung weiterführen dürfen, da es sich ja thematisch decke. „Ich muss zugeben, etwas nervös war ich schon“, sagt sie über ihren ersten Auftritt in einem besetzten Hörsaal; die übrigen Vorlesungen hat man ins Distance Learning oder in Ausweichräume verlagert.
„Wir brauchen diese Bühne“
Auf ein Whiteboard mit Plänen für nächste Woche hat jemand groß das Wort „Räumung“ geschrieben. In den Gesprächen mit der Universität ist das nach zwei Wochen Besetzung immer öfter Thema. Sie wollen es sich nach außen hin zwar nicht anmerken lassen, aber die Stimmung unter den Aktivist:innen ist gedrückt.
„Man merkt schon, dass sie jetzt immer mehr Druck machen“, sagt Amina Guggenbichler. Die Soziale-Arbeit-Studentin ist eines der Gesichter der Besetzung, zusammen mit der Philosophie-Studentin Bruno Sanzenbacher. Beide sind Anfang 20 und nicht sehr begeistert davon, so im Schlaglicht zu stehen, man sei ja schließlich im Kollektiv organisiert und habe bewusst keine Hierarchien.
„Wir bieten ein alternatives Bildungsprogramm an, und wir bekommen täglich neue Anfragen, weil viele sich freuen, dass es jetzt einen Raum gibt, um diese Bildungslücke endlich zu füllen. Da ist es natürlich frustrierend, wenn man daran denkt, dass die Uni schon an eine Räumung denkt. Der Bedarf für diese Bühne ist da,“ sagt Guggenbichler, die schon bei der Lobau-Besetzung dabei war.
Szenenwechsel: Die meisten Besetzer:innen haben sich in der Aula vor dem C1 versammelt. Hier haben sie Biertische aufgestellt und einen Kostnix-Laden eingerichtet; es gibt Kaffee und ein improvisiertes Buffet. Auf der Stiege steht der Aktivist Lennart, den aufgeklappten Laptop in der Hand. Er organisiert heute die „Küfa“, die Küche für alle, die jeden Abend für die Besetzer:innen kocht. Lennart studiert Germanistik und Geschichte, und auf die Frage, was er sonst so macht, antwortet er lässig: „Sonst bin ich eigentlich immer hier.“ Er war schon beim ersten Planungstreffen im Frühjahr dabei, als die Organisations-Gruppe gerade sechs Leute umfasste, erzählt er. Den Plan, die Universität zu besetzten, gibt es schon länger: Anfang des Jahres wurden erste Signal-Gruppen mit dem Betreff „Uni besetzen“ gegründet, in denen sich zahlreiche junge Menschen aus dem Wiener Klima-Aktivismus-Dunstkreis versammelten, gut ein halbes Jahr später wurde das Vorhaben umgesetzt.
In der „Küfa“ werden jeden Abend warme Mahlzeiten aus geretteten Lebensmitteln zubereitet
Viele der Aktivist:innen wollen anonym bleiben, und lassen sich nicht mit Gesicht fotografieren.
2009 brannte die Uni, 2022 brennt die ganze Erde
„Erde brennt“ – unter dieser Parole läuft die Besetzung. Das ist eine Referenz auf die Proteste im Jahr 2009, als monatelang das Audimax an der Universität Wien besetzt wurde. Damals sammelte man sich hinter „Uni brennt“, und es war recht klar, gegen was und wen man sich stellte: Die bevorstehende Einführung des Bologna-Systems an Universitäten, das eine europaweite Vereinheitlichung der Studien an Universitäten vorsah. Jetzt brennt die ganze Erde: Und dementsprechend breit gefächert ist der Forderungskatalog.
Am 20. Oktober 2009 wurde die Aula der Akademie der bildenden Künste besetzt – aus Protest gegen die Bologna-Reform. Zwei Tage danach solidarisierten sich Studierende und Lehrpersonal bei einer Kundgebung mit den Besetzer:innen – und besetzen wiederum spontan das Audimax, den größten Hörsaal der Universität Wien. Man organisierte sich in Arbeitsgruppen und Plena, hielt Podiumsdiskussionen ab; Bands wie Tocotronic gaben Konzerte. Das Audimax blieb bis zur Räumung Mitte Dezember besetzt – und „Audimaxismus“ wurde das österreichische Wort des Jahres 2009.
„Bürokratiemühle“ Basisdemokratie
Auch 13 Jahre später haben sich die Besetzenden in Arbeitsgruppen organisiert und halten regelmäßige Plena ab; darunter eine Awareness-Arbeitsgruppe, die sich „für die antidiskriminierenden, regenerativen, solidarischen und gemeinschaftlichen Praktiken einsetzt, die unsere Bewegung ausmachen (sollen).“ Konflikte sollen so besser mediiert werden, und alle Besetzer:innen sich „möglichst sicher und wohl fühlen.“
Einbringen kann sich hier jeder und jede – und zustimmen müssen auch alle. Denn: Vorschläge müssen einstimmig angenommen werden. Im ersten Vollplenum vergangene Woche, in dem besprochen wurde, welche Forderungen man konkret an beispielsweise das Universitäts-Rektorat stellen will, soll es über siebzig Vorschläge gegeben haben, einigen konnte man sich auf Anhieb nur auf einen geringer Bruchteil, so ein Aktivist. Auf einem großen Plakat an der Wand hat man den Ablauf des Plenums und Eckpunkte festgehalten, ein A4-Zettel proklamiert: „Konsens heißt nicht, dass es kein Veto gibt!“
Nicht alle Aktivist:innen im C1 sind von der Konsens-Regelung überzeugt. Zwar sei man natürlich der Überzeugung, dass der basisdemokratische Ansatz und das Ziel der Einstimmigkeit die Ideale seien, allerdings habe sich die Besetzung schon zu einer „Bürokratiemühle“ geriert: Prozesse würden sehr lange dauern, viele der Arbeitsgruppen und Plena seien unproduktiv, so die Aktivistin und Studentin Marlene, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. Einer der meistbesprochenen Diskussionspunkte sei in den Planungen auch das Alkoholverbot gewesen. „Ich bin mir nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung war. Natürlich wollen wir ernstgenommen werden, und wir sind auch nicht zum Feiern hier, aber ich glaube, ohne diese Regel könnten wir leichter mobilisieren.“
Am Abend wird im Hof vor dem C1 ein antialkoholisches „Tanzen gegen soziale Kälte“ organisiert, davor ist der Hörsaal bei einem Vortrag einer Gruppe junger Iraner:innen über die Revolution und die Proteste in ihrem Heimatland halb voll.
Jin, Jiyan, Azadî - Frau, Leben, Freiheit
Sara und Leyli halten Reden über die Proteste im Iran, gemeinsam mit Kani, Zahrenar und Aida sprechen die Iraner:innen, unter ihnen eine Kurdin, vor dem Hörsaal über die Revolution. Aus Solidarität mit den Frauen im Iran schneiden sich zwei Aktivist:innen ihre Haare ab.
Getrunken wird auch beim Rave nichts, der eher ein kleines Tänzchen unter einem vor dem Regen schützenden Torbogen ist, und um 23 Uhr gehen schon die ersten Aktivist:innen schlafen. Manche müssen am nächsten Tag früh in die Arbeit, oder haben Seminare. Jede Nacht schlafen knapp dreißig Protestierende hier, heißt es. Die wenigsten von ihnen übernachten aber tatsächlich im Hörsaal – auch der gegenüber vom C1 liegende Seminarraum 3 wurde besetzt und zum designierten Schlafplatz umfunktioniert. Es liegen Matratzen, Decken und Schlafsäcke bereit, auch für jene, die sich spontan entscheiden, hier zu übernachten. Ein Teil des Inventars wurde offenbar aus dem aufgelösten Protestcamp gegen die Stadtstraße in Hirschstetten in die Uni verlagert, auf Isomatten wurde vereinzelt mit Edding „Lobau“ geschrieben.
Im Seminarraum ist es ruhiger und nicht so hell wie im Hörsaal, mit umgekippten Tischen wurden behelfsmäßige Schlafkojen gebaut. Außerdem soll es im Hörsaal immer wieder vorkommen, dass das Sicherheitspersonal um fünf Uhr bei Kontrollgängen die Schlafenden aufwecke. Konflikte mit der Security kann die Universität wiederum nicht bestätigen.
„Wir bleiben noch“
Gemeinsames Frühstück am nächsten Tag. Es gibt Joghurt, das trotz überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum noch genießbar ist, Filterkaffee; jemand hat Nutella mitgebracht, viele sitzen mit den Laptops am Tisch, die nächsten Tage und Veranstaltungen werden geplant. Jeden Tag um 11 Uhr und um 18 Uhr gibt es ein Infotreffen und ein „Onboarding“ (obwohl auf einem Plakat im Seminarraum 3 vermerkt wurde, dass „Onboarding“ ein „sehr neoliberaler Begriff“ sei) für Interessent:innen. Das Sicherheitspersonal dreht beständig und distanziert seine Runden.
Wie lange das noch so gehen wird, darauf wollen die Aktivist:innen lieber nicht wetten. Zumindest bis Weihnachten wollen sie durchhalten, sagen sie: „Wir bleiben noch.“ Seitens der Universität heißt es indes betont offen: „Ziel der Universität ist es, den inhaltlichen Diskurs fortzusetzen und gleichzeitig den Lehrbetrieb vor Ort wieder aufzunehmen. Beides lässt sich aus Uni-Sicht verbinden. Studierende, welche wieder an Lehrveranstaltungen vor Ort teilnehmen möchten, melden sich zunehmend und die Zahl der Aktivist*innen ist inzwischen gering.“
Hinter der Geschichte
profil-Redakteurin Lena Leibetseder hat für diese Reportage eine Nacht im besetzten Hörsaal geschlafen - und sich dort die Zähne geputzt, wo sie vor ein paar Jahren noch Vorlesungen hatte.