Die Wette gilt
Der Abend vor dem Bohrbeginn: Es schneit. Schon aus der Ferne ist der in Flutlicht getauchte Bohrplatz zu sehen. In einem Baucontainer hat Alan Reingruber Platz genommen, er ist Geschäftsführer von ADX Austria. Der Techniker trägt eine dicke, dunkle Hornbrille und eine Armbanduhr mit farblich passendem Lederarmband. Er sei vor dem Start ziemlich aufgeregt: „Wenn wir nichts finden, haben wir eine Menge Geld in den Sand gesetzt. Wenn es einen substanziellen Fund gibt, wird das Interesse an der ADX gewaltig steigen.“
Mit fünf Millionen Euro beziffert er die Kosten der Probebohrung. Der potenzielle Wert eines Fundes beträgt ein Vielfaches: Im Erfolgsfall sei mit einer Menge von 24 Milliarden Kubikmetern Gas zu rechnen, das Dreifache des österreichischen Jahresverbrauchs. Der potenzielle Wert ist vom Markt abhängig. 22 Prozent vom erzielten Marktpreis müsste ADX als Förderzins an die Republik abliefern. Darüber hinaus kann ADX frei über das Gas verfügen und nur im Energienotstand daran gehindert werden, das Gas zu exportieren.
Fraglich ist allerdings nicht nur, ob die ADX Gas findet, sondern auch, ob es dann förderbar ist, sich also wirklich an die Oberfläche bringen ließe. „Die Chance auf einen Erfolg belaufen sich auf zwischen 20 und 35 Prozent“, sagt Reingruber. „Genauer können wir es nicht sagen.“ Exaktere Angaben verbietet auch der Anlegerschutz. ADX notiert an der Börse in Sydney. Es ist eine Wette, auf die sich nur sehr risikoaffine Anleger einlassen. Warum lässt sich die türkis-grüne Regierung darauf ein? Die kurze Antwort: Russland.
„Ein Fund könnte den Ausstieg aus russischem Gas beschleunigen“, sagt Bauingenieur Reingruber. Die Regierung hat den Exit für 2027 terminisiert. Neben anderen Gasquellen (Norwegen, Biomasse, LNG-Gas aus Übersee) soll auch heimisches Erdgas dabei helfen. Brauchen wird man Erdgas noch lange, nicht zuletzt für die Industrie. Aktuell stammen nur acht Prozent des heimischen Gasbedarfs aus Österreich. Aus dem Büro von Energieministerin Leonore Gewessler heißt es: „Reserven, die kurzfristig helfen, unsere Abhängigkeit zu reduzieren, sollen geprüft und allenfalls genutzt werden.“
Im Container neben Reingruber sitzt Tim Stoll, er ist „Drilling Supervisor“ der ADX am Bauplatz. Der Deutsche hat an der Bergakademie Freiberg in Sachsen, nahe dem Erzgebirge, studiert. Eine Bergbaugegend, aus der er auch stammt. Stoll ist gespannt, was die Arbeiten bringen, und sagt in starkem Dialekt: „Der Bohrturm ist Mittelmaß. Es gibt ihn auch wesentlich größer und wesentlich kleiner.“
"Drilling Supervisor" Stoll (l.) neben ADX-Geschäftsführer Reingruber
„Wir wolln kein Gas aus Molln“
Christian Hatzenbichler lässt sich nicht beschwichtigen. Der Mollner ist Mitglied der Bürgerinitiative „Pro Natur Steyrtal“. Der „Casus knacksus“ der Bohrung, wie er es ausdrückt, ist für ihn die Lage. Das Jaidhaustal mit seiner besonderen Flora und Fauna als Standort eines Bohrturms, das geht für Hatzenbichler nicht zusammen. „Wenn wir heute ein isoliertes Volk entdecken, würden wir es in Ruhe lassen und ihm nicht wie vor 150 Jahren die westliche Zivilisation aufdrücken“, sagt er. „Und genau so sollten wir auch das Jaidhaustal in Ruhe lassen. Daran denkt die ADX nicht.“
Hatzenbichler stimmt auch nicht um, dass das Unternehmen alle notwendigen Genehmigungen von der Montanbehörde im Finanzministerium und der oberösterreichischen Landesregierung eingeholt hat. Der oberösterreichische Bescheid hält fest, dass das Bohrprojekt nicht in „physische Berührung“ mit einem Naturschutzgebiet kommt und zumindest einmal die Probebohrung zuzulassen sei.
„Dass man nicht akzeptieren kann, dass es andere Bundesinteressen neben dem Naturschutz gibt“, ärgert den ADX-Mann Reingruber. Der hartnäckige Widerstand habe ihn überrascht. Auf einem Holzpolter neben dem Schotterweg sind gleich mehrere Spruchbänder angebracht. Auf einem steht „Vollgas gegen Spekulanten“, auf einem zweiten „Wir wolln kein Gas aus Molln“. Auch die Klimaaktivisten der Letzten Generation haben im Vorjahr Widerstand gegen neue Bohrplätze angekündigt. Vergangene Woche haben sie in Wien mehrere Polizeieinsätze ausgelöst. In Molln planen sie nun aber keine Aktion.
Die grüne Ministerin Leonore Gewessler steht Hatzenbichler ideologisch eigentlich viel näher als ADX-Mann Reingruber. Als Klimaschutzministerin ist Erdgas ihr Feind auf dem Weg zur Klimaneutralität Österreichs; bis 2040 soll sämtliche Energie aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Als Energieministerin muss sie aber auch bis 2027 den Ausstieg aus russischem Gas orchestrieren. Sie geht den Mittelweg: Rot-weiß-rotes Erdgas kurzfristig hui, langfristig pfui. „Neue Gasfelder, die erst in den 2030ern liefern können, sind wegen der Klimakrise jedenfalls unsinnig.“
Es werde IRR-LICHT
ADX will das Zeitfenster maximal nutzen und beflügelt die Fantasie seiner Investoren mit weiteren Projekten in Österreich. Anfang 2023 berichtete profil von weiteren sechs potenziellen Bohrplätzen in Salzburg und Oberösterreich. Sie liegen bei Straßwalchen im Flachgau, Zell am Moos am Irrsee, St. Georgen im Attergau und Gmunden. Der Bericht schlug Wellen, weil die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort zum ersten Mal davon hörten – im Unterschied zu internationalen Investoren. ADX beschwichtigte damals: Trotz der Nennung potenzieller Bohrplätze seien neben Molln weitere Bohrungen „nicht konkret angedacht“.
Doch eine dieser Probebohrungen, die in ADX-Börsenreports mit „LICHT“ abgekürzt ist, steht vor dem Anstich. Und zwar in der zweiten Jahreshälfte 2024. Hinter dem Kürzel steckt der Ortsteil Lichtenberg in St. Georgen im Attergau, der bisher nicht durch einen Bohrturm, sondern eine Aussichtswarte, auffiel. Die Genehmigungen für diese Bohrung liegen seit 24. Oktober 2023 vor, bestätigt die Montanbehörde, die im Finanzministerium angesiedelt ist. Weit gediehen sind offenbar auch die Pläne für Irrsdorf („IRR“) im Salzburger Straßwalchen. In einer Video-Präsentation Ende Februar stellt ADX-Vorstandsvorsitzender Ian Tchacos den Bohrbeginn fürs 4. Quartal 2024 in Aussicht.
„ADX hat im Arbeitsprogramm 2024 eine weitere Gasbohrung vorgesehen, Irrsdorf ist aber nur eine von mehreren Möglichkeiten, da ist noch nix fix“, sagt ein ADX-Unternehmenssprecher auf Anfrage. Die vermuteten Reserven sind sowohl in Irrsdorf als auch in Lichtenberg jedenfalls bedeutend kleiner als in Molln.
Ohne Pipelines kein Gas
Ob Fund oder nicht: Vor 2026 fließt in Molln garantiert kein Gas. Denn um Erdgas auf den Markt zu bringen, muss eine Pipeline zur nächsten Hauptgasleitung verlegt werden. Diese ist in Klaus an der Pyhrnbahn, 20 Kilometer entfernt. Sollte eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die Gasleitung nötig werden, kann sich der Start weiter nach hinten verschieben, räumt das Unternehmen ein. Eine UVP dauerte in den vergangenen Jahren in Österreich durchschnittlich 18 Monate. Das heißt: Die Gasförderung in Molln und den Nachfolgeprojekten könnte Gewesslers 2030-Deadline näher rücken, ab der Gasförderung ihrer Ansicht nach „keinen Sinn mehr“ mache.
Davon lassen sich die Öl- und Gasfirmen nicht beeindrucken. Zwischen Salzburg, Oberösterreich und dem niederösterreichischen Marchfeld bei Wien ist eine neue Gasgräberstimmung ausgebrochen. Schon im Vorjahr machte die OMV in ihrem historischen Explorationsgebiet Marchfeld den größten Gasfund seit 40 Jahren. Weitere Probebohrungen in der Region laufen oder werden evaluiert. Und vielleicht gibt es bald auch keine grüne Energieministerin mehr. Kein Ausstiegsplan ist in Stein gemeißelt.
*In der Printfassung dieses Textes ist der potenzielle Wert des Fundes mit 300 Millionen Euro beziffert. Dem lag ein Missverständnis zugrunde, die genaue Summe lässt sich nicht eruieren.