Hayir? Evet! – Wie türkische Propaganda in Österreich wirklich abläuft
Ein türkischer Kultur- und Moscheeverein in Wien-Meidling unweit des Gürtels. Man betritt die Räume direkt von der Straße. An den Tischen sitzen etwa zehn Männer und trinken Tee und süße Limonade. Der Obmann ist seit 30 Jahren in Österreich. Sein Verein gehört zur Avusturya Türk Federasyon. Die Männer hadern mit ihrem Image. Die Federasyon gilt als Vorfeldorganisation der nationalistischen Partei "Graue Wölfe“. Der anwesende junge Imam sagt, es gebe keinen Extremismus in der Moschee. Es gehe allein um den Glauben. In der Türkei gelte das Sprichwort: Wo man isst, da kämpft man nicht. Und Politik spiele hier überhaupt keine Rolle, auch nicht das umstrittene Referendum am 16. April, bei dem die Türken im In- und Ausland über die Einführung eines Präsidialsystems abstimmen. Der Vereinsobmann zeigt auf ein an der Wand befestigtes A4-Blatt, auf dem auf Türkisch steht: "Politische Diskussionen sind in diesen Räumlichkeiten verboten. Wir bitten um Verständnis.“ Wer politisieren will, muss das auf dem Gehsteig vor dem Vereinslokal tun.
Etwa 110.000 in Österreich lebende Türken sind beim Referendum wahlberechtigt. Recep Tayyip Erdoğans Regierungspartei AKP versucht seit Wochen, die Landsleute in den EU-Staaten zu mobilisieren. Auftritte türkischer Politiker - beziehungsweise deren behördliches Verbot - mögen spektakulär sein, haben aber vor allem Showcharakter. Die wahre Auseinandersetzung um das "Ja“ ("Evet“) oder "Nein“ ("Hayir“) läuft in den türkischen Moscheen, Kulturzentren, Vereinen, Lokalen und Geschäften - teils gesteuert und teils von allein. Das Referendum wühlt die austro-türkische Community zwischen Wien und Bregenz auf.
"Ein Vogel will immer wieder in sein Nest zurück"
Laut Artikel 94/A des türkischen Wahlgesetzes ist Wahlwerbung im Ausland verboten. Auch Anzeigenschaltungen und das Verteilen von Werbematerial sind untersagt. Es hält sich bloß keiner daran. In Wien kursieren Flugblätter, die in türkischen Geschäften aufliegen oder vor Moscheen verteilt werden: teures Papier, kein Impressum, verfasst in gehobenem Türkisch, wie es eher Akademiker verwenden. Wahrscheinlich wurde der Text in der Türkei formuliert. Der Inhalt ist drastisch bis skurril: In 30 Punkten wird begründet, warum die Türkei nur bei einem "Evet“ eine Zukunft haben kann: etwa weil nur Erdoğan "Meinungsfreiheit“ und ein unabhängiges Parlament garantiere; weil nur bei einem "Ja“ Korruption und Vetternwirtschaft bekämpft werden können; weil ein "Ja“ auch Medien schwäche, die über Probleme berichten, die es gar nicht gebe. Auf einem anderen Flugblatt wird mit dem Argument geworben, nur dank der AKP dürften auch Lehrerinnen, Richterinnen und Ärztinnen Kopftuch tragen.
Recep Tayyip Erdoğan spricht Dienstag vergangener Woche zu den Austro-Türken im Veranstaltungszentrum der ATIB ("Türkisch Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“) in der Dammgasse in Wien-Brigittenau - auf dem riesigen Flachbildschirm an der Wand. ATIB betreibt in Österreich 60 Moscheen und gilt als AKP-nahe. Beim Freitagsgebet finden sich in der Moschee in der Dammgasse massenweise Gläubige ein. Vergangenen Dienstag sitzen nur zwei Dutzend Männer in der Kantine und essen zu Mittag. Es gibt mit Rindfleisch gefüllte Zucchini und Milchreis als Nachtisch. An der Wand hängen ein Porträt von Staatsgründer Atatürk, eine türkische und eine österreichische Fahne. Die Türken, die in das ATIB-Zentrum in der Brigittenau kommen, stammen aus Zentralanatolien. Wie Ahmet*: Mitte 40, ein freundliches Gesicht, gut gelaunt, offen. Ahmet kam als junger Bursch nach Österreich. Er sagt, er sei dem Land dankbar; alles, was er sich einst wünschte, habe er bekommen: eine Familie, eine Wohnung, ein Auto. Er ist österreichischer Staatsbürger, aber ein Vogel, sagt er, wolle immer wieder in sein Nest zurück. Wäre er wahlberechtigt, würde er beim Referendum mit "Ja“ stimmen. Als Erdoğan im Juni 2014 in der Albert-Schultz-Halle in Kagran vor Tausenden Fans auftrat, war auch Ahmet dabei. Der türkische Staatspräsident sei der erste Spitzenpolitiker, der sich um die Türken im Ausland kümmere. Allerdings hat Ahmet auch ein Ruhebedürfnis, das sehr österreichisch wirkt: Auftritte von AKP-Politikern in Österreich und den Wirbel darum lehnt er ab.
Die Imame von ATIB werden aus der Türkei entsandt und sprechen kein Wort Deutsch. Werbung für das Referendum sei in den Moscheen "unerwünscht“, heißt es bei ATIB. Tatsächlich liegen laut profil-Informationen keine Hinweise vor, dass die Imame in den Gottesdiensten die Volksabstimmung aktiv thematisieren. Allerdings sollen ATIB-Funktionäre und Imame am Rande der Freitagsgebete ihren Schützlingen die Teilnahme am Referendum wärmstens empfehlen.
"Eine autoritäre Einmannherrschaft"
Erdoğans Verfassungsreform beinhaltet die Übertragung der Kompetenzen des Ministerpräsidenten auf den Staatspräsidenten, der in Zukunft die Regierung leitet. Zusätzlich soll er das Recht erhalten, das Parlament aufzulösen und die Justiz stärker kontrollieren zu können. "Eine autoritäre Einmannherrschaft“ nennen es türkische Oppositionspolitiker.
Umfragen zeigen allerdings, dass die Gegner der Verfassungsreform derzeit in Führung liegen. Die drohende Niederlage erklärt - auch - das aggressive Verhalten der türkischen Führung. Polarisierungen in den türkischen Communities im Ausland werden dabei in Kauf genommen. Unter den Austro-Türken tobt seit Wochen eine heftige Auseinandersetzung in den sozialen Medien. Wer auf Facebook Kritik am Referendum übt, gerät in kürzester Zeit unter Rechtfertigungsdruck.
Auch im Café Deniz in Meidling gibt es dieser Tage nur ein Thema. Zwei Stunden lang habe er gerade gestritten, sagt Berat*. Ins Deniz kommen Türken aus der Schwarzmeer-Region. Die Männer rauchen und spielen Karten. Im türkischen TV-Kanal läuft eine Reality-Show. Berat ist nicht wahlberechtigt. Er würde mit "Nein“ stimmen. Und er ist fest davon überzeugt, dass dies auch die Mehrheit der Türken tun wird. Vor dem Deniz stehen ein paar Männer. Auch sie sind im Gegensatz zur Mehrheit im Café gegen Erdoğan. Vor allem wollen sie Ruhe. Aber die wird es erst wieder nach dem Referendum geben.
"Er gibt den Menschen das Gefühl, dass sie etwas bedeuten"
Şerafettin Yildiz ist derzeit der Verzweiflung nahe. Seit 1978 lebt der zweisprachige Schriftsteller in Wien. Er ist Mitglied im PEN-Club und berät im Stadtschulrat Migranten. Yildiz erklärt, warum auch Auslandstürken mehrheitlich Erdoğan unterstützen: "Er gibt den Menschen das Gefühl, dass sie etwas bedeuten.“ Und in ihrem Stolz auf eine glorreiche Vergangenheit würden sie sich im Gegensatz zu anderen Einwanderergruppen abkapseln. Dazu kommen erhöhte Religiosität und mangelnde Sprachkenntnisse. "Keine neue Welt ohne neue Sprache“, zitiert Yildiz Ingeborg Bachmann. Auch der türkischstämmige Wissenschafter Ednan Aslan vom Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien ist dieser Tage fassungslos: "Ich habe eine solche geistige Armut noch nicht erlebt. Die Türken in den europäischen Staaten müssen sich überlegen, welche Zukunft sie wollen, und ob sie sich wirklich in Erdoğans Namen gegen ihre Gastländer stellen wollen.“
Die heftigste Propaganda für die Teilnahme am Referendum und ein "Ja“ kommt vom AKP-Ableger UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten, siehe Kasten). Schrill protestierten UETD-Funktionäre vergangene Woche gegen die Verbote von Wahlkampfauftritten von AKP-Politikern. In Henndorf und Innsbruck verhinderten die Behörden Konzerte türkischer Musiker, bei denen politische Willenskundgebungen zu erwarten gewesen wären.
Die AKP will sich von den österreichischen Behörden keinesfalls bremsen lassen. "Egal, was sie tun. Unsere Brüder in Österreich sagen Ja“, verlautbarte ein AKP-Abgeordneter auf Facebook. Eine stärkere Mobilisierung ist aus Sicht der Erdoğan-Partei auch dringend notwendig. Bei den Parlamentswahlen im November 2015 erreichte die AKP bei den Türken in Österreich zwar überdurchschnittliche 69 Prozent (Gesamtergebnis: 49,5 Prozent). Die Wahlbeteiligung fiel mit 41 Prozent allerdings schwach aus.
* Namen von Redaktion geändert