Die Drechslergasse im 14. Wiener Gemeindebezirk ist eine unauffällige Straße. Sie verläuft entlang der S-Bahn-Gleise, verbindet die beiden Bahnhöfe Breitensee und Penzing und hat außer Wohnhäusern nichts zu bieten – kein Café, kein Geschäft. Aber am oberen Ende der Drechslergasse fällt eine Fassade auf: Sie ist in Schönbrunnergelb gestrichen und übersät mit Ornamenten. Über der grauen Tür stehen in roten Lettern drei Wörter: Kommunistische Partei Österreichs.
Es ist Montag, der 11. März, und hinter der Fassade ist die Hölle los. Parteifunktionäre und -angestellte huschen von den Büros im zweiten in die Kaffeeküche im ersten Stock. Sie diskutieren miteinander, ständig läutet ein Telefon, und Medienvertreter geben sich die Klinke in die Hand. Das Thema ist überall dasselbe: Der Erfolg der KPÖ tags zuvor bei den Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Salzburg.
23 Prozent erreichte die Partei in der Stadt und wird künftig mit zehn Mandataren im Gemeinderat sitzen. Spitzenkandidat Kay-Michael Dankl erzielte in der Wahl um den Bürgermeistersessel sogar 28 Prozent und darf sich Hoffnungen machen, am 24. März in der Stichwahl gegen Bernhard Auinger (SPÖ) ins Amt gewählt zu werden. Es wäre nach Graz die zweite Landeshauptstadt, die von der KPÖ regiert würde. Zum Vergleich: Die ÖVP hält derzeit bei einer (nämlich Eisenstadt).
Ein halbes Jahr vor den Nationalratswahlen drängt sich damit eine Frage auf: Werden die Kommunisten auch ins Parlament einziehen? Bei Umfragen pendelt die Partei derzeit zwischen zwei und vier Prozent. Die Herausforderungen werden bei einer bundesweiten Wahl andere sein, sie reichen von der insgesamt größeren Konkurrenz bis zu den Unwägbarkeiten einer rasch wachsenden, heterogenen Partei zwischen ehemaligen Grünen und Sowjet-Nostalgikern. Außerdem fehlt ein bekannter Kopf an der Spitze wie Dankl in Salzburg oder Elke Kahr in Graz. Und dennoch: Seit die KPÖ 1959 aus dem Nationalrat flog, standen die Chancen noch nie so gut.
Erfolge quer durch
Tobias Schweiger hat keine Zeit für beschwichtigende Floskeln. Das Wahlergebnis in Salzburg habe ihn nicht überrascht, sagt er. „Auch bei 30 Prozent wäre ich nicht aus den Wolken gefallen. Die Stimmung im Wahlkampf war unglaublich.“ Der 33-Jährige wurde im November als KPÖ-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl präsentiert. Beim Gespräch mit profil in der Drechslergasse trägt er Nike-Turnschuhe und Jeans, die Haare hat er sich am Vormittag schneiden lassen.
Um die gute Stimmung zu illustrieren, erzählt er von der Goethesiedlung, mit 2700 Bewohnern der größte gemeinnützige Wohnpark der Stadt. Sie liegt in Itzling, im proletarischen Norden Salzburgs. Dort habe er in den Tagen vor der Wahl gemeinsam mit Dankl und Parteiaktivisten einen Infotisch aufgestellt und Flugzettel verteilt. Als er gemeinsam mit anderen Wahlkampfhelfern schon am Abbauen war – und Dankl am Weg zu einem anderen Termin –, sei einer der Anwohner zu ihnen gekommen. „Er hat mir gesagt: ‚Wir haben das besprochen, und ich kann Ihnen berichten: Die Goethesiedlung wählt die KPÖ.‘“
Der Herr versprach ein bisschen zu viel. Sieht man sich die Sprengelergebnisse an, kam die KPÖ in den drei Wahllokalen in der Goethesiedlung auf 24 Prozent – kein nennenswerter Ausreißer im Vergleich zum Gesamtergebnis. Sie bekam überall Zuspruch, in Arbeiterquartieren und Reihenhaussiedlungen: „Die Varianz der Wahlergebnisse nach Salzburger Bezirken ist bei der KPÖ am geringsten“, sagt Sozialforscher Christoph Hofinger vom Institut Foresight (früher Sora). Bei ÖVP und FPÖ wäre die räumliche Segregation doppelt, bei NEOS und Grünen sogar drei Mal so stark gewesen.
Auch bei 30 Prozent wäre ich nicht aus den Wolken gefallen.
Tobias Schweiger
KPÖ-Spitzenkandidat bei den Nationalratswahl
Keine Ausnahmegestalten notwendig
Ist die KPÖ also am Weg zur Volkspartei? So einfach ist es nicht. Da wäre zum einen die thematische Hürde. Der Frust über Wohnungsnot und steigende Mieten, den die KPÖ in Graz und Salzburg so erfolgreich einfangen konnte, ist im ländlichen Raum weniger stark verbreitet. Auch der enge Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern, den die Kommunisten über Sozialberatungen und Essensausgaben knüpfen konnten, lässt sich wohl kaum auf das gesamte Bundesgebiet skalieren.
Dazu kommt ein weiteres Problem. In Graz und Salzburg spielten Kahr und Dankl als Listenerste im Wahlkampf eine zentrale Rolle. Kahr war zum Zeitpunkt der Gemeinderatswahl 2021 schon fünf Jahre stellvertretende Bürgermeisterin, Dankl ist 2019 in den Gemeinderat eingezogen und schon im Vorjahr bei den Landtagswahlen als Spitzenkandidat angetreten. Sie ins Rennen um einen Sitz im Nationalrat zu schicken, kam nie ernsthaft infrage.
„Wir gehen lieber den harten Weg“, sagt Franz Parteder. Der 76-Jährige trat in den 1970er-Jahren aus der SPÖ aus, weil sie ihm unter Bruno Kreisky zu weit in die Mitte gerückt war. Parteder war von 1991 bis 2010 Chef der steirischen KPÖ und ist bis heute einer der wichtigsten Parteistrategen. Er ist der Lebensgefährte von Elke Kahr, Dankl hält er für eine Ausnahmegestalt, die „genau weiß, was man wann sagen muss.“ Dennoch: Ihn jetzt nach Wien abzukommandieren, sei den Wählerinnen und Wählern gegenüber unverantwortlich „und außerdem genau das, was andere Parteien in solchen Situationen tun würden“.
Sozialforscher Hofinger hält das zwar für ein Problem, aber nicht für ein unüberwindbares. Denn mit dem Profil der KPÖ müsse das Spitzenpersonal vor allem Bescheidenheit und ernsthaftes Engagement ausstrahlen. „Das ist vermutlich leichter zu finden als ein strahlender Showman“, sagt Hofinger. So wird also Tobias Schweiger, als Teil einer Doppelspitze mit der Salzburger Intensivpflegerin und Quereinsteigerin Bettina Prochaska, die KPÖ-Liste bei der Nationalratswahl anführen. Seit 2021 ist Schweiger im Bundesvorstand der Partei, davor war er Sprecher der Jugendorganisation „Junge Linke“, die ein Naheverhältnis zur KPÖ pflegt.
NR-WAHL: PG KPÖ "KPÖ NIMMT KURS AUF DIE NATIONALRATSWAHL": SCHWEIGER / HOPFGARTNER / KAHR / DANKL
Schweiger (l.) bei der Pressekonferenz Anfang November, auf der er gemeinsam mit Bettina Prochaska als KPÖ-Doppelspitze für die Nationalratswahl präsentiert wurde.
Grüne Wurzeln?
Wer in Schweigers Vita allerdings weiter zurückblickt, wird eine Parallele zu Kay-Michael Dankls politischer Laufbahn entdecken: ein Engagement bei den Jungen Grünen. 2010 gehörte Schweiger – damals Student in Graz – zu deren Mitbegründern. Die Organisation, die 2017 nach monatelangen Konflikten von der Parteispitze ausgeschlossen wurde, dient oft als Nachweis für Dankls grüne Wurzeln.
Allerdings wäre es falsch, die Jungen Grünen mit den Jugendorganisationen anderer Parteien – wie die Sozialistische Jugend oder die Junge ÖVP – zu vergleichen. Das Verhältnis war im grünen Fall immer distanzierter. Schweiger sagt, die Gruppe habe sich im Widerstand zum „Aufblasen des Kampagnenapparats, zur mangelnden Einbindung der Mitglieder und zur Nichtexistenz eines Programms“ unter der damaligen Vorsitzenden Eva Glawischnig formiert.
Er selbst habe nie gedacht, damit den Grünen wieder ein anderes Gesicht geben zu können: „Ich habe daran gedacht, welche Haltung in der Politik ich mir wünsche, und geglaubt, dass die Jungen Grünen ein Durchlauferhitzer für authentische politische Positionen sein können, in dem Netzwerke entstehen und junge Leute den Marxismus kennenlernen können.“ Schon wenige Monate nach dem Ausschluss folgte die Annäherung an die KPÖ: Flora Petrik, letzte Bundessprecherin der Jungen Grünen, trat als Listenzweite bei den Nationalratswahlen 2017 an, zahlreiche weitere Aktivistinnen und Aktivisten füllten die Liste auf, Dankl kandidierte auf Platz 40. Es reichte allerdings nur für 1,03 Prozent.
Parteder erinnert sich, dass er im Sommer 2017 zu einem Kongress der – aus den Jungen Grünen hervorgegangenen – „Jungen Linken“ eingeladen war. „Ich war tief beeindruckt“, sagt er. „Das waren Dutzende junge Leute, die in Grundfragen ganz ähnliche Ansichten haben wie wir.“ Konkret meint er etwa die Einschätzung, dass Schlüsselindustrien und Daseinsvorsorge sich nicht in Privateigentum befinden sollten, und den Zugang, die politische Praxis größer als Theoriedebatten zu gewichten. Er habe gehofft, dass man ein kleines Grüppchen von ihnen zur KPÖ holen könne. Geworden sind es gut 100.
Die Partei hat – auch aufgrund der jüngsten Wahlerfolge – eine Dynamik, die lange kaum vorstellbar war. Jahrzehnte war die KPÖ geprägt von verschrobenen Altlinken und internen Querelen. Die erfolgreichste Landespartei, jene aus der Steiermark, hatte kaum Berührungspunkte mit der Bundeszentrale in Wien. Man stritt sich über Positionen zur EU, politische Strategien und persönliche Befindlichkeiten. 2004 stand beim Parteitag in Linz sogar eine mögliche Spaltung im Raum.
Das waren Dutzende junge Leute, die in Grundfragen ganz ähnliche Ansichten haben wie wir.
Franz Parteder
KPÖ-Stratege über das Erbe der "Jungen Grünen"
Privatinitiative in Weißrussland
Auch wenn es mittlerweile viel harmonischer zugeht – ganz sind die alten Konfliktlinien nicht verschwunden. Während sich Dankl auf ganzer Linie von Wladimir Putins Regime und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine distanziert, haben andere Abgeordnete eine andere Weltsicht. Der steirische Landtagsabgeordnete Werner Murgg etwa trat im August 2021 eine Reise nach Weißrussland an und gab dem Staatsfernsehen von Putins Verbündetem Alexander Lukaschenko ein wohlwollendes Interview. „Eine Privatinitiative, die nicht sehr hilfreich war“, erklärte Parteder damals auf Twitter. Schon 2019 war Murgg in die von Separatisten regierte „Volksrepublik Donezk“ gereist, mit dabei der Grazer Gemeinderat Kurt Luttenberger.
Bei den kommenden Landtagswahlen im Herbst wird Murgg nicht mehr antreten. Außenpolitisch vertritt die Partei auch ohne ihn randständige Positionen: Bürgermeisterin Kahr stellte wiederholt die Sinnhaftigkeit der Russland-Sanktionen infrage und sprach sich nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober gegen das Anbringen einer israelischen Fahne am Grazer Rathaus aus.
Das vielfältige linke Meinungsspektrum zusammenzuhalten, gehört zu den Aufgaben des Bundesvorstands. KPÖ-Spitzenkandidat Tobias Schweiger sagt, dass die Partei – gerade in heiklen außenpolitischen Fragen – konsistente Positionen formulieren müsse. „Dann können Gemeinderatskandidatinnen den Medien auch sagen: ‚Wenn Sie Russland so sehr interessiert, dann rufen Sie in der Bundespartei an.‘“ Der Bundesvorstand verurteilte im März 2022 den „völkerrechtswidrigen Angriff“ Russlands auf die Ukraine und forderte „eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen“ sowie „den Rückzug der russischen Truppen“. Auch im Nahostkonflikt – für viele Linke identitätsstiftend – habe man sich positioniert, ohne innerparteilichen Streit zu verursachen, sagt Schweiger.
Die Chancen der KPÖ bei den kommenden Nationalratswahlen möchte er nicht beziffern, Druck verspüre er aber nicht. „Die Ausgangssituation ist gut. Wir machen unsere Arbeit, dann sehen wir es eh“, sagt er. Jedenfalls sei die Partei dabei, sich zu verwurzeln. In Salzburg, Graz und anderen Orten. Der Optimismus hinter der Fassade im 14. Bezirk ist spürbar.
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Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.