Erklärung der Regierung gegen Antisemitismus als unerwarteter Erfolg
Die österreichische Ratspräsidentschaft wird nicht wegen der Reform der EU-Asyl- und Migrationspolitik in Erinnerung bleiben, da es in diesem Bereich nicht gelungen ist, einen Konsens zwischen den EU-Staaten zur Frage der Solidarität und Verantwortlichkeit bei der Verteilung von Flüchtlingen zu erzielen. Sie wird auch nicht – entgegen allen großspurigen Ankündigungen – den EU-Außengrenzschutz wesentlich verbessert haben, da die Reform von FRONTEX weiterhin stockt und die angekündigten 10.000 EU-Grenzpolizisten noch in weiter Ferne sind. Die österreichische Regierung verbucht aber in einem ganz anderen Bereich einen großen Erfolg und überdies in einem Feld, wo man es ihr vielleicht am wenigsten zugetraut hätte.
Erheblicher Widerstand der Mitgliedstaaten
Am 6. Dezember nahm ausgerechnet der EU-Rat der Innenminister unter dem Vorsitz von Herbert Kickl eine Erklärung gegen Antisemitismus, in der sich die Mitgliedstaaten etwa zum besseren Schutz jüdischer Einrichtungen, zur Bekämpfung antisemitischer Postings online oder auch zur Sicherstellung des Unterrichts über die Geschichte des Holocausts in der Schule genauso wie in Integrationskursen für Flüchtlinge verpflichteten. Der Widerstand der Mitgliedstaaten gegen diese Erklärung war zum Teil erheblich. Insbesondere die west- und nordeuropäischen Staaten opponierten monatelang gegen die österreichischen Vorschläge. Den Franzosen, den Niederländern oder auch den Schweden gingen sie zu weit, da sie einer Besserstellung der jüdischen Gemeinschaften gegenüber anderen Minderheiten wie der Muslime skeptisch gegenüber standen.
Verhandlungen knapp vor dem Scheitern
Der in der österreichischen Ratserklärung enthaltene Verweis auf die von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommene rechtlich unverbindliche Arbeitsdefinition von Antisemitismus führte fast zum Scheitern der Verhandlungen, da diese Arbeitsdefinition nur von wenigen EU-Staaten übernommen wurde und (zu Unrecht) im Verdacht steht, jegliche Kritik gegen Israel als antisemitische Äußerung interpretierbar zu machen. Dank des Verhandlungsgeschicks von Dr. Antonio-Maria Martino, einem Referatsleiter des Innenressorts, der die Verhandlungen im zuständigen EU-Ausschuss leitete, konnten aber die richtigen Formulierungen gefunden werden, um einen Konsens unter allen achtundzwanzig EU-Staaten zu erreichen.
Für die EU einzigartige Willenserklärung
Der auch auf den Universitäten in Innsbruck und Wien lehrende Beamte mit italienischen Wurzeln gilt in Kickls Ressort als größter Europarechtsexperte. Er benötigte aber sein ganzes diplomatisches Geschick und seine fünfzehnjährige Erfahrung in der Gremienarbeit auf EU-Ebene, um die bis zum Ende der Verhandlungen von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Einwände abzuwehren. Nur so konnte eine für die EU einzigartige Willenserklärung, jüdisches Leben in Europa aktiv zu schützen, angenommen werden. Da es sich aber um ein rein politisches Committment der EU handelt, bleibt abzuwarten, ob sich die Situation jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Europa wirklich verbessern wird.
Jüdinnen und Juden fühlen sich weniger sicher
Die letzte Umfrage über den Antisemitismus in Europa, die erst im Dezember von der EU Grundrechteagentur veröffentlicht wurde, zeigt, dass sich die Mehrheit der befragten Jüdinnen und Juden weniger sicher fühlt als noch vor fünf Jahren, als die letzte derartige Umfrage durchgeführt wurde. Neben dem traditionellen rechtsextremen Antisemitismus gibt es insbesondere einen Anstieg des islamistischen Antisemitismus.