Türkis-blaue Ermittlungen: Der Staats-Akt
Wenn sich am kommenden Dienstag die Türen zum Großen Schwurgerichtssaal am Wiener Straflandesgericht öffnen, wird in der strafrechtlichen Aufarbeitung der jüngeren politischen Geschichte ein neues Kapitel aufgeschlagen: Mit der früheren Familienministerin Sophie Karmasin-Schaller steht erstmals in Zusammenhang mit den zahlreichen Affären und Vorwürfen der vergangenen Jahre eine hochrangige Vertreterin der ÖVP vor Gericht. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie nicht die letzte sein.
Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Falschaussage gegen den früheren Parteichef und Bundeskanzler Sebastian Kurz sind abgeschlossen, ein entsprechender Vorhabensbericht liegt zur Prüfung im Justizministerium. Der genaue Inhalt ist unbekannt und könnte theoretisch auch auf eine Verfahrenseinstellung hinauslaufen. Doch sogar Sebastian Kurz selbst hat in der Öffentlichkeit wenig Zweifel daran gelassen, dass die Causa vor Gericht gehen wird – wo der Ex-Kanzler gedenkt, die Vorwürfe zu entkräften, wie er betont. Darüber hinaus sind umfassende weitere Ermittlungen gegen zahlreiche hochrangige Vertreter der Volkspartei im Laufen.
Es ist also gut möglich, dass das jetzige Karmasin-Verfahren nur der erste einer ganzen Reihe von ÖVP-Prozessen sein wird. Dass die heute 56-Jährige Ex-Ministerin immer gerne betont hat, parteifrei zu sein, ändert nichts am Umstand, dass sie politisch der Volkspartei zuzurechnen ist: Immerhin bekleidete sie von Ende 2013 bis Ende 2017 ein Ministeramt auf einem ÖVP-Ticket und sollte als liberales Gesicht im Regierungsteam eine wichtige politische Flanke für die Volkspartei abdecken.
Darüber hinaus deuten mittlerweile bekannt gewordene Chatnachrichten darauf hin, dass Karmasin in ihrer Zeit als Ministerin an einem mutmaßlichen Meinungsumfragen-Deal mit der Zeitung „Österreich“ beteiligt gewesen sein könnte: Gemäß Verdachtslage sollte dadurch mitgeholfen werden, Sebastian Kurz zunächst an die Partei- und in weiterer Folge an die Regierungsspitze zu bringen (und zwar auf Kosten des Finanzministeriums – dazu weiter unten mehr).
Ex-Familienministerin Sophie Karmasin eröffnet den Prozessreigen
Die Ex-ÖVP-Spitzenpolitikerin muss als erste vor Gericht. Im Gefängnis war sie auch schon - in Untersuchungshaft.
Auch wenn sich dieser Umfragen-Aspekt noch im Ermittlungsstadium befindet und nicht Thema des aktuellen Gerichtsprozesses ist: Der Eindruck bleibt, dass mit Sophie Karmasin erstmals eine Vertreterin jenes Systems an Vertrauten und Unterstützern auf der Anklagebank sitzt, das Sebastian Kurz im Jahr 2017 den Weg an die Macht geebnet hat. Darüber hinaus stellt der jetzige Prozess die erste große Bewährungsprobe für die Kronzeugin Sabine Beinschab dar. Die Meinungsforscherin war einst eine enge Vertraute Karmasins.
Beinschab geriet selbst ebenfalls ins Visier der Justiz, hat sich jedoch entschieden, mit ihren Aussagen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bei den Ermittlungen zu unterstützen – dies durchaus in der Hoffnung, selbst glimpflich davonzukommen. Nun wird sich erstmals zeigen, ob Angaben Beinschabs vor Gericht Bestand haben können. Ein Teil der Karmasin-Anklage beruht nicht zuletzt auf Angaben der Kronzeugin. Karmasin hat strafrechtliches Fehlverhalten immer bestritten.
Prolog: Vier Jahre Staatsaffären
Über all dem schwebt jedoch auch eine staatspolitische Dimension – und zwar ganz unabhängig von strafrechtlichen Überlegungen. Was in den vergangenen vier Jahren ans Tageslicht gekommen ist, lässt kaum Zweifel daran, dass es im politischen System krankt. Da haben hochrangige Manager und Unternehmer nicht nur Sonder-Zugang zu den Spitzen der Republik, bei denen sie hemmungslos intervenieren – sie finden mit ihren Partikularinteressen offenbar auch noch Gehör. Wenn es um Steuerfragen für die Reichsten geht, offenbart sich so etwas wie eine Zwei-Klassen-Finanz.
Es wird mit Posten gedealt, was das Zeug hält. Heikle Aspekte von Amtsgeschäften werden nicht per Aktenlauf, sondern formell undokumentiert per Handy-Chat abgewickelt. Medienmacher, die eigentlich die Mächtigen kontrollieren sollten, kommen diesen viel zu nahe. Ernsthafte Skrupel, die öffentliche Meinung zu eigenen Gunsten zu manipulieren, sucht man bei manch Entscheidungsträger im politischen System vergebens. Und wenn jemand nicht spurt, schickt man ihm kurzerhand die Finanz vorbei – vorexerziert am Beispiel der katholischen Kirche.
All das ist toxisch für Demokratie und Rechtsstaat. Genau genommen erlebt Österreich seit 2019 eine ununterbrochene Kette an Staatsaffären.
Was von den Erkenntnissen und Vorwürfen am Ende des Tages strafrechtlich relevant ist und was nicht, muss die Justiz klären – und sie tut das seit vier Jahren auf Hochtouren.
1. Akt: Das Glücksspiel
Da wäre einmal der Nukleus des sich später massiv ausgewachsenen Ermittlungskomplexes: die sogenannte Causa Casinos. Begonnen hat alles im Mai 2019 mit einer anonymen Anzeige über einen mutmaßlichen Deal zwischen dem Glücksspielkonzern Novomatic und Vertretern der FPÖ. Der Verdachtslage zufolge sollte Novomatic unter anderem dafür sorgen, dass der freiheitliche Bezirkspolitiker Peter Sidlo Vorstand der Casinos Austria AG (Casag) würde. Im Gegenzug hätte die FPÖ Novomatic unter anderem bei der Erlangung einer begehrten Online-Glücksspiellizenz helfen sollen.
Auf Basis der anonymen Anzeige und mit Blick auf Aussagen des früheren FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video leitete die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) umfangreiche Ermittlungen ein. Diese sind weit gediehen. Zuletzt lud die WKStA einige Beschuldigte zu Einvernahmen. Wie profil vergangene Woche berichtete, wurde dabei Heinz-Christian Strache mit einer ganzen Reihe von Ermittlungsergebnissen konfrontiert. Das Landesgericht Wien wies zudem einen Einstellungsantrag Peter Sidlos ab und hielt dabei fest, dass sich die Verdachtslage auf Basis jüngster Datenauswertungen „noch erhärtet“ habe. Übersetzt: Es geht eher Richtung Anklage als in Richtung Einstellung.
Peter Sidlos Bestellung zum Casinos-Vorstand wird zum Kriminalfall
Peter Sidlo wurde Casinos-Vorstand auf Ticket der FPÖ. Heute wird ermittelt, ob das legal war. Ein Einstellungsantrag wurde jüngst vom Gericht abgewiesen. Die Staatsanwaltschaft sieht die Vorwürfe erhärtet - es geht eher Richtung Versuch einer Anklage, denn Richtung Einstellung.
Beschuldigte im Casinos-Komplex sind neben Strache und Sidlo unter anderem der frühere ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger, der damalige FPÖ-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs, Ex-Casag-Aufsichtsratschef Walther Rothensteiner, Novomatic-Gründer Johann Graf, der frühere Novomatic-Chef Harald Neumann, die Novomatic AG nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, der einstige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus – und ein gewisser Thomas Schmid, einst als Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium der wichtigste Mann nach dem Minister. Alle haben die Vorwürfe immer bestritten.
2. Akt: Die Chats
Aufgrund des Casag-Verfahrens führte die WKStA im Herbst 2019 auch bei Schmid eine Hausdurchsuchung durch. Dabei wurde ein elektronisches Gerät sichergestellt, das Schmid für einen defekten Internet-Router hielt, welches sich in den Händen der Ermittler jedoch als perfekt funktionierender Backup-Speicher für Handy-Chats entpuppen sollte.
Die Schmid-Chats führten zunächst zu vier wesentlichen weiteren Ermittlungskomplexen. Nummer eins: mögliche Falschaussagen bei der Staatsanwaltschaft beziehungsweise vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss. Die WKStA glich Angaben, die unter Wahrheitspflicht getätigt worden waren, mit den ihr nunmehr vorliegenden Chat-Nachrichten ab – und ortete teils gröbere Abweichungen.
Prominentester Beschuldigter in diesem Zusammenhang ist Sebastian Kurz, der im Verdacht steht, vor dem U-Ausschuss in Bezug auf Postenbestellungen rund um die Staatsholding Öbag die Unwahrheit gesagt zu haben. Betroffen ist jedoch auch die frühere Casag-Chefin und langjährige ÖVP-Vizeparteiobfrau Bettina Glatz-Kremsner. Alle bestreiten die Vorwürfe. profil-Informationen zufolge liegt ein Strafantrag per Vorhabensbericht im Ministerium auf. Eine Entscheidung, ob dem stattgegeben wird oder nicht, wird im Frühsommer erwartet.
Ein zweiter Ermittlungskomplex, der von den Schmid-Chats angestoßen wurde, dreht sich um das sogenannte „Beinschab-Österreich-Tool“ und um mutmaßliche Inseratenkorruption. Hier steht der Verdacht im Raum, das Finanzministerium könnte Wunsch-Meinungsumfragen aus dem Beraterkreis von Sebastian Kurz verdeckt bezahlt und teilweise auch in der Zeitung „Österreich“ platziert haben – dies kombiniert mit zusätzlichen Inseratenvergaben des Ministeriums an die „Österreich“-Mediengruppe.
Der prominenteste Beschuldigte: Ex-Kanzler Sebastian Kurz
Sebastian Kurz trat wegen den Ermittlungen als Kanzler zurück. Eine erste Anklage erwartet er selbst wegen des Vorwurfs der Falschaussage im U-Ausschuss
Die WKStA ermittelt wegen des Verdachts der Untreue und der Bestechung beziehungsweise der Bestechlichkeit. Beschuldigte sind neben Schmid und Karmasin unter anderem auch Sebastian Kurz, einige seiner engsten Vertrauten, die „Österreich“-Macher Wolfgang und Helmuth Fellner sowie – nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – die ÖVP-Bundespartei. Im Oktober 2019 fanden in diesem Zusammenhang Hausdurchsuchungen in der Parteizentrale und im Bundeskanzleramt statt. Bald darauf war Kurz politisch Geschichte. Bis auf Schmid – der mittlerweile Kronzeuge werden will (dazu weiter unten mehr) – bestreiten alle Genannten die Vorwürfe.
Der dritte Ermittlungskomplex betrifft steuerliche Angelegenheiten des prominenten Managers und Unternehmers Siegfried Wolf. Hier geht die WKStA – kurz zusammengefasst – dem Verdacht nach, Wolf könnte dank Interventionen ein insgesamt millionenschwerer Steuer- und Zinsnachlass gewährt worden sein. Wolf hat sich zuletzt im Ermittlungsverfahren umfassend zu den Vorwürfen geäußert und diese entschieden bestritten. Die WKStA stieß in Zusammenhang mit diesem Verfahrensteil übrigens auf eine besonders bemerkenswerte Handy-Nachricht Schmids an einen seiner damaligen Mitarbeiter im Finanzministerium: „Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für dich (sic!) reichen!“ Beschuldigt ist neben Schmid und Wolf unter anderem auch der frühere ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling.
Schelling zählt jedoch mittlerweile auch zu den Beschuldigten in einem vierten Ermittlungsstrang, der sich aus den Schmid-Chats ergeben hat: die mutmaßlich geschobene Besetzung einer Finanzamtsleitung in Oberösterreich mit einem ÖVP-Kandidaten. Dies soll gemäß Verdachtslage auf Wunsch des heutigen ÖVP-Klubobmanns im Nationalrat, August Wöginger, erfolgt sein. Schelling und Wöginger haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Ein Nebenaspekt, der sich aus den Chats-Ergeben hat: Dem früheren ÖVP-EU-Abgeordneten Paul Rübig wird vorgeworfen, er habe Schmid zur Verletzung des Amtsgeheimnisses in Bezug auf Informationen über den damaligen SPÖ-Wahlkampfberater Tal Silberstein anstiften wollen. Rübig bestreitet das. Doch nicht nur Schmids Handy war für die Ermittler ergiebig: Ein SMS von Ex-Novomatic-Chef Harald Neumann führte zu Bestechungsermittlungen und einer Hausdurchsuchung beim damaligen Finanzminister Gernot Blümel. Beide haben die Vorwürfe immer bestritten.
3. Akt: Das Schmid-Geständnis
Ein vielleicht noch größerer ermittlungstechnischer Coup als die Auswertung der Schmid-Chats gelang der WKStA damit, über Monate hinweg geheim zu halten, dass Schmid selbst sich als Kronzeuge angetragen und ein umfangreiches Geständnis zu verschiedenen Teilaspekten abgelegt hatte.
Diese Aussagen führten unter anderem zu Ermittlungen gegen den Immobilienunternehmer René Benko wegen des Verdachts, dieser hätte – stark zusammengefasst – versucht, eine Steuerprüfung auf unlautere Weise zu beeinflussen. Dem Unternehmer Ronny Pecik wiederum wird vorgeworfen, Schmid verbotenerweise Vorteile zukommen lassen zu haben – unter anderem, in dem er dem damaligen Amtsträger Luxus-Autos borgte und Anzüge schneidern ließ. Sowohl Benko als auch Pecik haben sämtlich Vorwürfe immer bestritten.
Thomas Schmid will Kronzeuge werden
Thomas Schmids Chats waren der Ausgang für viele Ermittlungen. Schmid suchte den Kontakt zur Staatsanwaltschaft, legte dort ab und bemüht sich heute um den Kronzeugenstatus.
Noch länger unter Verschluss gehalten wurden Aussagen Schmids, die zur jüngsten maßgeblichen Entwicklung im gesamten Verfahrenskomplex geführt haben: Die WKStA hat in Zusammenhang mit dem Verdacht der Inseratenkorruption Ermittlungen gegen das Medienmanager-Ehepaar Eva Dichand („Heute“) und Christoph Dichand („Kronen Zeitung“) eingeleitet.
In den Geschäftsführungsräumlichkeiten von „Heute“ kam es sogar zu einer Hausdurchsuchung. Millionenschwere Inserate auf Kosten des Finanzministeriums gegen wohlwollende Berichterstattung für Kurz & Co.? Wie profil berichtete, schauten vergangene Woche die Ermittler sogar ein zweites Mal vorbei, um alte Anstellungsverträge auf verdächtige, inserentenfreundliche Klauseln untersuchen zu können. Ex-Kanzler Kurz ist auch in diesem Zusammenhang Beschuldigter. Er und das Ehepaar Dichand haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Ob die genannten Causen am Ende des Tages zu Anklagen oder Verurteilungen führen werden, wird sich zeigen. Bisher gab es im Verfahrenskomplex eine rechtskräftige Verurteilung gegen eine frühere Schmid-Mitarbeiterin wegen Falschaussage sowie zwei rechtskräftige Freisprüche für Strache in Bezug auf Vorwürfe der Bestechlichkeit. Außerhalb des Casag-Komplexes laufen zudem Ermittlungen in Zusammenhang mit Postenbesetzungen gegen den ÖVP-Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka und den früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter.
Strache hat seine Prozesse hinter sich
Der Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stand schon mehrfach vor Gericht. Es ging um den Verdacht, dass Spenden zu erwünschten Gesetzen geführt hätten. Bisher gab es nur Freisprüche. Die Prozesse haben Strache viel Geld gekostet - er ist abgebrannt.
In einer Inseraten-Affäre rund um den Wirtschaftsbund in Vorarlberg gilt ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner weiterhin als Verdächtiger. Siegfried Wolf wiederum ist Beschuldigter in der Causa Eurofighter – auch da dürfte es bald Neuigkeiten geben, ob es zur Anklage kommt, oder nicht. Ein Vorhabensbericht ist in der Pipeline. Alle Genannten haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.
Korruptionsdelikte sind in Österreich rechtlich sehr eng gefasst. Auch wenn nun die eine oder andere Gesetzeslücke gestopft wird, gilt dies nicht rückwirkend. Strafandrohung kann sicherlich mithelfen, besondere Korruptionsauswüchse einzudämmen, der alleinige Schlüssel zu sauberer Politik ist sie freilich nicht. Dieser Läge in einem entsprechenden Bewusstsein der maßgeblichen Verantwortlichen in Parteien, Verwaltung, Wirtschaft und auch Medien. Manche versuchen nun, das Strafrecht zum einzigen Maßstab ihres Handelns zu erklären. Damit lassen sie sich ziemlich viele Möglichkeiten offen.