Erziehungsheim Steyr-Gleink: „Nicht genug hingeschaut“
Interview: Edith Meinhart
profil: Sie halten den Bericht über die dunklen Kapitel von Caritas-Heimen in Händen. Ihr Resümee? Kehrer: Es war ein großes Ziel, alle Facetten herauszuarbeiten und zeitgeschichtlich einzuordnen, sichtbar zu machen, wie das Personal unter Druck stand, was man versucht hatte und wo man gescheitert ist. Das wurde erreicht. Insofern bin ich mit dem Bericht zufrieden. Mit seinem Inhalt kann man es nicht sein.
profil: Sie wussten vermutlich, dass in Gleink ein System von Unterwerfung und Gewalt herrschte. Kehrer: Ja, und die Schilderungen gehen einem sehr nahe. Ich habe das Manuskript in Raten gelesen. Man legt es am Abend nicht einfach zur Seite wie einen Roman. Es bewegt mich sehr, dazu stehen zu müssen, dass auf dem Heim Caritas draufstand und man nicht nachhaltig genug hingeschaut hat. Dass religiöse Vorbilder körperliche und sexuelle Gewalt ausgeübt haben, ist für mich als Verantwortlichen einer kirchlichen Sozialorganisation am schwierigsten auszuhalten. Dass man den Kindern damals nicht glaubte, muss uns auch heute beschäftigen. Wie können wir für eine Atmosphäre sorgen, in der Kinder sich ihren Betreuern anvertrauen?
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profil: Viele Heimleiter und Erzieher stellte der Orden der Herz-Jesu-Missionare, der aber nicht bereit war, seine Archive zu öffnen. Ist die Mahnung aus Rom, dass die Zeit des Vertuschens vorbei ist, noch nicht überall angekommen? Kehrer: Wir haben alles versucht, ich habe das Gespräch mit den Herz-Jesu- Missionaren gesucht, habe den Ordens- oberen eingeladen. Es tut mir sehr leid, dass die Energie für eine volle Kooperation nicht gereicht hat. Vielleicht braucht es noch eine innerkirchliche Bewusstseinschärfung. Letztlich geht es auch um die Frage, welche Gestenzahlungen auf einen zukommen, wenn man sich öffnet. Wenn ich den Gestellungsvertrag lese, sehe ich die Verantwortung für das Personal und einzelne Verfehlungen beim Orden. Aber natürlich hat auch die Caritas eine Verantwortung. Es wurden Briefe geschrieben und Behörden eingeschaltet, letztlich aber hat man sich mit der Auskunft zufrieden gegeben, dass man sich darum kümmern werde. Heute würde ich mir die Frage stellen: Wie kann man hinter die Kulissen schauen, wenn etwas verdeckt werden soll? Aber die Umstände waren damals völlig anders. Es war schlicht denkunmöglich, dass ein Priester ein Kind sexuell missbraucht.
profil: Die sexuelle Gewalt ist immer noch der wunde Punkt in der Aufarbeitung. Welche Lehren kann man daraus ziehen? Kehrer: Es gilt auch heute, kleinste Warnsignale wahrzunehmen, hinzuschauen und hinzuhören. Das halte ich für absolut wichtig.