Esoterik: Öffentliche Stellen vergeben Aufträge an Scharlatane
Die Seestadt Aspern ist ein magischer Ort, voll von Energiezentren und Vitalfeldern – zumindest wenn man einer Esoterik-Studie Glauben schenkt. Im Auftrag der Wiener Wirtschaftsagentur stapfte ein „Geomant“ vor 13 Jahren über die noch unbebaute Fläche der Seestadt. Für die stattliche Summe von 19.000 Euro ließ er die Kräfte der Natur auf sich wirken. Geomanten glauben, dass sie energetische Plätze in einer Landschaft aufspüren können. Die Studie sollte „einen Beitrag zur Stärkung der Lebenskraft des Projektgebietes“ liefern. profil liegt ein Auszug der kruden Arbeit vor: „In Bezug auf die derzeitige Ausprägung der vier Elemente im Projektgebiet wirkt die Luft und das Wasser stark, das Feuer ist ausgeprägt und die Erdqualität noch nicht voll präsent.“ Besonders angetan zeigte sich der Geomant von einem Hollerbusch, dem er „spezifische energetische Eigenschaften“ zuschrieb. Der Strauch solle „im Zuge der Entwicklungsmaßnahmen berücksichtigt werden“, hieß es folgerichtig im Masterplan der Seestadt Aspern. Das Architektenteam sah den Standort für einen „Campus der Religionen“ vor.
Es benötigt ein gehöriges Maß an Fantasie, um sich in die Geisteswelt der Energetiker und Geomanten zu versetzen. Die Gurus spüren unsichtbare Energiequellen auf und behüten ihre Kundschaft vor vermeintlichen Strahlengefahren aus der Erde. Noch abenteuerlicher ist allerdings, dass öffentliche Gelder in diese Voodoo-Praktiken fließen. Erst vor zwei Wochen wurde ein Auftrag des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) an einen Energetiker in der Höhe von 95.000 Euro öffentlich – für ein „Energie-Schutzschild“ um das Krankenhaus Nord. Es handelt sich dabei um keinen Einzelfall: Zahlreiche Schulen, Spitäler und Gemeinden vertrauen auf die Dienste esoterischer Scharlatane.
„Esoterik ist die neue Form der Spiritualität, eine Art Religionsersatz“, sagt die Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. Sie beobachtet schon länger, wie die Szene wächst: „In den großen Religionen geht es auch darum, sich selbst für die Gemeinschaft zurücknehmen. Das esoterische Konzept ist dagegen sehr Ich-fokussiert. Es geht immer um Optimierung und Erhöhung des Selbst. Das passt zu unserer Zeit.“ Der Trend verlaufe quer durch alle sozialen Schichten.
Wissenschaftlich konnte die Existenz von Wasseradern und Erdstrahlen nie nachgewiesen werden. Doch der Glaube an das Überirdische ist oft stärker als die Ratio. Knapp 27.000 Euro zahlte die Kärntner Krankenhaus-Gesellschaft KABEG einem Geomanten, der das Grundstück der Klagenfurter Klinik vor dem Neubau akribisch analysierte. Er fand „Ley-Linien“, „Impulszonen“ und einen Ort, den er im Plan als „Fokus der Lebenskraft“ beschrieb. Heute ist der KABEG das Engagement einigermaßen peinlich: „Bitte um Verständnis, dass die Beweggründe des damaligen Vorstandes, welcher nicht mehr im Unternehmen ist, nicht eruiert werden können.“ Die aktuelle Führung des Spitalträgers legt Wert darauf, dass seit geraumer Zeit „keine Aufträge in diese Richtung erteilt wurden“. Und: Auf den Neubau des Spitals habe die geomantische Untersuchung keinen Einfluss gehabt. Allerdings wurde auf Grundlage der Studie ein sogenanntes Lithopunkturprojekt um gut 40.000 Euro realisiert – eine Art Akupunktur für Landschaften, bei der durch die spezielle Anordnung von Steinen Orte „geheilt“ werden sollen. Die Steinskulpturen stehen bis heute auf den Grünflächen der Klagenfurter Klinik.
In der Esoterik gibt es einen irrationalen Zug hin zu Veschwörungstheorien. Das macht mir Sorgen. (Ulrike Schiesser, Bundesstelle für Sektenfragen
Das Geschäftsmodell der Scharlatane stützt sich auf die Gutgläubigkeit der Kunden und deren Sehnsucht nach Transzendenz. Granderwasser darf in Österreich seit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2006 als „aus dem Esoterik-Milieu stammender parawissenschaftlicher Unfug“ bezeichnet werden. Das hindert Dutzende Gemeinden nicht daran, in ihren Schwimmbädern mit dem „belebten Wasser“ zu werben. Ein Gerät, das „Informationen“ an das vorbeifließende Leitungswasser absondern soll, kostet über 1000 Euro. Besonders pikant wird es, wenn solche Anlagen in Spitälern eingebaut werden – wie etwa in St. Pölten (Niederösterreich) und Bruck an der Mur (Steiermark). Bei den Spitalsträgern dürfte es inzwischen zu einer Bewusstseinsänderung gekommen sein.
Auf profil-Anfrage erklärt die niederösterreichische Landeskliniken-Holding: Als die Grander-Geräte eingebaut wurden, habe man „noch nicht den derzeitigen wissenschaftlichen Informationsstand gehabt“. Die steirische KAGES ging noch einen Schritt weiter und montierte die Grander-Schilder ab, „da eine Bewerbung nicht im Sinn unseres Unternehmens ist“. So weit ist man bei der Spanischen Hofreitschule noch nicht: Die Lipizzaner würden seit dem Einbau der Anlage mehr Wasser trinken, lässt sich der Oberstallmeister auf der Grander-Website zitieren.
Hochkonjunktur haben auch Fabrikate, die vorgeben, Strahleneinflüsse durch Handys und WLAN zu neutralisieren. Das Unternehmen „WaveEx“ bietet Sticker an, die elektromagnetische Felder „für unseren Körper bioverträglich“ machen sollen – für knapp 25 Euro das Stück. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) warnt: „Das angebliche Wirkprinzip von WaveEx und vergleichbaren Produkten ist wissenschaftlich nicht plausibel.“ Um das Image zu verbessern, forciert „WaveEx“ Kooperationen mit Gemeinden – und verschenkt Sticker. Gerasdorf bei Wien und Blindenmarkt sind angesprungen, die Bürgermeister stehen für den Effekt des Produkts Pate: „Voraussicht ist besser als Nachsicht, wie man so schön sagt“, sagte der Blindenmarkter Ortschef über „gesundes WLAN“ in seiner Gemeinde.
Dutzende Kommunen und Schulen organisieren Vorträge zum „heimlichen Krankmacher Elektrosmog“, die Vortragenden sind meist windige Charaktere ohne einschlägige Ausbildung. Und auch so mancher Gesundheitseinrichtung scheinen unsichtbare Strahlen nicht ganz geheuer zu sein. Das Rehazentrum Bad Schallerbach der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) kaufte vor Jahren sogenannte „Geo Waves“. Die Aluminiumbleche zur Deckenmontage sollen laut Hersteller „gegen Wasseradern, Erdverwerfungen und magnetische Felder“ wirken. Die PVA dazu: „Es hat bisher keine Evaluierung stattgefunden, da auch keine weiteren Anschaffungen ins Auge gefasst wurden.“ Dasselbe Fabrikat kam auch in Salzburger und Wiener Kliniken zum Einsatz – inzwischen hat man den Wunderblechen aber abgeschworen.
Die Esoterik-Szene zieht immer weitere Kreise. Auf dem Wiener Zentralfriedhof lädt der „Park der Ruhe und Kraft“ laut offizieller Broschüre der Friedhöfe Wien zum „Kontakt mit den Kräften der Bäume, der Pflanzen, der Steine und der Erde“ ein. Beworben wird auch ein „stehender Stein, der durch Handauflegen zu neuer Stärke verhilft“.
Selbst Touristiker haben den esoterischen Zeitgeist erkannt und orientieren ihre Produktpalette daran – vorzugsweise in Gebieten, die touristisch schwierig zu vermarkten sind. Um Zehntausende Euro wurden im oberösterreichischen Mühlviertel Wünschelrutengänger durch den Wald geschickt, wo sie Kraftplätze finden sollten. Der örtliche Tourismusverband bietet nun geführte Touren durch die Forste an; ein viertägiger Aufenthalt unter Anleitung eines „Wald-Doktors“ kostet 564 Euro pro Person. Inkludiert ist etwa ein Weg zu den „vier Elementen Feuer, Erde, Wasser, Luft“.
Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen steht dem Trend skeptisch gegenüber: „Wo ist es schlicht spirituelles Bedürfnis, dem man Raum gibt, und wo fängt man an, Aberglaube zu unterstützen? In der Esoterik-Szene gibt es neben harmlosen Strömungen einen irrationalen Zug hin zu Verschwörungstheorien, ja sogar ins Staats- und Medizinfeindliche. Das macht mir Sorgen.“