Nehammer und Lopatka im Jänner 2024 in Wels
Superwahljahr 2024

EU-Wahl: Die ÖVP hat viel zu verlieren, Reinhold Lopatka nichts

Spitzenkandidat Lopatka ist der letzte Verbliebene der Ära Wolfgang Schüssel. Damals war die ÖVP Europapartei pur. Und heute?

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Seit 35 Jahren liegt auf Reinhold Lopatkas Schreibtisch ein kleines, an der Außenseite rot bemaltes Stück der Berliner Mauer. Er hat es im Herbst 1989, sehr bald nach deren Fall, bei einem Besuch in der noch geteilten Stadt selbst ausgeschlagen. Wann immer Lopatka seinen Job wechselte, das Stück kam mit. Es lag auf seinem Schreibtisch in der Landesgeschäftsstelle der steirischen Volkspartei; in der ÖVP-Bundesparteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse; im Bundeskanzleramt; im Finanzministerium; im Außenamt; und in den vergangenen Jahren in seinem Abgeordnetenbüro im Parlament. Das Stück ist „ein Symbol für Freiheit und das Zusammenwachsen von Europa“, sagt Lopatka. Große Worte. Und natürlich wird der Stein ab Herbst auch auf seinem Schreibtisch in der Rue Wiertz 60 in Brüssel, dem Sitz des Europäischen Parlaments, einen Platz finden.

Reinhold Lopatka ist Spitzenkandidat der ÖVP für die Europawahl am 9. Juni. Er ist 64 Jahre alt. Hinter ihm liegt eine bemerkenswerte politische Karriere, die in der Schülervertretung, in der Katholischen Hochschuljugend und im steirischen Landtag begann. Für die EU war er nicht die erste Wahl von Parteichef Karl Nehammer, aber am Ende eine logische: Da die ÖVP viel verlieren wird, macht es Sinn, jemanden ins Rennen zu schicken, der am Ende seiner Laufbahn nichts zu verlieren hat. Bei der Europawahl am 26. Mai 2019 siegte die ÖVP dank der Strahlkraft ihres Parteichefs Sebastian Kurz und des Ibiza-Video-Debakels der FPÖ mit 34,6 Prozent. In einer „Kurier“-Umfrage liegt sie deutlich schlechter bei 22 Prozent. „Danke, dass du dir das antust“, sagte Nehammer zu Lopatka bei einer Veranstaltung im Jänner in Wels. Für die einen war es ein unbewusster Versprecher, für die anderen ehrliche Dankbarkeit.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.