EU: Wie geht es mit Netzneutralität und Roaming weiter?
Der 3. April 2014 sollte in die Geschichte eingehen als jener Tag, an dem Europa zu einem "connected continent“ wurde, einem vernetzten Kontinent. An jenem Donnerstag stimmte das Europaparlament über zwei hitzig debattierte Themen ab: das Roaming und die sogenannte "Netzneutralität“.
Die Parlamentarier einigten sich: Die Roamingkosten sollen bis Ende 2015 fallen. Ab dann soll man im EU-Ausland zu denselben Konditionen telefonieren oder SMS verschicken können wie im Heimatstaat. Und auch die Netzneutralität wurde in dem Beschluss für schützenswert erklärt; sie verhindert, dass ein Zwei-Klassen-Internet entsteht, bei dem finanzschwächere Kunden nur eine Billigvariante des Netzes nutzen können.
Dafür ließen sich die EU-Politiker feiern. "Mit dieser Abstimmung bewirkt die EU etwas für die Bürger“, erklärte Neelie Kroes, die damalige EU-Kommissarin für die Digitale Agenda.
Nur: Ob dieser Beschluss tatsächlich etwas bewirkt, ist unsicher. All die Paragrafen, welche die Europaabgeordneten absegneten, stehen nun zur Verhandlung, ehe die sogenannte "Verordnung über den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation“ gültiges Recht wird. Im Trilog müssen sich Parlament, Kommission und der Rat der Fachminister aus den Mitgliedsstaaten erst auf einen Wortlaut einigen. Der Rat hat kürzlich seinen eigenen Vorschlag vorgelegt: Er will die Roamingkosten nicht so schnell abschaffen, sondern erst 2018 evaluieren. Auch die Netzneutralität wird womöglich durchlöchert.
In ihren Positionen sind die Verhandlungspartner weit voneinander entfernt. "Die Netzneutralität und die Abkehr vom Roaming sind akut gefährdet“, sagt Michel Reimon, grüner Europaabgeordneter aus Österreich und einer der Repräsentanten im Trilog. Es geht auch um die Frage, wie Handy- und Internetrechnungen in Europa künftig aussehen werden.
An drei Streitpunkten könnte die gesamte Verordnung scheitern.
Streitpunkt 1: das teure Telefonieren im Ausland
Roaming ist ein europäisches Prestigeprojekt. Hier konnten die Politiker auf verständliche Weise zeigen, wofür es die EU gibt. Auch ein österreichischer Europaabgeordneter, der ÖVP-Mandatar Paul Rübig, setzte sich hierfür massiv in Brüssel ein - mit Erfolg.
Ehe die Union einschritt und die Preise deckelte, verlangten Telekomfirmen horrende Summen, wenn man im Ausland telefonierte, SMS sendete oder Daten empfing.
Für ein heruntergeladenes Megabyte beispielsweise, das man beim Surfen im Web rasch verbraucht, verrechneten viele Provider im Jahr 2009 noch vier Euro. Heute dürfen es maximal 20 Cent sein. Eine Preisreduktion um 95 Prozent.
Nachdem die EU-Kommission in den letzten Jahren die Gebühren gesenkt hat, will sie diese nun bis Ende 2015 zur Gänze abschaffen - mit Unterstützung des Europaparlaments.
Den Mitgliedsstaaten ist dieser Zeitpunkt zu früh. Sie wollen eine Evaluierung bis 2018 und zuvor Freigrenzen, damit der typische Urlauber gratis roamen kann. Wer überdurchschnittlich viel reist und telefoniert, müsste vorerst weiterhin - sehr niedrige - Roaminggebühren zahlen. Klingt konsumentenfeindlich, hat aber einen Grund: Entgegen dem landläufigen Glauben ist Roaming für Telekomkonzerne nicht gratis. Telefoniert ein Kunde in einem ausländischen Netz, fallen für den Mobilfunkanbieter (geringe) Kosten an - Kosten, die künftig von den Kunden nicht mehr direkt bezahlt würden.
Die österreichische Regierung befürchtet, dass bei einem abrupten Wegfall der Roaminggelder die normalen Handytarife steigen. Bisher bringt das Roa-ming den Mobilfunkunternehmen viel Geld ein. Die Telekom Austria Group zum Beispiel erzielte im Vorjahr 17 Prozent ihres Umsatzes nur mit Roaming.
Deswegen wollen die Mitgliedsstaaten einen Kompromiss verhandeln: Die Roamingkosten sollen verschwinden, aber nicht so schnell. Dafür plädiert auch die Branche. Vonseiten der Telekom Austria heißt es beispielsweise, dass eine abrupte Abschaffung der Roaminggebühren den raschen Ausbau des schnellen Breitbandinternets gefährde.
Tatsächlich ist das Geschäftsfeld der Telekomunternehmen nicht mehr so lukrativ wie einst. Viele Kunden haben kein Festnetz mehr, senden am Handy kaum noch SMS, sondern nutzen Onlinedienste wie WhatsApp. Die Konzerne wollen von der Politik wissen: Wo sollen ihre Erträge herkommen?
Diese Frage führt zum zweiten Streitpunkt. Manche Telekomunternehmen würden gerne mehr auf dem digitalen Markt verdienen - doch dies verhindert die Netzneutralität.
Streitpunkt 2: die Netzneutralität und das Zwei-Klassen-Internet
Die Netzneutralität ist ein spröder Begriff, der aber ein ungemein wichtiges Phänomen benennt, nämlich das Internet, wie wir es derzeit kennen. Jede Datei wird bisher möglichst rasch weitergeleitet, egal ob jemand ein E-Mail versendet, eine Website aufruft oder einen Film ansieht. Eine Abkehr von der Netzneutralität würde bedeuten, dass einzelne Daten rascher transportiert werden oder einzelne Onlinedienste schneller abrufbar sind, während man bei anderen Daten und Diensten vergleichsweise länger wartet. Dies wird oft als Zwei-Klassen-Internet beschrieben - zunehmend wollen Telekomfirmen solche Sonderregeln einführen.
Zum Beispiel bietet T-Mobile ungarischen Smartphonekunden unlimitierte Datenpakete an, die aber auf einen genauen Verwendungszweck limitiert sind. Hat ein Handybesitzer sein monatliches Datenvolumen verbraucht, kann er für umgerechnet drei Euro weiter unlimitiert Facebook und andere soziale Netzwerke nutzen. Zahlt er noch einmal umgerechnet sechs Euro, kann er mailen und surfen.
Relativ kleine Beträge, die sich aber summieren. Bei einer strengen Regelung der Netzneutralität sind solche Geschäftsmodelle nicht erlaubt. Die Sorge ist, dass sonst finanzschwächere Bevölkerungsgruppen nur noch die Minimalvariante des Internets nutzen können. Diese Angst herrscht auch in den USA.
Erst kürzlich führte die amerikanische Aufsichtsbehörde FCC deswegen strenge Netzneutralitätsregeln ein. Auch US-Präsident Barack Obama sprach sich vehement für Netzneutralität und gegen neuartige "Mautgebühren“ auf der Datenautobahn aus.
Europa hinkt hinterher. Die EU-Abgeordneten wählten im Vorjahr eine enge Auslegung der Netzneutralität. Der Rat brachte nun einen weniger konkreten Entwurf ein - eine Art "Netzneutralität light“.
"Der Vorschlag des Rates ermöglicht eine Überholspur im Netz, Internetkonzerne könnten sich dann eine schnellere Spur für ihre Dienste kaufen“, meint der Abgeordnete Reimon. Die Gefahr solcher Deals ist, dass nur große Unternehmen davon profitieren. Sie könnten sich für ihre Online-Angebote eine Schnellspur kaufen. Kleine Start-ups, die vielleicht eine gute Geschäftsidee, aber wenig Geld haben, könnten sich das wohl kaum leisten.
Der Deutsche Günther Oettinger ist der zuständige EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft. Auch er sagte kürzlich auf einer Fachkonferenz in München: "Es kann keine Diskriminierung geben. Wir brauchen Netzneutralität.“ Jedoch lehnt er eine besonders strenge Auslegung der Netzneutralität ab, sprach hier sogar von "talibanartigen Entwicklungen“ in der deutschen Internetcommunity. Oettinger führt gerne das Beispiel an, dass medizinische Dienste von der Netzneutralität ausgenommen sein sollen - etwa wenn ein Spezialist aus der Uniklinik in Innsbruck per Internet helfen könnte, wenn irgendwo in Nordtirol ein schwerer Unfall geschieht.
Was Oettinger und der Rat fordern, wäre ein Kompromiss, der der Telekombranche mehr Handlungsspielraum lässt: Neben den Internetdiensten soll es weniger strenge Regeln für neue "Spezialdienste“ geben. Jedoch ist bisher unklar, was alles ein solcher Spezialdienst sein könnte.
Genau diese vagen Formulierungen, die auch im aktuellen Entwurf des Rates zu finden sind, führen zu heftiger Kritik. Denn sie lassen verschiedene Interpretationen zu, ob eine Hintertür zur Netzneutralität offen bleibt.
Die Netzaktivisten fürchten bereits das Schlimmste; am Montag dieser Woche starten sie die europaweite Kampagne savetheinternet.eu, an der auch Thomas Lohninger von der österreichischen Initiative für Netzfreiheit beteiligt ist. Er warnt: "Wenn der Vorschlag des Rates so umgesetzt wird, dann verliert das Internet in Europa seinen Charakter als offene Plattform und Innovationsmotor. Außer den großen Telekomfirmen profitiert niemand davon.“
Im Moment ist es zu früh für Fatalismus. Die Verhandlungen sind erst im Gange, die nächste Runde ist für den 21. April angesetzt. Letztlich geht es hier auch um einen europäischen Machtkampf, das zeigt der dritte Knackpunkt.
Streitpunkt 3: die teuren Funkfrequenzen
Über diesen Punkt wollen die nationalen Regierungen nicht einmal diskutieren. Bisher verdienen sie gut daran, dass sie selbst die Mobilfunkfrequenzen in ihrem Land verwalten und an Telekomkonzerne versteigern können. Die jüngste Versteigerung im Herbst 2013 brachte dem österreichischen Staat mehr als zwei Milliarden Euro.
EU-Kommission und Europaparlament wollen diese Versteigerungen europaweit managen. Das Geld könnte zwar weiterhin den Mitgliedsstaaten zufließen, technisch würde dadurch der Telekommarkt aber einheitlicher. Den Nationalstaaten ist dies nicht recht. Sie fürchten, dass sie langfristig weniger verdienen. Vor allem aber wollen sie diese Autonomie nicht an Brüssel abgeben. Es ist eine der wenigen nationalen Kompetenzen im Telekommarkt.
Das Internet, der Mobilfunkmarkt, all dies wird zu großen Teilen bereits in Brüssel und Straßburg geregelt. Die nationalen Infrastrukturminister haben kein Interesse, weitere Rechte abzutreten - ein wesentlicher Aspekt der Verhandlungen.
Unsichere Verhandlungen: ein Scheitern ist möglich
Europa ist ein permanenter Kompromiss, wie auch dieser Trilog zeigt. Wenn die Mitgliedsstaaten die Frequenzen selbst versteigern wollen, müssen sie vielleicht etwas anderes opfern. Wenn das Parlament die Netzneutralität festzurren will, muss es womöglich bei den Frequenzen nachgeben. Oder aber die Verordnung scheitert als Ganzes - das ist durchaus möglich, wäre aber eine Niederlage für die EU-Politiker.
Selbst die Beteiligten wissen derzeit nicht, wie der Trilog enden wird. Die Öffentlichkeit erfährt wenig über diese Verhandlungen, bisher gibt es wenig Berichterstattung über dieses Thema, das voriges Jahr noch als europäischer Meilenstein gefeiert wurde. Der Jubel kam aber offensichtlich zu früh.