Eurofighter-Anzeige: Nur eine Politshow?
Es war bloß eine Adresse unter vielen: 31 Dover Street im Londoner Stadtteil Mayfair. Die Gesellschaft, die hier einst residierte, legte nie viel Wert auf Öffentlichkeit. Kein Firmenschild, keine Telefonnummer, kein Faxanschluss, keine E-Mail-Adresse, keine Website, keine erkennbare Geschäftstätigkeit. 2008 hatte profil mehrfach versucht, in das Londoner Büro der Vector Aerospace LLP vorzudringen -wir hatten da nämlich ein paar Fragen. Doch niemand öffnete die Tür, die Gegensprechanlage blieb fortgesetzt stumm. Das Unternehmen ist mittlerweile Geschichte. Am 20. Juli 2012, acht Jahre nach seiner Gründung, wurde es in aller Stille liquidiert.
Vergangene Woche erregte die verblichene Gesellschaft wieder Aufmerksamkeit. Ein Netzwerk von Lobbyisten und Briefkästen um Vector ist zentraler Bestandteil einer Strafanzeige, welche die in der Finanzprokuratur tätigen Anwälte des Bundes im Namen des Verteidigungsministeriums vergangenen Donnerstag um exakt 8.29 Uhr bei der Staatsanwaltschaft Wien einbrachten. Sie richtet sich gegen zwei Unternehmen, die in den größten Rüstungsdeal der Zweiten Republik involviert waren: Airbus Defence and Space GmbH (vormals EADS Deutschland GmbH) und die Eurofighter Jagdflugzeug GmbH. Der Vorwurf: arglistige und betrügerische Täuschung in Zusammenhang mit dem Kauf der Eurofighter für das Bundesheer. Die Republik Österreich schließt sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte an und verlangt Ersatz für den entstandenen Schaden, der mit bis zu 1,1 Milliarden Euro angesetzt wird.
Die von SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil groß inszenierte Verkündung der Anzeige wirft allerdings mehrere Fragen auf: Wie neu sind die Vorwürfe gegen den Eurofighter-Hersteller eigentlich? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Anzeige zu einer Anklage und diese zu Verurteilungen führt? Und warum kommt die Anzeige erst jetzt, obwohl profil-Berichte bereits im Jahr 2012 die heutigen Vorwürfe dokumentierten?
Zur Beantwortung der letzten Frage, sollte man daran erinnern, dass Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil gelernter Polizist ist. Sein natürlicher Kieberer-Ehrgeiz ermöglichte den raschen Abschluss von Untersuchungen, die unter seinen SPÖ-Vorgängern Norbert Darabos und Gerald Klug kein Ende zu nehmen schienen. Erst mit Doskozil war der politische Wille zu Aufklärung gegeben. "Es ist ein Freudentag", frohlockte vergangenen Donnerstag der grüne Abgeordnete Pilz, der das Verteidigungsministerium bei der Aufarbeitung der Affäre unterstützte. Dort war im Jahr 2012 eine Task Force zur nochmaligen Durchleuchtung der Eurofighter-Beschaffung eingerichtet worden. Nur wenige Tage nach Doskozils Amtsantritt im Jänner 2016 sprach der Leiter der Task Force, Generalmajor Hans Hamberger, beim Minister vor und referierte den Stand der Untersuchungen. Doskozil befahl Beschleunigung und stellte Hamberger zusätzliche Ressourcen zur Verfügung. Die Task Force erhielt einen elektronischen Datenraum, Zugang zu forensischer Spezialsoftware und zog neben der Finanzprokuratur zivile Experten aus Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen hinzu. Intern liefen die intensivierten Untersuchungen seit Mai 2016 unter dem Codenamen "Projekt Minerva" - und unter strengster Geheimhaltung.
Insgesamt wühlten sich die Task-Force-Mitarbeiter durch fünf Terabyte Informationen, vor allem Akten der Staatsanwaltschaften Wien und München, Unterlagen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, aber laut Generalmajor Hamberger auch gänzlich neues Beweismaterial.
Die Anschuldigungen, welche die Task Force in ihrem vergangenen Donnerstag präsentierten Bericht gegen die Eurofighter GmbH und den Airbus-Konzern richtet, wiegen schwer. Manager der Unternehmen hätten "arglistige und betrügerische Täuschungshandlungen gesetzt - sowohl beim Kaufgegenstand als auch beim Kaufpreis. Laut Task Force sei Eurofighter "weder in der Lage noch willens" gewesen, Jets der von Österreich bestellten Tranche 2 Block 8 zeitgerecht zu liefern. Dass es zu Verzögerungen kommen wird, war ab Vertragsunterzeichnung allerdings allen Beteiligten klar. Das Verteidigungsministerium war im Eurofighter-Werk in Manching bei Ingolstadt sogar durch eigene Techniker vertreten, welche die Fertigung der Austro-Fighter beobachteten. Vertraglich festgelegte Folge der Verzögerungen wären -wie im Geschäftsleben üblich - Pönalen gewesen.
Das Verteidigungsministerium will allerdings beweisen können, dass das Eurofighter-Management von allem Anfang an wusste, dass die Tranche 2 nicht fertig werden würde, und die österreichischen Partner bei den Verhandlungen 2002 und 2003 vorsätzlich belog. Diese Anschuldigung ist tatsächlich neu - nicht einmal die Wiener Staatsanwaltschaft verfügte bisher über diesbezügliche Hinweise. Laut Verteidigungsministerium setzte sich die arglistige Täuschung auch im Jahr 2007 fort, als unter Norbert Darabos der Eurofighter-Vertrag neu verhandelt und die Stückzahl von 18 auf 15 gesenkt wurde. Dieser behauptete neuerliche Betrug durch Eurofighter ist doppelt brisant. Denn ohne ihn wären die angeblichen Delikte aus 2002 und 2003 längst verjährt. Ironie der Geschichte: Nach dem von Norbert Darabos geschlossenen Vergleich erhielt Österreich ohnehin nur Jets der ersten Tranche.
Der zweite Betrugsvorwurf ist -bei genauer Betrachtung -keineswegs neu. Das Verteidigungsministerium beschuldigt die Eurofighter-Hersteller, in den ursprünglichen Kaufpreis von 1,96 Milliarden Euro ungerechtfertigt 183,4 Millionen Euro "eingepreist" zu haben. Diese sogenannten Offset-Kosten (Offset steht für Gegengeschäfte) dienten laut dem Bericht der Task Force unter anderem auch dazu, "eigene und fremde Kosten für kriminelle und nicht-kriminelle Geschäfte, die unter anderem auch der Anbahnung und Abwicklung der sogenannten Gegengeschäfte dienten, zu finanzieren." Dass etwaige Provisionszahlungen und die Kosten der Gegengeschäfte auf den Preis des Eurofighters aufgeschlagen wurden, war allerdings bereits im Oktober 2012 aktenkundig. So heißt es in einem Schriftsatz der Staatsanwaltschaft München I, die mit ihren Wiener Kollegen seit Jahren gegen Manager und Waffenlobbyisten ermittelt: "Die Schmiergelder waren dabei in den von der Republik Österreich zu entrichtenden Kaufpreis eingerechnet, der sich entsprechend erhöhte." Auch ein Betrag exakt in Höhe der vom Verteidigungsministerium kalkulierten 183 Millionen Euro findet sich in den 2012 von profil öffentlich gemachten Akten der Münchner Staatsanwaltschaft.
Präsentierte Verteidigungsminister Doskozil vergangenen Donnerstag in seiner pompösen Show bloß alten Wein in neuen Schläuchen? Tatsächlich beruht die Anzeige des Verteidigungsministeriums vor allem auf den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaften. Man habe allerdings teils ältere Vorwürfe mit neuen Beweisen untermauern können, heißt es aus dem Ministerium.
Hilfreich dürfte dabei auch eine Artikelserie gewesen sein, in der profil (und andere Magazine wie "News" und "Format") seit 2012 jenes Schattenfinanzsystem enthüllte, das nun auch im Zentrum der Anzeige steht: Vector Aerospace.
Gegründet wurde das Unternehmen am 14. Juli 2004 in London -offenbar im Auftrag der damaligen deutschen EADS-Manager Manfred W. und Klaus-Dieter B. Ein Jahr zuvor, am 1. Juli 2003, hatte die Republik Österreich mit dem EADS-Konzern die Lieferung der vorerst 18 Jets sowie die notorischen Gegengeschäftsvereinbarungen vertraglich geregelt. EADS hatte sich verpflichtet, österreichischen Unternehmen in den folgenden 15 Jahren Aufträge im Wert von zumindest vier Milliarden Euro zu erteilen (oder diese zumindest zu vermitteln). Am 1. Dezember 2004 ging der weitaus größte Teil dieser vertraglichen Verpflichtungen aber von EADS auf Vector über - ein interner Vorgang, von dem in Österreich kaum jemand Kenntnis hatte. Die unscheinbare Londoner Gesellschaft mit nie mehr als zwei Angestellten sollte nach dem Wunsch von EADS ab 2004 also Gegengeschäfte mit Österreich im Wert von immerhin 2,7 Milliarden Euro -also mehr als die Hälfte des paktierten Gegengeschäftsvolumens -"realisieren". Was auch immer damit gemeint war. Es erscheint bis heute rätselhaft, was genau Vector in den Jahren darauf leistete. Die Gesellschaft kassierte zwar "Vermittlungsprovisionen" von EADS (die letztlich der Republik Österreich, also den Steuerzahlern aufgebürdet wurden). Es ist nur eben nicht nachvollziehbar, was da eigentlich "vermittelt" wurde - und an wen. Die Annahme, dass über Vector hauptsächlich Schmiergelder verteilt wurden, ist nicht von der Hand zu weisen. Laut dem Bericht der Task Force wurden von den gesamten "Offset"-Kosten in der Höhe von 183 Millionen Euro allein 114 Millionen Euro über das Vector-Netzwerk verschoben. Das ist exakt jene Summe, welche profil bereits 2012 öffentlich gemacht hatte.
Nach außen hin wurde Vector vom Italiener Gianfranco Lande als "Direktor" vertreten. Ein Unternehmer, Vermögensverwalter und einstmaliger Geschäftspartner der kalabrischen 'Ndrangheta; er wurde 2011 in Italien wegen Anlagebetrugs (der nichts mit dem Fall Eurofighter zu tun hatte) verhaftet und später zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Als Gesellschafter von Vector traten ab 2004 zwei weitere Briefkästen mit Sitz in London in Erscheinung, hinter denen wiederum zwei Österreicher standen: die Waffenhändler Walter S. und Alfred P., die bis heute kein gesteigertes Bedürfnis hatten, Art und Umfang der Vector-Geschäfte zu erhellen.
Es gilt als gesichert, dass Vector selbst in den Jahren darauf kein einziges Gegengeschäft anlandete, die Provisionen dafür aber sehr wohl einstreifte und an sogenannte Broker weiterreichte.
Bis heute ist es den Ermittlern nicht gelungen, den Weg des Geldes hin zu den finalen Empfängern nachzuzeichnen. Dafür war das System schlicht zu komplex. Der Briefkasten Vector wurde mit Spielgeld ausgestattet, überwies dieses an Briefkästen, die dieses anderen Briefkästen zuleiteten.
*Zwischen 2005 und 2008 zum Beispiel überwies Vector zumindest 15 Millionen Euro an eine Centro Consult Limited mit Sitz in London. Ein Briefkasten, welcher dem österreichischen Waffenhändler Walter S. zugerechnet wird. Das Geld landete auf einem Konto bei der Bank of Valetta in Malta. Zweck: unklar. Verbleib: ungewiss.
* Zwischen 2005 und 2008 wanderten jedenfalls rund elf Millionen Euro von einem Vector-Konto bei der HSBC London auf ein Konto bei der damaligen Hypo Investmentbank (nunmehr Valartis) in Vaduz, Liechtenstein -lautend auf Comco International Business Value Development LLP mit Sitz auf der Isle of Man. Wirtschaftlich Berechtigter: der deutsche Unternehmer Frank Walter P. Zweck: unklar. Verbleib: ungewiss.
* Zwischen 2005 und 2008 transferierte Vector zumindest 14 Millionen Euro zu einer Columbus Trade Services Limited mit Sitz ebenfalls mit Sitz auf der Isle of Man und Konto bei der lokalen Dependance der Royal Bank of Scotland. Columbus wird zwei Österreichern zugerechnet, einem früheren Direktor der Oberbank und einem Steuerberater, der auf der Isle of Man gleich mehrere Briefkästen eingerichtet hatte. Und hier tut sich schon das nächste Rätsel um Vector auf. Denn von Columbus sind wiederum Überweisungen in Höhe von zwei Millionen Euro auf Konten einer gewissen Brodmann Business SA mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln belegt. Diese Gesellschaft wurde stets einem gewissen Alfons Mensdorff-Pouilly und dessen mittlerweile verstorbenen Mentor Timothy Landon zugerechnet. Weitere 880.000 Euro wanderten von einem Schweizer Briefkasten namens EQ.CU.Com Capital Markets (Direktor damals: der deutsche Unternehmer Frank Walter P.) in Richtung Brodmann. Zweck und Verbleib auch hier: unklar.
Zusammengefasst heißt das: Das EADS-Geld, richtigerweise das Geld der österreichischen Steuerzahler, wurde auch dazu verwendet, um eine intransparente und verschachtelte Struktur aus Offshore-Gesellschaften zu unterfüttern. Wofür?
Haben auch und vor allem österreichische Politiker die Hand aufgehalten? Das ist nach wie vor durch nichts belegt. Weder die Staatsanwaltschaft Wien, noch die Kollegen in Rom und München, erst recht nicht die Task Force haben belastbare Hinweise auf korrumpierte Entscheidungsträger gefunden, nach wie vor wird keiner der damaligen Entscheidungsträger als Beschuldigter geführt. 2014 berichtete "News", dass EADS zwischen 2003 und 2009 weitere acht Millionen Euro an eine mittlerweile gelöschte britische Gesellschaft namens City Chambers Ltd. überwiesen hatte. Laut "Tätigkeitsberichten" dieses Unternehmens sollen dessen Repräsentanten im Parlament zu Wien interessante Gesprächspartner getroffen haben. Genannt wurden in dem Bericht "Dr. W. Luessel","Dr. J. Laider","Dr. K. H. Lasser" und "Mr. Wartenstein". Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen ähnlichen Namens waren wohl rein zufällig.
2011 wurde bekannt, dass der für die Eurofighter-Typenentscheidung mitverantwortliche frühere FPÖ-Verteidigungsminister Herbert Scheibner nach seinem Ausscheiden aus der Politik vorübergehend als "Berater" für die Eurofighter Jagdflugzeug GmbH im arabischen Raum tätig war und 60.000 Euro kassierte. Scheibner konnte die Honorare gegenüber der Staatsanwaltschaft Wien plausibilisieren, ein Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Belegt ist auch, dass die noch von Jörg Haider initiierte Kärntner "Technologiestiftung" Lakeside gut vier Millionen Euro von EADS erhielt, die Werbeagentur des früheren FPÖ-Bundesgeschäftsführers Gernot Rumpold gar 6,6 Millionen Euro.
Wie der Leiter der Strafsektion im Justizministerium, Christian Pilnacek, gegenüber dem ORF-Radio erklärte, sei die Staatsanwaltschaft Wien schon recht weit bei ihren Recherchen, die Geldflüsse nachzuvollziehen. Allerdings seien noch Vernehmungen von Beschuldigten und Ergebnisse von Kontoöffnungen in anderen Ländern ausständig. Und dazu kommen nun auch noch die Erkenntnisse der Task Force Eurofighter.
Mit seiner Anzeige betritt das Verteidigungsministerium jedenfalls juristisches Neuland. Denn die eingebrachte Sachverhaltsdarstellung richtet sich weniger gegen einzelne Personen als vielmehr gegen Eurofighter und Airbus als Unternehmen. Rechtliche Basis dazu ist das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, eine Art "Unternehmensstrafrecht". Dieses trat allerdings erst Anfang 2006 in Kraft. Ob damit die vom Ministerium behaupteten Rechtsbrüche aus 2002 und 2003 überhaupt erfasst werden können, ist fraglich und könnte erst vor einem Gericht geklärt werden. Die betroffenen Unternehmen weisen die schweren Vorwürfe entschieden zurück und orten ein "politisches Manöver".
Unmittelbarer Nutznießer der Anzeige könnte die Staatsanwaltschaft Wien sein. Die Strafverfolgungsbehörde soll zur raschen Erledigung der Causa mehr Personal erhalten. Dennoch ist mit einer Entscheidung über eine Anklage frühestens in einem Jahr zu rechnen. Wenn überhaupt. Das österreichische Ermittlungsverfahren läuft bereits seit Juni 2011.