Ex-ÖVP-Abgeordneter Maier: Spindelegger litt an Kompetenzmangel
Interview: Gernot Bauer und Ulla Kramar-Schmid
profil: Sie haben aus Unzufriedenheit mit Obmann Michael Spindelegger Ihre ÖVP-Mitgliedschaft ruhend gestellt. Werden Sie sie angesichts des neuen Chefs wieder aktivieren?
Ferdinand Maier: Das hängt davon ab, wie die Mitglieder des Parteivorstands mit Mitterlehner in Zukunft umgehen. Nach Spindeleggers Rücktritt Ende August sprachen sich ja manche wie Christoph Leitl, Andreas Khol und Erwin Pröll dafür aus, Mitterlehner nicht sofort definitiv zu nominieren, sondern erst abzuwarten und etwa eine Kommission einzusetzen. Nicht rasch zu entscheiden, sondern auf Zeitgewinn zu spielen, fand ich skandalös. Wenn diese Parteifreunde weiter so agieren, wird es auch Mitterlehner schwer haben.
profil: Auch der Neue hat alte Probleme.
Maier: ÖVP-Bundesparteiobmänner haben nur scheinbare Macht. In Wirklichkeit sind die Landeshauptleute im vergangenen Jahrzehnt immer mächtiger geworden. Früher glaubten sie, von einer erfolgreichen ÖVP auch in ihrem Bundesland profitieren zu können. Heute denkt fast jeder Landeshauptmann nur noch an sich. Das muss sich ändern.
profil: Woran scheiterte Spindelegger?
Maier: An sich selbst. Er war schlicht nicht geeignet für die Funktionen als Parteichef und Finanzminister. Spindelegger war ein sehr guter Zweiter Nationalratspräsident. Er hat das Protokoll vorbildlich verlesen und den Vorsitz tadellos geführt. Er hätte auf diesem Posten bleiben sollen.
profil: Sie bezweifeln auch seine Eignung zum Außenminister?
Maier: Wenn man sich die Leistung von Sebastian Kurz anschaut, beantwortet sich diese Frage von selbst. Spindelegger litt an Mangel an Leadership und Kompetenz. Es ist nur ärgerlich, dass die ÖVP-Landeshauptleute dem Treiben so lange zugeschaut haben. Dieses Bummerl geht an sie allein, vor allem an Erwin Pröll. Mitterlehner hätte schon nach dem Abgang von Josef Pröll 2011 Obmann werden sollen. Die ÖVP hat drei Jahre verloren in einer Zeit, in der sich die SPÖ so schwach präsentierte wie nie zuvor. Unter Franz Vranitzky und Alfred Gusenbauer wollten die Sozialdemokraten sich öffnen, jetzt herrscht dort nur noch Enge.
profil: Enge kann man Ihrer Partei ja auch vorhalten.
Maier: Reinhold Mitterlehner spricht eine andere Sprache, hat ein anderes Auftreten und mehr Breitenwirkung. Er ist ein Stratege und kompetent.
profil: Die Städte werden aus ÖVP-Sicht trotzdem Problemzone bleiben.
Maier: Da wäre eine Zäsur in der Parteiorganisation notwendig. Im städtischen Bereich brauchen wir keine Bünde mehr. Beispiel sozialer Wohnbau oder Verkehrskonzepte: Das betrifft die Arbeitgeber genauso wie die Arbeitnehmer. Man sollte die Mitgliedschaften bei den Teilorganisationen abschaffen und allen Interessierten stattdessen anbieten, direkt Mitglied in der ÖVP zu werden.
profil: Warum sollte die ÖVP in den Städten dadurch attraktiver werden?
Maier: Das Problem ist, dass Kommunalpolitik vor allem in Wien ihre Attraktivität verloren hat. Früher stellten sich ein Jörg Mauthe oder Alfred Worm zur Verfügung, heute würde ein Intellektueller nicht mehr in die Stadtpartei gehen.
profil: Sie sind ja auch nie Landesparteiobmann in Wien geworden.
Maier: Ich habe mich dazu 2009 bereit erklärt, allerdings mit der Einschränkung, nicht Spitzenkandidat für 2010 zu werden, weil ich meinen Job bei Raiffeisen behalten wollte. Die Gremien der Wiener Volkspartei lehnten dieses Modell ab. Das habe ich akzeptiert.
profil: Neben dem Personal wie müsste ein neues ÖVP-Programm aussehen?
Maier: Die ÖVP muss nur umsetzen, was den Interessen jener Wähler entspricht, die sie über die Stammwähler hinaus ansprechen möchte.
profil: Und welche Wähler hätte sie gern?
Maier: Leistungsorientierte Aufsteiger, die etwas verändern wollen: Uni- und FH-Absolventen, Freiberufler, Start-up-Gründer, Handwerker, leitende Angestellte, junge Bauern et cetera.
profil: Die alleinerziehende Supermarkt-Kassiererin, die Filialleiterin werden will, ist nicht leistungsorientiert?
Maier: Wir brauchen eine Gesellschaft, die Top-Leistungen hervorbringt, von denen dann alle profitieren, auch die Supermarkt-Kassiererin.
profil: Sie haben in der Ära von Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer kritisiert, für ÖVP-Mandatare gelte das Prinzip: Hände falten, Goschen halten. Ist das vorbei?
Maier: Ich hab mich im Parlamentsklub erkundigt, die Stimmung ist sehr gut. Man kann wieder offen diskutieren.
profil: In Ihrer Abschiedsrede im Nationalrat kritisierten Sie das mangelnde Selbstvertrauen aller Politiker.
Maier: Dazu stehe ich. Man sieht es am Beispiel der unsäglichen Diskussion um die Politikergehälter, die aus Angst vor dem Boulevard lange Zeit nicht angepasst wurden. Natürlich ist das Abgeordneten-Gehalt von 8000 Euro viel Geld. Aber gerechnet auf einen 70-Wochenstunden-Job relativiert sich das schon wieder. Wer im Zivilberuf gut verdient, überlegt es sich mittlerweile drei Mal, ob er zusätzlich in die Politik geht. Am Ende sitzen im Parlament nur Berufspolitiker. Da droht eine Negativauslese. Es fehlt die Zivilcourage. Wie soll ein Politiker, der sich selbst degradiert, die Zustände im Land zum Besseren ändern.
profil: Der frühere ÖVP-Obmann Bernhard Görg meinte einmal, Sie würden auch dann stänkern, wenn es Ihnen gar nichts bringt.
Maier: Es geht nicht um Streitlust. Ich habe immer konstruktiv kritisiert. 2012 bin ich als Abgeordneter zurückgetreten, weil ich ÖBB-Infrastrukturprojekte im Umfang von insgesamt 67 Milliarden Euro für einen Wahnsinn hielt. Heute könnten wir mit einem Bruchteil dieses Geldes neue Schulen und eine Steuerreform locker finanzieren.
profil: Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere jemanden auf Dauer beleidigt?
Maier: Ich schließe es nicht aus, es war aber nie meine Absicht.
profil: Zumindest gab es den Vorwurf, Sie würden sich auf Kosten Ihrer Partei profilieren.
Maier: Was ich öffentlich kritisierte, habe ich zuvor intern beanstandet. Ich bekenne mich aber dazu, dass Politik auch von Diskussionen lebt.
profil: Trotzdem wäre es wohl schwer, einen Parlamentsklub mit 40 Maiers zu führen.
Maier: Das hängt vom Klubobmann ab. Außerdem habe ich aus Loyalität und Disziplin sehr oft im Nationalrat für Gesetze gestimmt, die ich eigentlich skeptisch sah.
profil: Im Raiffeisensektor hat man mit aufmüpfigen Regionalbanken auch keine Freude.
Maier: Da pflegt man einen offenen Diskussionsstil. Konstruktive Aufmüpfige wollen etwas verändern. Ihnen sollte man zuhören. Anders verhält es sich bei des-truktiven Aufmüpfigen.
profil: Ex-ÖVP-Obmann Erhard Busek, unter dem Sie als Generalsekretär dienten, war so aufmüpfig, dass er bei der Nationalratswahl 2013 für die NEOS stimmte.
Maier: Der Erhard war immer ein Vorreiter. Ich habe für die ÖVP gestimmt.
profil: Was waren denn Ihre Lieblings-Wahlslogans als Generalsekretär?
Maier: Einer war sicher Vorwärts zur Zukunft zurück. Allerdings ist der etwas belastet, weil es sich um ein Danke-Plakat nach der Waldheim-Wahl handelte. Gelungen war sicher auch Macht braucht Kontrolle.
profil: Der Slogan, um 1992 den eher unbekannten Präsidentschaftskandidaten Thomas Klestil zu promoten.
Maier: Klestil wünschte sich damals große Plakate mit seiner Frau drauf. Ich habe ihn dann darauf hingewiesen, dass der Text dazu Macht braucht Kontrolle lauten würde. Dann hat er darauf verzichtet. Wahlslogans sind aber für dauerhaften Erfolg nicht entscheidend. Wesentlich ist, dass man als Politiker sein Profil zwischen den Wahlen schärft.
profil: Das ist Ihnen ja ganz gut gelungen.
Maier: Ich würde heute allen Politikern raten, es mit Cassius Clay zu halten. 50 Prozent der Zeit trainiert man, und in der restlichen Zeit sollte man erzählen, wie gut man ist.
Zur Person
Ferdinand Maier, 63. Der promovierte Handelswissenschafter startete seine Karriere in der Industriellenvereinigung und als Manager in der Zuckerindustrie. 1983 wurde er Landesparteisekretär der ÖVP Wien. 1991 stieg Maier unter ÖVP-Chef Erhard Busek zum Generalsekretär der Bundespartei auf. 1994 wechselte er als Generalsekretär in den Raiffeisenverband. Von 1983 bis 1996 war er Mitglied des Wiener Gemeinderats, von 2002 bis 2012 Nationalratsabgeordneter. Im Oktober schied Maier auch aus seiner Funktion bei Raiffeisen aus.
Foto: Philipp Horak für profil