Palfrader: „Heilsbringern nicht auf den Leim gehen“
Beate Palfrader, 64,
war ab 2008 als Landesrätin in drei Tiroler Regierungen unter Günther Platter für Bildung, Kunst, Kultur, Wohnen und Arbeit zuständig. Im Juni gab sie ihren Rückzug aus der Politik bekannt.
„Das politische Handwerk habe ich in der Gewerkschaft gelernt.“
Damit assoziiert man in der ÖVP „die Roten“, wobei oft vergessen wird, dass in manchen Bereichen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, die christliche Gewerkschaft die Mehrheit hat. Ich habe mehr als einmal mit einem ÖVP-Gegenüber, etwa Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, verhandelt und diese innerparteiliche Sozialpartnerschaft sehr geschätzt. Auch Günther Platter kommt aus dem Arbeiter- und Angestelltenbund der ÖVP. Trotzdem glaube ich, dass die ÖVP nicht gewusst hat, was sie sich mit mir einhandelt, als ich vor fast 15 Jahren gefragt wurde, ob ich Bildungs-Landesrätin werden will. Auch weil ich immer fest im christlichen-sozialen Milieu verankert und für Neues offen war.
„Der ÖVP bin ich eher passiert.“
Ich fand damals, 2008, ein sehr konservatives Kindergartengesetz vor. Selbst erwerbstätige Mutter, habe ich immer wieder erfahren, wie schnell man im Rabenmutter-Eck landet. Mein Mann, der mich voll unterstützte und seine Vaterrolle wahrgenommen hat, wurde ebenfalls kritisch beäugt. Was ich - in kleineren und größeren Orten – zu hören bekam, als ich ein Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz auf den Weg gebracht habe, ist kaum wiederzugeben. Warum braucht es das, wenn Frauen ohnedies zuhause sind? So wurde geredet.
„Als die Ära Kurz begann…“
… hatte ich den Eindruck, dass das Parteiprogramm über allem anderen steht. In der Rolle der Landesrätin konnte ich gestalten. Meinen Eid aber legte ich auf die Verfassung ab.
Deshalb weigerte ich mich 2017 - als einzige im Landesparteivorstand –, das Bundesparteiprogramm zu unterschreiben. Ab diesem Zeitpunkt ist es mir intern nicht mehr ganz gut gegangen, was ich im Klub und im Landesparteivorstand auch angesprochen habe. Doch Sebastian Kurz gewann Wahlen, kritische Töne fanden kein Gehör.
Mit ihm kam die vermeintliche Schließung der Balkan-Route, der unsägliche Umgang mit den Flüchtlingen im griechischen Lager Moria, die Zusammenlegung der Sozialversicherung, die unter dem Strich mehr gekostet als gebracht hat. Viele haben sich hinter vorgehaltener Hand distanziert - und öffentlich geschwiegen. Was von der Bundespartei in Wien gekommen ist, wurde kritiklos übernommen. Es erschreckt mich, dass man immer irgendwelchen Heilsbringern auf den Leim geht. Durchschaut man das nicht?
„Ich bin keine Abnickerin.“
Landeshauptmann Günther Platter bekam wegen mir Anrufe aus Wien. Er wusste jedoch, dass es innerhalb der Partei auch Stimmen wie meine braucht und hat mich gewähren lassen, was er bei meiner Verabschiedung auch zum Ausdruck gebracht hat. Für mich war tatsächlich das Wichtigste, dass ich mich in der Früh in den Spiegel schauen kann. Ich habe, als die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz öffentlich wurden, nicht seinen Rücktritt gefordert, aber sinngemäß gesagt, ich an seiner Stelle würde mich so lange zurückziehen würde, bis alles geklärt ist. In einem Interview habe ich gefragt: „Wo bleibt der Anstand?“ Dann gab es wieder Anrufe aus Wien. Aber ich habe auch Stapel von Mails bekommen. Es waren wirklich viele, die geschrieben haben: „Was ist mit unserer ÖVP los? Danke, dass du dich gemeldet hast!“
„Das moralische Bild, das unsere Partei derzeit abgibt, kann nur dazu führen, dass uns die Leute scharenweise davonlaufen, und – schlimmer noch - den Rechten zulaufen.“
Man kann nicht ausschließen, dass es in anderen Parteien ähnliche Vorkommnisse gibt. Aber nun trifft es eben die ÖVP. Was immer an den Aussagen von Thomas Schmid dran ist, es rundet sich ein Bild ab. Jeder versucht nun, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Wir haben auch im Bund anständige Politiker und Politikerinnen, die jedoch alles mitgetragen haben. Es passt nicht zusammen, dass die Meinungsfreiheit eines der höchsten, verfassungsrechtlich geschützten Güter ist, jemand innerhalb der Partei aber Probleme kriegt, wenn er seine Meinung sagt. Vielleicht gibt es ein Mut-Seminar. Natürlich gibt es in der ÖVP verschiedene Lager, ein eher rechtes, ein liberaleres. Ich war ohnedies immer eine „schwarze Linke“. Jedenfalls schwarz und nicht türkis.
„Anständig heißt nicht fehlerfrei.“
Kurz signalisierte Veränderung, das war es, was die Menschen wollten. Vielleicht war er anfangs von dem beseelt, was er versprochen hat. Als Integrationsstaatssekretär hat er mir gut gefallen. Aber der Hype um seine Person, auch bei uns in der Landespartei, der Kniefall vor Kurz, machten mich persönlich ganz unruhig. Menschen wollen Politiker, die einigermaßen anständig sind. Derzeit werden Regierungen in ganz Europa abgewählt, ob schwarz oder rot, was auch der Pandemie und der Teuerung geschuldet ist. Wählerströme zeigen, dass die ÖVP Arbeitnehmer und Junge verliert.
„In Tirol haben wir bei den unter 30-Jährigen nur mehr 17 Prozent. Damit müssten wir uns beschäftigen.“
Stattdessen bejubeln wir, dass wir bei der Landtagswahl vergangenen September zehn Prozentpunkte verloren haben, unter den Prognosen, die bei minus 15 Prozentpunkten lagen. Reinhard Mey hat vor dreißig Jahren das Lied „Wahlsonntag“ geschrieben, das so aktuell ist, als wäre es gestern gewesen. Es erzählt von den Rechtfertigungen der Wahlverlierer, davon, wie sie sich Verluste jedes Mal schönreden. Die andere Seite ist, dass man als Politikerin, als Politiker immer in der Auslage steht. Man kann nicht einmal ein Urlaubsfoto posten, ohne dass es heißt, aha, die kann sich das leisten, oder auch nur einen Spritzer trinken, ohne gleich als Alkoholikerin zu gelten.
„Wir brauchen mehr Frauen in der Politik, aber keine Ja-Sagerinnen.“
Kurz hatte sich ein Durchgriffsrecht für Nationalratsabgeordnete ausbedungen. Der Arbeiter- und Angestelltenbund (AAB) in Tirol nominierte 2017 eine Frau. Daraufhin lud Kurz zu einer Wanderung auf einen Berg. Dort hat einer seiner Mitarbeiter die Kollegin zur Seite genommen und gefragt, wie sie zu Erwin Zangerl (AK-Chef in Tirol) und mir stehe und ob sie Kontakt zu uns halten werde. Das hat sie bejaht. Am nächsten Tag war ihr Listenplatz weg. Trotzdem rate ich jungen Frauen, sich politisch zu engagieren. Sie müssen nicht besser sein als Männer, es genügt, dass sie andere Sichtweisen einbringen. Das kann für die Gestaltung der Rahmenbedingungen in unserem Land nur gut sein. Ohne Diplomatie und Kompromisse kommt man in der Politik nicht weit. Aber wenn einem etwas gegen den Strich geht, muss man den Mund aufmachen. Das Wichtigste ist, nicht steuerbar zu sein. Rückblickend muss ich sagen: Es hat mir in Tirol letztlich nicht geschadet, dass ich mir oft kein Blatt vor den Mund genommen habe. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat die ÖVP in meinem Bezirk Kitzbühel von 45 Prozent auf 55 Prozent zugelegt.
„Ein Amt ist keine Daueroption, nach dem Motto: Da bin ich, und da bleibe ich.“
Wenn immer die gleichen Personen zum Zug kommen, wird Politik unglaubwürdig. Umgekehrt darf ein Parteibuch kein Ausschlusskriterium sein. Die Skandale erschrecken die Jungen. Auch wenn sie ganz andere Probleme haben. Ihnen schwimmt gerade die Zukunft davon. Stichwort Klimawandel, der in der ÖVP nie so wichtig war wie das Thema Flüchtlinge. Vernetzung ist beim politischen Nachwuchs fast schon ein negativer Begriff, dabei wäre sie gerade für Frauen so wichtig. Ich habe mir für meine Projekte immer Verbündete gesucht, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die etwas umgesetzt haben. Wenn man sich bemüht, transparent zu sein, haben Menschen da auch gar nichts dagegen.
„Man muss greifbar bleiben.“
Es stimmt, dass Aggressionen zunehmen, auch der Tonfall untereinander verschärft sich. Das ist eine gefährliche Spirale. Wie man denkt, so redet und handelt man irgendwann. Es gibt Drohungen, bei denen man sich fragt: Tue ich mir das noch an? Ich war in den vergangenen fast fünfzehn Jahren 840.000 Kilometer im Auto unterwegs und hatte das Privileg, einen Fahrer zu haben. Das ist 21 Mal um die Erde. Oder einmal der Mond und retour - und noch ein Stück. Während dieser Autofahrten habe ich immer versucht, alle zurückzurufen, die mit mir reden wollten. Auch meine Facebook-Postings habe ich selbst gemacht. Das ist in der Politik inzwischen eine Seltenheit.
Frau Palfrader, was jetzt?
Für die ÖVP geht es nicht nur um strafrechtliche Belange, sondern auch um den Umgang mit Macht. Es braucht jetzt die Reset-Taste. Das System der vergangenen zehn Jahre gehört durchleuchtet. Es kamen ja erstaunlich viele junge Menschen in Posten, und man weiß nicht, wie das abgelaufen ist. Vor der Gründung der Bildungsdirektion war ich zuständig für die Bestellung von Schulleitungen. Ich bin dieser Selbstverständlichkeit, mit der manche meinten, das muss jetzt „ein Unsriger“ werden, immer damit entgegengetreten, dass es „Unsrige“ nicht gibt, es gibt nur welche, die für die Kinder gut sind.
Für mich persönlich ist die Zeit gekommen, mich zurückzuziehen. Im Juni machte ich öffentlich, dass ich 2022 nicht mehr kandidiere. Ich war nicht nur für Kultur und Bildung, sondern auch für Wohnbauförderung und den Arbeitsmarkt zuständig, ein Monsterprogramm das einen sieben Tage die Woche fordert. Irgendwann fängt man an, sich an dem zu orientieren, was man schon gemacht hat. Ich wollte mich nicht einbetonieren. Drei Amtsperioden sind genug. Ich hatte eine grandiose Zeit und möchte auch das Ernüchternde nicht missen. Was ich versprechen kann: Ich werde kein Buch schreiben. Jedenfalls kein politisches. Höchstens einen Krimi.
profil fragte elf ÖVP-Politikerinnen und -Politiker, wie es ihnen angesichts von Skandalen und Korruptionsvorwürfen mit ihrer Partei geht. Die restlichen zehn Protokolle lesen Sie im aktuellen profil.