Experte: Warum ORF-Gesetzesänderung für Regierung attraktiv wäre
Medienjurist Hans Peter Lehofer erklärt die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes: Wie die Unabhängigkeit der ORF-Stiftungsräte gegenüber der Regierung gestärkt werden muss – und was aus Sicht von ÖVP und Grünen dafürsprechen könnte.
Was bedeutet die Entscheidung des Verfassungsgerichtshof zum ORF-Gesetz?
Hans Peter Lehofer
Die heutige Entscheidung erkennt ein grundsätzliches Problem: Die Regierung hat bei der Besetzung des ORF-Stiftungsrates ein Übergewicht. Es war jedem klar, dass dieses Übergewicht ohne Kontrolle und ohne qualitative Kriterien bei der Personalauswahl auf Dauer nicht zu halten sein wird. Was mich überrascht hat: Die Richter haben auch ausdrücklich festgehalten, dass der Stiftungsrat nicht automatisch ausgetauscht werden soll, wenn eine neue Regierung bestellt wird. Das würde die Unabhängigkeit natürlich stärken.
Inwiefern?
Hans Peter Lehofer
Ein gutes Beispiel ist Siegfried Neuschitzer, der vom Land Kärnten bestellte Stiftungsrat. Nach dem Machtverlust der Freiheitlichen hätte er von der neuen Regierung abberufen werden können. Dass die SPÖ-geführte Regierung ihn nicht ausgetauscht hat, wurde von manchen so interpretiert, dass er sich gegenüber der neuen Regierung flexibel gezeigt hat. Das wäre kein Thema, wenn er für eine fixe Periode bestellt wäre und in dieser Zeit nicht abzuberufen wäre. Das würde eine gewisse Unabhängigkeit von den Entsandten gegenüber den Bestellern garantieren.
Die aktuelle Koalition könnte die Gremienbesetzung im ORF für vier Jahre einzementieren.
Der rechtliche Grund für die Aufhebung: Der aktuelle Stiftungsrat widerspricht dem Bundesverfassungsgesetz (BVG) über die Unabhängigkeit des Rundfunks. Warum?
Hans Peter Lehofer
Das BVG Rundfunk aus 1974, das eine Folge des Volksbegehrens war, ist sehr knapp und hält fest, dass insbesondere die Unabhängigkeit der Personen und der Organe im ORF zu gewährleisten ist. Und der VfGH sagt jetzt: Die Art wie diese Gremien des ORF bestellt werden, sichert dierse Unabhängigkeit nicht ausreichend. Das ist natürlich ein Spannungsfeld: Einerseits werden die Stiftungsräte unter anderem von der Bundesregierung und den Landesregierungen bestellt. Andererseits müssen die Bestellten von denen, die sie bestellen, unabhängig sein. Die Nicht-Abrufbarkeit könnte diese Unabhängigkeit gewährleisten, dann müssten sich Stiftungsräte nicht vor einer neuen Regierung „fürchten“.
Was muss die Regierung jetzt ändern?
Hans Peter Lehofer
Das Verhältnis der Stiftungsräte, die vom Publikumsrat und von der Bundesregierung entsandt werden, muss zumindest angeglichen werden. Die Bundesländer und die Bundesregierung kommen derzeit auf jeweils neun Stiftungsräte, der Publikumsrat auf sechs. Die Bundesregierung könnte ihre eigenen Stiftungsräte auf sechs reduzieren. Wenn die Regierung allerdings das Gegengewicht zu den Landesregierungen halten will, dann muss sie das Gremium eigentlich vergrößern und die Zahl der Stiftungsräte aus dem Publikumsrat zumindest auf neun aufstocken.
Die Verfassungsrichter mahnen auch mehr Unabhängigkeit ein.
Hans Peter Lehofer
Die Freiheit der Regierung und der Medienministerin bei der Bestellung von Stiftungs- und Publikumsräten muss 'eingehegt' werden, um ein auch vom VfGH gebrauchtes Wort zu verwenden, der von einer 'verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung' spricht. Das heißt: Für die Mitglieder des Stiftungsrates, die von der Bundesregierung bestellt werden, muss es künftig Auswahlkriterien geben, die auch Pluralität sicherstellen. Da kann es darum gehen, dass verschiedene Qualifikationen abgedeckt sind, oder zum Beispiel auch eine Ausgewogenheit der Geschlechter.
Die Regierung hat bis 2025 Zeit, das ORF-Gesetz zu reparieren, doch die Legislaturperiode endet bereits nächstes Jahr. Dazu kommt, dass die ÖVP von der aktuellen Besetzungslogik profitiert, also wenig Anreiz zu Änderungen hat. Gibt es einen Handlungsdruck?
Hans Peter Lehofer
Die Attraktivität an einer gesetzlichen Neuregelung: Derzeit können die Stiftungsräte mit einem Wechsel in Bundes- und Landesregierungen abberufen werden. Der Verfassungsgerichtshof hat hier Änderungen eingefordert, dass die Stiftungsräte eine volle Periode bleiben, egal ob eine neue Bundesregierung kommt. Wenn ÖVP und Grüne das Gesetz reparieren und die Gremien neu bestellen, dann wären die von einer neuen Regierung nicht mehr sofort abzuberufen. Die aktuelle Koalition könnte also die Gremienbesetzung für vier Jahre einzementieren.
Und was, wenn sich ÖVP und Grüne nicht einigen?
Hans Peter Lehofer
Wenn sie kein Gesetz zusammenbringen, wird der bestehende Stiftungsrat vorerst einfach so bleiben, bis er nach einer verfassungskonformen Regelung neu bestellt werden kann.