DOKUMENT DES HASSES: Ein Schweinekopf auf einem Baugerüst vor einer Grazer Moschee

Faktencheck: Wie gefährlich leben Muslime in Österreich?

Im Internet häufen sich Berichte über islamophobe Übergriffe. Doch ist das Leben für Muslime in Österreich wirklich gefährlicher geworden?

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"Gib dein Kopftuch runter. Wennst ned hören kannst, da ist die Tür. Baba.“ Diese Worte soll eine Mitarbeiterin der Wiener Linien einer muslimischen Studentin an den Kopf geworfen haben; eine Ohrenzeugin postete den Vorfall auf Facebook. Eine zweifache Mutter, die Kopftuch trägt, berichtet in einem Forum von "10 islamfeindlichen Attacken in der Wiener U6 in den letzten drei Monaten“. Vor zwei Wochen gab ein 14-jähriges Mädchen an, wegen seines Kopftuchs vor die Gleise der Wiener S-Bahn gestoßen worden zu sein. Und kürzlich wurde eine Moschee in Vorarlberg mit Hundekot beschmiert.

Die Meldungen über einschlägige Übergriffe häufen sich. Wie gefährlich ist das Leben für Muslime geworden?

Zweifellos sind antiislamische Ressentiments als Folge des Flüchtlingsstroms gestiegen, was sich vor allem im Internet manifestiert. In offene Gewalt ist die Stimmung aber noch nicht gekippt.

Der Verfassungsschutz führt seit Jahren eine spezielle Statistik über Islamophobie. Darunter fallen Schmieraktionen, Hasspostings oder körperliche Attacken, die eindeutig gegen den Islam gerichtet sind. In den vergangenen Jahren gab es demnach keinen einzigen islamfeindlich motivierten Mord und nur eine Körperverletzung. 2015 wurde ein Iraker, der in Salzburg für die salafistische (und bald verbotene) "Lies!“-Aktion den Koran verteilte, von einem Unbekannten gestoßen und zeigte den Vorfall an.

Häufiger waren Schmieraktionen, verbale Attacken oder Hasspostings. Wurden 2013 und 2014 noch je 17 Tathandlungen angezeigt, stieg die Zahl 2015 auf 31. Die Islamische Glaubensgemeinschaft geht für 2016 von einer weiteren Zunahme aus. Der Bericht des Verfassungsschutzes für vergangenes Jahr ist zwar noch nicht fertig; die vorläufigen Zahlen bestätigen die Prognose aber nicht.

Schweinekopf vor Grazer Moschee

Ein Sprecher des Innenministeriums sagt, es habe 2016 weder islamophobe Morde noch Körperverletzungen gegeben. Die Zahl anderer islamfeindlicher Delikte liege auf dem Niveau von 2015. "Wir haben keinerlei Hinweis, dass sich das relativ niedrige Level an Einzelfällen schlagartig erhöht hätte“, sagt der Sprecher der Wiener Polizei, Johann Golob. Aus der Polizei Steiermark heißt es: "In letzter Zeit haben wir keine tätlichen Übergriffe auf Personen aufgrund ihres Glaubens verzeichnet.“ Höhepunkt des Islam-Hasses im Bundesland: ein Schweinekopf vor einer Grazer Moschee. In Niederösterreich kam es zu zwei Schmierereien und einer körperlichen Attacke. Auf einem Friedhof hatte eine Frau einer Muslima eine Gießkanne über den Kopf geschlagen. Laut Polizei war die Täterin amtsbekannt. Nach der Tat wurde sie in eine Psychiatrie eingeliefert. Die Täterin gab an, sie habe sich für das IS-Attentat in Nizza rächen wollen.

"Wie lassen sich diese Zahlen erklären, wenn wir in der muslimischen Community fast täglich so etwas erleben/hören?“, kommentiert eine Userin auf der Facebook-Site der Dokumentationsstelle für Muslime die Polizeistatistik.

Die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Islamophobie durch Polizeistatistik und Community hat vielerlei Gründe. Erstens werden nicht alle Übergriffe, die im Netz für Empörung sorgen, angezeigt. Die Fälle im Einzelnen zu überprüfen, erweist sich ganz generell als schwierig: profil suchte über Opferforen nach anonymen Gesprächspartnern - ohne Erfolg. Die zweifache Mutter, die auf Facebook schrieb: "Ich wurde in der U6 beleidigt, beschimpft, mit Brot beworfen …“, erklärte sich anfangs zu einem Gespräch bereit. Kurz vor dem Termin brach sie den Kontakt ab. Ob sie die Übergriffe angezeigt hat, wer die Täter waren und was genau passierte, bleibt unklar.

Zweitens sind die Grenzen zwischen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie fließend. Als 2016 ein Schweinekopf auf dem Baugerüst der Grazer Moschee baumelte, war Islamhass als Motivation evident. Weniger klar ist die Motivlage in Bezug auf ein Hakenkreuz bei einem islamischen Kulturverein; es könnte in der Statistik des Verfassungsschutzes auch als Wiederbetätigung gewertet werden. Und nicht immer kann die Polizei einen islamfeindlichen Hintergrund bestätigen - selbst wenn die Community davon überzeugt ist.

Im vergangenen Jahr wurde in Wien eine 51-jährige Frau mit Kopftuch auf dem Weg in die Arbeit erst von hinten gestoßen, dann gebissen und geschlagen. Die Meldung verbreitete sich rasant in muslimischen Medien und Foren. Der Eindruck, dass Muslimas mehr und mehr zu Freiwild werden, schien sich zu bestätigen. Der Fall wurde von einigen Medien aufgegriffen, schien in der Statistik über Islamophobie dennoch nicht auf. Für die Familie war klar: Der Täter hatte die Frau nicht bestohlen, deshalb musste er aus Islamhass gehandelt haben. Das Opfer sagte bei der Vernehmung aber nichts über verbale Begleitattacken. Es konnte somit nicht ausgeschlossen werden, dass dem Täter das Kopftuch egal war.

Zunehmende Islamfeindlichkeit im Internet

Klar belegbar ist die Zunahme der Islamfeindlichkeit im Internet. 2014 wurden der Anti-Diskriminierungsstelle Zara 24 anti-muslimische Hasspostings gemeldet, 2015 fast doppelt so viele - Tendenz für 2016: weiter leicht steigend. Eine junge Frau postete ein Selfie mit einem "STOP MUSLIMS NOW“-Shirt und schrieb dazu: "Ich lasse mich nicht vergewaltigen, um zu zeigen, wie tolerant ich bin!“ Ein anderer User postete: "Keep calm & kill Muslims.“ Dass solche Hasspostings an Zara gemeldet werden, ist eher die Ausnahme, deswegen ist die Dunkelziffer viel höher.

Die Dokumentationsstelle für Muslime, die 2015 von der Islamischen Glaubensgemeinschaft eingerichtet wurde, ist ein Seismograf für die Stimmung unter Muslimas mit Kopftuch. Auf der Facebook-Site finden sich nicht nur Schilderungen wie jene aus der U6; so wird auch der Weltkopftuchtag beworben oder zur Demonstration gegen das Kopftuchverbot für Uniformierte und Richter aufgerufen. Die Dokustelle war Mitorganisatorin der Demonstration am vorvergangenen Samstag und wirft Politikern wie Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz unumwunden eine Spaltung der Gesellschaft vor, weil sie solche Gesetze fordern und beschließen. Wer hinter dieser Politik bereits Islamophobie verortet, nimmt Islamfeindlichkeit ganz anders wahr. Es ist legitim, dass Muslimas mit Kopftuch gegen die Politik von Kurz & Co. demonstrieren. Aber es ist auch legitim, in einem weitgehend säkularen Staat über die Rolle des Islam im öffentlichen Raum zu diskutieren. Das muss noch kein Beleg für steigende Islamophobie sein.

Hinter der Dokustelle stehen junge, streitbare Muslime, die in der Community gut vernetzt sind und eine gewisse Grundhaltung verbreiten. "Ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die aus den endlosen Verbotsdebatten über Kopftuch/Burkini/Burka ihr Handeln und ihren Hass versuchen zu legitimieren … Ich bin froh, dass jemand sie von den Gleisen gezogen hat“, kommentierte eine Dozentin an der IRPA, die muslimische Religionslehrer ausbildet, ein Facebook-Posting einer 14-Jährigen. Das Mädchen hatte behauptet, wegen ihres Kopftuchs auf die Wiener S-Bahn-Gleise gestoßen worden zu sein. Das Posting stimmte von Beginn an skeptisch. Trotzdem verbreitete es sich rasch und schaffte es schließlich bis auf die Doku-Website der Islamischen Glaubensgemeinschaft - wo es dann richtiggestellt wurde. Ein Video der Wiener Linien ergab eindeutig, dass die Geschichte des Mädchens frei erfunden war.

Wenn die Grenzen zwischen echter und gefühlter Islamophobie verschwimmen, sind Anzeigen, Ermittlungen und klare Fakten umso wichtiger. Auch Facebook-Postings können bisweilen heilsame Wirkung entfalten: Als Reaktion auf den Shitstorm, den die Wiener Linien für den rüden Umgang mit der Kopftuchstudentin ernteten, gelobte die Mitarbeiterin, sich persönlich bei ihr zu entschuldigen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.