Der Fall Aliyev: Anatomie eines Interviews
Was geschah um den 5. Februar 2007 im fernen Almaty, einst Kasachstans Hauptstadt? Ließ Rakhat Aliyev seine Landsleute Zholdas Timraliyev und Aybar Khasenov entführen, foltern und schließlich ermorden, nachdem er sie der Veruntreuung von Geldern bezichtigt hatte?
Aliyev hat dies zeit seines Lebens mit Nachdruck bestritten. So auch im Rahmen jenes Interviews, das ich im Juni 2011 mit ihm führte - kurz nachdem in Kasachstan die Leichen der bis dahin verschwundenen Männer aufgefunden worden waren.
Die Entstehung des Interviews wie auch das Interview selbst erzählen eine Geschichte. Die Anbahnung erfolgte über einen ehemaligen Mitarbeiter Peter Hocheggers, der irgendwann die Seiten gewechselt hatte; Hochegger war zuvor im Umfeld von Opferanwalt Gabriel Lansky in die Causa involviert gewesen. Der PR-Mann brachte mich mit einem gewissen Wolfgang Brandstetter zusammen, damals einer von Aliyevs Rechtsberatern. Brandstetter, heute Justizminister, hatte seinen Mandanten erfolgreich durch zwei von Kasachstan angestrengte und letztlich am Widerstand Österreichs gescheiterte Auslieferungsverfahren begleitet und ihm neben einem Aufenthaltstitel auch zu einer Meldeadresse verholfen.
Wahlheimat Malta
2011 weilte der Klient allerdings längst nicht mehr im Lande. Er hatte sich mit seiner Familie nach Malta abgesetzt - aus Sorge um die eigene Sicherheit, wie mir von Brandstetter bedeutet wurde. Besucher wollte Aliyev in seiner neuen Wahlheimat denn auch nicht empfangen. Die angebotene Alternative: der Online-Telefondienst Skype. Termin: Montag, 20. Juni, 17.00 Uhr, in den Räumlichkeiten der Wiener Kanzlei Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte (KWR), für welche Brandstetter damals arbeitete. Die Interviewsituation war für alle Beteiligten durchaus herausfordernd, und das lag nicht nur am Übertragungsweg. Ich skypte die Fragen auf Deutsch, seine Ehefrau Elnara Shoraza übersetzte ins Kasachische, er antwortete auf Kasachisch, sie skypte ins Deutsche zurück.
Aliyevs Verteidigungslinie war bekannt: Nicht er, sein früherer Schwiegervater Nursultan Nasarbajew und dessen Regime steckten hinter dem Verbrechen. "Nasarbajew versucht seit Jahren, mich zu etwas zu machen, das ich nicht bin. Ich bin weder ein Entführer noch ein Mörder.“
Das Überraschende war, wie selbstverständlich Aliyev sich in der Rolle des politisch verfolgten Oppositionellen inszenierte. Er, der schwerreiche Arzt und Unternehmer (Banken, Zucker, Medien), der 1983 in den innersten Kreis um Nasarbajew eingeheiratet hatte und bis zu seiner Scheidung 25 Jahre später mit höchsten Ämtern geadelt werden sollte: Chef der Steuerfahndung; Vizechef des kasachischen Geheimdienstes KNB; Ehrenpräsident des kasachischen Fußballverbandes; stellvertretender Außenminister; Botschafter Kasachstans in Österreich. Er, der 2007 mit seinem Schwiegervater gebrochen hatte - oder dieser mit ihm. "Ja, ich habe für diese Regierung gearbeitet, was ich aus heutiger Sicht zutiefst bedaure.“
"Nasarbajew großzügig zu Österreich und der SPÖ"
So sehr Aliyev sich auch bemühte, die politische Dimension des Kriminalfalls zu nuancieren - der untergetauchte Oppositionelle mit erklärter Ambition auf das Präsidentenamt war ein Mann mit Geheimdienstvergangenheit. Im Verlauf des Gesprächs platzierte er durchaus gekonnt schummrige Andeutungen. Dass etwa "Nasarbajew großzügig zu Österreich und zur SPÖ“ gewesen sei und nun "Gegenleistungen“ erwarte. Dass eine österreichische Bank rund um ein Geschäft in Kasachstan "Millionen an Schmiergeldern auf Offshore-Konten“ transferiert habe. Dass Nasarbajew "Medien in Österreich über die PR-Agentur Hochegger und den Rechtsanwalt Gabriel Lansky für sich eingenommen“ habe, wobei "kasachische Gelder verteilt“ worden seien. Dass Bundespräsident Fischer 2008 einen Staatsbesuch in Kasachstan deshalb nicht angetreten habe, "weil der kasachische Geheimdienst auf österreichischem Boden damals auffallend starke Aktivitäten entfaltet“ habe. Nein, mehr könne und wolle er zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.
Ich bin der lebende Beweis dafür, dass nicht jeder vor Nasarbajew auf die Knie fallen muss.
Das von seinen - auf meiner Seite der Leitung - anwesenden Anwälten autorisierte Interview erschien am 27. Juni in der profil-Ausgabe 26/11 unter dem Titel "Nasarbajew ist wirklich ein Mörder“ - ein wörtliches Zitat Aliyevs.
Die schnellste - und lauteste - Reaktion kam von Gabriel Lansky. Noch am 27. Juni ließ der Rechtsvertreter des "Opfervereins Tagdyr“ eine Botschaft über das Netzwerk der Austria Presseagentur verbreiten: "Aliyev verhöhnt seine Opfer.“ Der Anwalt sah in dem Interview nicht viel mehr als den "völlig untauglichen Versuch eines Mörders, seine Taten anderen in die Schuhe zu schieben“.
Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass Aliyev Lansky in dem Interview unterstellt hatte - ganz en passant und ohne überhaupt darauf angesprochen worden zu sein -, der Anwalt arbeite mitnichten für die Witwen der Opfer als vielmehr direkt für Nasarbajew - was Lansky bekanntlich nicht so gern hört (siehe dazu auch Kasten auf Seite 19).
Tatsächlich sollte es aber der Schlusssatz der Interviews sein, der heute beklemmend wirkt: "Ich bin der lebende Beweis dafür, dass nicht jeder vor Nasarbajew auf die Knie fallen muss.“
In letzter Konsequenz hat Aliyev genau das getan. Oder tun müssen.