Familiennachzug: DNA-Tests auch bei Flüchtlingen in Österreich
Von Clemens Neuhold
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Lukas Gahleitner-Gertz ist Sprecher der Asylkoordination Österreich. Wenn jemand den Überblick über neue Zuwanderungstrends, Asylgesetze und Migrationsdebatten behält, dann er. Doch beim Familiennachzug aus Syrien war auch er an einem gewissen Punkt mit seinem Latein am Ende. Zur Erinnerung: Seit 2023 holen Syrer, die in Österreich Asyl erhielten, Tausende Kinder und Frauen nach. Fast alle gehen nach Wien, und das überfordert die Bundeshauptstadt. Vor allem die Schulen.
Ein Beispiel: Bei einem Drittel der Schüler, die seit September 2023 unterjährig in Pflichtschulen aufgenommen wurden, ist die Staatsbürgerschaft dort noch nicht bekannt.
„Nachweise, dass es sich bei jenen Schülerinnen und Schülern mit ‚ungeklärter Staatsangehörigkeit‘ um syrische Kinder in der Familienzusammenführung – die ja mit Reisedokumenten eingereist sind und deren Staatsangehörigkeit feststeht – handelt, konnten trotz intensiver Nachforschungen nicht gefunden werden“, beklagt Gahleitner-Gertz die „schlechte und intransparente Datenlage“ in seinem Blog.
Fake-Pässe mit Amt und Siegel
Er bezieht sich auf offizielle Zahlen über Kinder und Jugendliche, die zwischen September 2023 und Februar 2024 unterjährig in Wiener Pflichtschulen eingeschrieben wurden. Rund 900 waren laut den Schulbehörden syrische Staatsbürger, 130 Ukrainer, 570 stammen „aus anderen Nationen“, und 913 haben eine „ungeklärte Staatsangehörigkeit“. Man kann davon ausgehen, dass es sich um Syrer handelt. Belegt ist es in den Schulen nicht.
Doch auch das Innenministerium hat seine liebe Not mit der Identitätsfeststellung von Bürgern aus einem Land, das seit 2011 im Bürgerkrieg ist. So will das Bundesasylamt verstärkt festgestellt haben, dass Reisepässe zwar echt waren, aber falsche Angaben enthielten, etwa zu Namen oder Geburtsdatum. Fake-Pässe mit Amt und Siegel, sozusagen. Das wirft die Frage auf: Wie unzweifelhaft lässt sich die Identität der vielen Familien überhaupt klären, die aus Syrien kamen oder noch kommen? Und was würde mit „falschen“ Kindern in Österreich passieren?
profil liegt eine Liste aus einer Wiener Schule vor, die den syrischen Familiennachzug stark zu spüren bekam. Darauf notiert: ein Dutzend arabische Namen mit Hinweis auf fehlende Daten. Am häufigsten steht „Geburtsort unbekannt“ neben den Namen. Direktoren und Lehrer dieser Schulen sind nun angehalten, die fehlenden Daten zu erheben. „Wir sind um eine möglichst gute Datengrundlage bemüht. Schulleitungen geben neue Schülerinnen und Schüler ins System ein. Nicht immer bringen Eltern alle Dokumente, und diese werden nachgereicht“, heißt es aus der Wiener Bildungsdirektion. Bis Ende des laufenden Schuljahres müssten die vielen „ungeklärten Staatsangehörigkeiten“ eruiert sein. Und wenn nicht?
Das Kind der anderen
Bei Zweifeln an ihrer Identität würde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Kinder auch dann einer DNA-Analyse unterziehen, wenn diese bereits in Österreich sind und Asyl haben, sagt ein Sprecher von Innenminister Gerhard Karner. Fragt sich, welche Folgen ein negatives DNA-Ergebnis hätte. Denn nach Syrien schiebt Österreich nicht ab, schon gar keine Minderjährigen. Was tun mit aberkannten Kindern? Sie der Kinder- und Jugendwohlfahrt übergeben? Dort herrscht schon jetzt akuter Platz- und Betreuungsmangel. Sie der Ersatzfamilie nicht entreißen, aber ihnen keine Mindestsicherung und Familienbeihilfe mehr auszahlen? Das ist in Hinblick auf das Ziel, Kinderarmut zu reduzieren, wohl auch keine Option. Unterm Strich liefe eine Aberkennung wohl erst recht auf eine Adoption der Kinder durch die Ersatzfamilie hinaus.
Ein Wiener Lehrer berichtet anonym von zwei neuen syrischen Kindern, die Geschwister sein sollen, deren Geburtsdatum aber nur sechs Monate auseinanderliegt. Was biologisch unmöglich ist. Entweder liegt eine Datenpanne vor oder die Familien haben die Frage nicht so genau genommen, ob die Kinder leiblich sind oder nicht. In kriegszerrütteten Ländern wie Syrien leben Kinder nicht selten bei Onkeln oder Tanten – ohne offizielle Adoption. Kriegsbedingtes Patchwork sozusagen. Ziehen diese Väter nach Europa und bekommen Asyl, dürfen sie nur ihre leiblichen Kinder nachholen, obwohl sie auch Ersatzväter für Neffen und Nichten sind. Was ein Anreiz sein kann, bei den Kindern zu schummeln, um auch ihnen ein besseres Leben in Europa zu ermöglichen.
"Planquadrat" als PR-Nummer?
Deswegen erfolgt die Identitätsprüfung noch vor einer Einreise von Syrien nach Österreich. Und diese war bisher offenbar lückenhaft. Denn Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kündigte Anfang Mai deutlich mehr DNA-Tests an, um den Familiennachzug einzubremsen. Innenminister Karner wurde konkreter: Statt bisher in einem Prozent aller Fälle wird ab sofort jeder zweite Antrag auf Familiennachzug per DNA-Test geprüft.
Am Höhepunkt des Familiennachzugs zum Jahreswechsel zogen monatlich bis zu 350 Kinder und Jugendliche im Pflichtschulalter in die Bundeshauptstadt nach. Dazu kamen über 400 im Alter zwischen drei und sechs Jahren. Nun flacht die Welle deutlich ab, und das liegt nicht an den DNA-Tests, sondern den viel geringeren Asylgewährungen. Fragt sich: Warum wird erst jetzt verstärkt geprüft? Ist das DNA-„Planquadrat“ (© Karner) eine PR-Nummer im Wahlkampfjahr, wie die NEOS unterstellen? Eine Reaktion auf die intensive Debatte über den Familiennachzug und seine Folgen, die seit einem profil-Cover im März 2024 nicht abreißen will?
Drittel schon jetzt abgelehnt
Fakt ist: Schon bisher wurden Frauen und Kinder aus Syrien nicht blauäugig durchgewunken. Von annähernd 15.000 Einreiseanträgen, die von Familienangehörigen seit Anfang 2023 gestellt wurden, lehnte das BFA ein Drittel ab. Dass es bisher nur in einem Prozent aller Fälle einen DNA-Test gab, hat auch damit zu tun, dass „falsche“ Antragsteller erst gar nicht mehr zum Test hingingen. Dann, wenn etwa die Dokumentenprüfer in den österreichischen Botschaften Zweifel an der Echtheit von Heirats- oder Geburtsurkunden anmeldeten.
Schwierig wird es für die Beamten, überhaupt Verdacht zu schöpfen, wenn ein Reisepass echt ist, die darauf beglaubigten Daten aber falsch. Solche Fake-Pässe mit Amt und Siegel sollen in Ländern wie Syrien mittlerweile „üblich geworden“ sein, sagt BFA-Direktor Gernot Maier. Wenn Behörden als Fälscherwerkstätten agieren, bleibt nur noch, ältere Dokumente wie Heirats- und Geburtsurkunden genauer zu prüfen oder auf Widersprüche zu achten. „Wenn jemand angeblich seit zehn Jahren verheiratet ist, die Heiratsurkunde aber erst kurz vor dem Einreiseantrag ausgestellt wurde“, gibt Maier ein Beispiel. Beim geringsten Zweifel müssen die Antragssteller eine DNA-Probe direkt an den Botschaften (im Fall von Syrern im Ausweichquartier Beirut im Libanon) abgeben und die Kosten für den Test von 270 Euro zunächst selbst tragen. Bei einem positiven Ergebnis werden die Kosten zurückerstattet.
„Je länger ein Konflikt andauert, desto geringer wird die Dokumentensicherheit“, heißt es vom Roten Kreuz, das die Flüchtlingsfamilien bei der Zusammenführung betreut. Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit 2011. Schwer vorstellbar, dass Fake-Pässe ein so junges Phänomen sind wie die intensive Debatte über den Familiennachzug in Österreich.
Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.