Migration
„Flüchtlinge integrieren sich in Dörfern und Kleinstädten besser“
Der neue Gemeindebund-Präsident, Johannes Pressl (ÖVP), fordert - anders als seine Partei - eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge. Vorbild soll Schweden sein.
Von Clemens Neuhold
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Wie stehen Sie zum Familiennachzug, der fast ausschließlich nach Wien geht?
Pressl
Der Gemeindebund hat nach 2016 festgestellt, dass es viele Flüchtlinge dorthin zog, wo die Sozialgelder höher waren. Und das war oft Wien. Auch die Anonymität und der Anschluss an die eigene Community in der Großstadt zog sie an. Die Familien, die jetzt nachkommen, können nur noch dorthin gehen, wo ihre Angehörigen bereits sind.
Sollte man versuchen, Familien besser aufs Land zu verteilen, wie wir in einem profil-Schwerpunkt argumentieren?
Pressl
Die Menschen jetzt aus einer jahrelang gewohnten Wohnumgebung herauszureißen und umzusiedeln – davon halten wir nichts. Eine grundsätzliche Angleichung der Sozialleistungsstandards könnte allerdings für die Zukunft die Lage verbessern. Denn Integration kann in Gemeinden und kleineren Städten grundsätzlich besser gelingen, wenn enge Verbindungen zur Dorfgemeinschaft oder sogar Freundschaften entstehen. Waidhofen an der Ybbs mit seinem Integrationsleitfaden, den Lern-Cafés, Hilfe bei Behördenwegen und Kontakt-Cafés für alte und neue Bewohner ist für mich beispielhaft.
Wären Flüchtlinge überhaupt noch bereit, von Wien aufs Land zu ziehen?
Pressl
Das hängt sicher stark von Jobangeboten ab. Und ob sie vor Ort oder in der näheren Umgebung auch Landsleute vorfinden.
Das macht Gemeinden in der Nähe von Ballungsräumen für Flüchtlinge attraktiver.
Pressl
Ja. Weil sie in der Regel besser an den öffentlichen Verkehr angebunden sind. Gerade im ländlichen Raum ist man aufs Auto angewiesen. Der Kauf und Erhalt eines Fahrzeugs ist für Flüchtlinge aber oft nicht leistbar.
Was halten Sie von einer Wohnsitzauflage für Flüchtlinge?
Pressl
Eine Residenzpflicht für neu ankommende Asylwerber wäre zu begrüßen, da die Flüchtlinge von Anfang an Bescheid wissen. Für eine Residenzpflicht haben wir uns schon immer ausgesprochen. Wir haben uns derartige Modelle vor einem Jahr in Schweden angeschaut und sie als sehr positiv empfunden. Wir können uns das für neue Geflüchtete grundsätzlich sehr gut für ganz Österreich vorstellen.
Was hat Ihnen an Schweden gefallen?
Pressl
In Schweden sind die Gemeinden für die Aufnahme von Flüchtlingen verantwortlich. Es gibt eine Grundunterstützung für drei bis sechs Monate inklusive Residenzpflicht für Flüchtlinge. Die Flüchtlinge werden über Kontingente auf die Gemeinden verteilt. Die Gemeinde Nacka, die wir besucht haben, unterstützt die Ankommenden bei Schule, Kindergarten, Spracherwerb. Ziel ist es, so schnell wie möglich Schwedisch zu lernen, einen Job zu finden und sich selbst zu versorgen. Die Residenzpflicht in Schweden verpflichtet die Gemeinden einerseits, dass sie sich umfassend um Geflüchtete kümmern, sie verhindert aber andererseits auch, dass Geflüchtete bei Sozialleistungen und Staatsleistungen mit „Rosinenpicken“ beginnen.
Und bezogen auf den Familiennachzug?
Pressl
Die Gemeinde, die wir besuchten, legte einen speziellen Fokus auf Frauen mit Kindern, weil diese wegen der Betreuungspflicht oft langsamer Schwedisch lernen und eine Weiterbildung öfter unterbrechen. Im offenen Kindergarten lernen auch Mütter mit Kleinkindern die Sprache und bereiten sich auf reguläre Kurse vor, während ihre Kinder betreut werden. Und die Residenzpflicht verbessert ja auch die Planung für einen allfälligen späteren Familiennachzug, weil man sich frühzeitig als Gemeinde darauf einstellen kann.
Die ÖVP ist für Integration, Familien und Frauen zuständig. Tut sie genug für die Verteilung?
Pressl
Als Präsident des Gemeindebundes vermeide ich es, die mediale parteipolitische Debatte zu kommentieren. Das Thema braucht in jedem Fall einen breiten Konsens über alle Parteigrenzen hinweg.
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Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.