Föderalismus: Soachbriada im Wiener Rathaus
Mit einer Länge von 71 Metern war der Festsaal des Wiener Rathauses der größte Ballsaal der Monarchie. K. u. k. ist Geschichte, M. u. M. die Gegenwart. Von 1994 bis 2018 herrschte Bürgermeister Michael I. (Häupl) über Stadt, Rathaus und Festsaal, seit vier Jahren tut das Michael II. (Ludwig).
Vorvergangenen Samstagabend steht Ludwig im prächtig beleuchteten und heillos überfüllten Festsaal. Interessanterweise trägt er ein Trachtensakko. Der Bürgermeister ist bester Laune, obwohl er weiß, dass kaum einer der 2800 Anwesenden ihn gewählt hat. Konnten sie auch nicht. Es handelte sich durchwegs um Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher in Dirndl und Trachtensakko, die zum Oberösterreicher-Ball im Rathaus erschienen sind. Motto: „Sei ned zwida, tanz' moi wieda!“ (Etwa: „Sei nicht mürrisch, tanze wieder!“) Der Seniorenbund der ÖVP-OÖ – an der Spitze dessen Obmann, Ex-Landeshauptmann Josef Pühringer – ist ebenfalls mit einer Delegation vertreten, auch ohne Sponsoring aus Corona-Geldern.
Ein Ohne-Masken-Ball
Der Ball wird vom Verein der Oberösterreicher in Wien veranstaltet, präsentieren darf sich jedes Jahr eine andere Region. Diesmal ist das Innviertel an der Reihe, also die Bezirke Braunau, Ried und Schärding, wo die Corona- Impfquoten bekanntlich die geringsten in ganz Österreich sind. Trotzdem trägt Bürgermeister Ludwig keine Maske, als er nach der Eröffnung entspannt durch die vollen Ballräumlichkeiten schlendert. Beim weniger gedrängten Parteitag der Wiener SPÖ eine Woche später in der Messehalle wird er demonstrativ einen FFP-2-Mundschutz benutzen, aber da geht es ja auch darum, die Masken-Lockerungen der Bundesregierung zu hinterfragen. Politik hat bekanntlich viel mit Symbolik zu tun. Der Oberösterreicher-Ball ist jedenfalls kein Maskenball – auch für den Wiener Bürgermeister. Vor der Eröffnung lässt Ludwig es sich nicht nehmen, die Gäste aus dem wilden Westen mit einer kurzen Ansprache zu begrüßen. Und er findet die richtigen Worte: „Die Oberösterreicher sind ein wunderbarer Menschenschlag.“
Zentralisten allerorten
Aus Linz ist die wunderbare ÖVP-Landesregierungsriege angetanzt. Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer und Ludwig sind „Hawara“ (wie man in Ludwigs Heimatbezirk Floridsdorf für „Freunde“ sagen würde) beziehungsweise „Soachbriada“ (etwa: „brunzende Brüder“), wie man im robust-rohen Innviertel formuliert. Die beiden kennen einander von der Landeshauptleutekonferenz, die es laut Verfassung gar nicht gibt, die sich aber gerade deshalb für alles zuständig fühlt, was die Länder betrifft. Zudem stammt Ludwigs Gattin aus dem Mühlviertel, womit der Wiener Bürgermeister auch halber Oberösterreicher ist, also ein „hoiber Gscherter“ (wie man in Floridsdorf einen Mann aus der Provinz nennen würde). Landeshauptmann Thomas Stelzer sagt so: „Tu felix Austria superior, nube“. Soll heißen: Wie einst die Habsburger erweitern auch die Oberösterreicher durch geschickte Heiratspolitik ihren Einflussbereich.
Die oberösterreichischen Landespolitiker (und auch alle anderen aus den übrigen Provinzen) unterscheiden sehr genau zwischen Wien, dem Bundesland, und Wien, der Bundeshauptstadt. Ersteres ist ein Gebiet, in dem 70.000 Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher leben, die entsprechend gepflegt werden wollen; zweitere ein bundesministerialbürokratisches Monster, dass die föderalistischen Freiheiten bedroht. Oder wie Josef Pühringer den profil-Reporter (wie Bürgermeister Ludwig ein „hoiber Gscherter“) schon vor zwei Jahrzehnten warnte: „Obacht, in Wean lauert hinter jeder Eck´n ein Zentralist.“
Sie lesen Folge 3 der dritten Staffel einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.
Gernot Bauer
Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.
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