Föderalismus, Verschleierung, Sanktionen: Nur nicht hudeln
Was haben Österreichs Behörden bisher unternommen, um Besitztümer der russischen Elite zu erfassen, mit Sanktionslisten abzugleichen und gegebenenfalls einzufrieren oder zu beschlagnahmen? Liegenschaften, Firmenanteile, Bankkonten, Wertpapierdepots, Schließfächer, Flugzeuge, Autos, Boote? Wer ist wofür zuständig? Und was wurde gefunden?
Wir hatten im Zuge dieser Recherche eine Menge Fragen, die wir reihum stellten: an das Innenministerium, das Finanzministerium, das Verkehrsministerium, die Oesterreichische Nationalbank (OeNB), die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), die Büros von Landeshauptleuten, die Statistik Austria.
Was wir bekamen? Ausweichende, inhaltsleere oder keine Antworten, deren Wiedergabe nur Platz verschwenden würde. Man schickte uns im Kreis, strapazierte wahlweise die Amtsverschwiegenheit, den Datenschutz, das Bankgeheimnis – wie so oft in Österreich gilt: Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Europäische Union schärfste Sanktionen gegen mittlerweile 877 russische Unternehmer und Politiker sowie 62 Firmen und Organisationen erlassen – und weil Österreich Mitglied der EU ist, gelten diese Sanktionen auch hierorts.
Wie vielen der Sanktionierten bisher Vermögen zugerechnet werden konnte, ist nicht bekannt. profil-Recherchen führten zumindest zu einer ersten Summe: Demnach haben Österreichs Banken mittlerweile rund 200 Millionen Euro an russischen Geldern eingefroren, verteilt auf Dutzende Konten – wer die Kontoinhaber sind? „Kein Kommentar“, heißt es dazu vonseiten der Nationalbank. Man verweist auf das Innenministerium und die nachgeordnete Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst – die ihrerseits wenig bis nichts zu sagen haben. „Es dürfen von unserer Seite keine Tatsachen genannt werden, die einen Rückschluss auf bestimmte Personen ermöglichen würden“, so ein Sprecher des Innenministeriums auf profil-Anfrage.
Bemerkenswert: Im Grund- und/oder Firmenbuch sollen bisher gerade einmal zwei Russen identifiziert worden sein, die unter EU-Sanktionen stehen. Ein Anfang ist ein Anfang, wenngleich die bisherigen Funde nur einen Bruchteil der Realität abbilden dürften. Österreich gilt Russlands Elite bekanntlich seit Jahrzehnten als beliebter Rückzugsort.
Anfang vergangener Woche veröffentlichte profil erste Ergebnisse laufender Recherchen mit internationalen Partnern. Als Teil eines Journalistenkollektivs rund um das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) dokumentieren wir nach und nach milliardenschwere Besitztümer umstrittener russischer Geschäftsleute – auch in Österreich. So führte das Projekt „Russian Asset Tracker“ bereits zu zwei Liegenschaften im Salzburgerland, die sich mit dem Oligarchen Roman Abramovich und dem früheren russischen Vize-Premier Igor Shuvalov in Verbindung bringen lassen – gegen beide hat die EU Sanktionen verhängt.
Das Projekt steht an seinem Beginn, die kommenden Wochen werden weitere Erkenntnisse zeitigen.
Gewiss: Die Rekonstruktion von zuweilen arg verschachtelten Besitzverhältnissen ist ein komplizierter Vorgang, für Journalisten gleichermaßen wie für Behörden – gerade russische Vermögen halten seit Jahrzehnten eine globalisierte Beraterindustrie am Laufen, deren Daseinszweck sich in der Verschleierung von Vermögen erschöpft.
Wo Immobilien- und Firmenanteile hinter Kaskaden an Treuhändern, Stiftungen, Trusts und Offshore-Briefkastenfirmen verschwinden, ist die Ermittlung der sogenannten Ultimate beneficial owners schwierig bis unmöglich. profil hat dieses Problem in den vergangenen Jahren immer wieder thematisiert. Soweit es Österreich betrifft, kommen verzweigte Verantwortlichkeiten und föderale Strukturen erschwerend hinzu.
Laut dem Sanktionengesetz 2010 ist die OeNB für die Überwachung der Sanktionierung von „Vermögenswerten“ verantwortlich, das sind im Wesentlichen Bankkonten, Wertpapierdepots und Bankschließfächer. Für die Feststellung von Liegenschafts- und Firmenbesitz ist wiederum das Innenministerium zuständig. Dessen wichtigstes Instrument ist eine Online-Datenbank, das „Wirtschaftliche Eigentümer Register“, kurz WiEReG. Dieses wird vom Finanzministerium geführt, von der Statistik Austria „technisch“ betreut und ist konstruktionsbedingt lückenhaft (dazu später).
Das Innenministerium kann zwar Immobilien- und Firmenvermögen einfrieren lassen, muss dafür aber an die Grund- und Firmenbücher bei den Bezirksgerichten (beziehungsweise dem Wiener Handelsgericht) herantreten, also letztlich an das Justizministerium. Und für die Beschlagnahme von „Verkehrsmitteln“ – Flugzeuge, Autos, Boote – ist laut Sanktionengesetz zunächst die Bundesregierung verantwortlich, die dafür einerseits das ÖVP-geführte Innenministerium braucht, andererseits auch das grün-gelenkte Verkehrsministerium, das wiederum auf die Bundesländer zurückgreifen muss. Es sitzen also potenziell ziemlich viele Menschen an einem Tisch – und wie man so hört, läuft die Kommunikation bisher, nun ja, schleppend.
Am Beispiel von Booten. In den vergangenen Tagen sorgten die in Spanien, Frankreich und Italien festgesetzten Mega-Yachten russischer Oligarchen für Schlagzeilen. Die Frage liegt nahe, ob nicht der eine oder andere aus Putins Clique auch an einem österreichischen See ein Schifferl vor Anker hat. Für Bootszulassungen sind in Österreich die jeweiligen Landeshauptleute zuständig.
„Bezüglich Ihrer Anfrage hinsichtlich in Oberösterreich zugelassener Boote von auf der Sanktionsliste der EU befindlicher Personen, darf ich Ihnen mitteilen, dass es bislang kein entsprechendes Amtshilfeersuchen der Bundesregierung respektive zuständiger Bundesbehörden an das Land Oberösterreich gibt“, erklärt der Büroleiter von Oberösterreichs FPÖ-Verkehrslandesrat Günther Steinkellner auf profil-Anfrage. Seit Wochen sind die Sanktionen in Kraft – aber der Bund und das Land Oberösterreich haben noch nicht einmal miteinander telefoniert. Das ist typisch österreichisch: Immer dann, wenn es unangenehm wird, wartet man auf den Anruf des jeweils anderen, die Corona-Pandemie hat das erschöpfend gezeigt.
Nachfrage in Kärnten: Auch dort sieht man das grün geführte Infrastruktur- und Klimaministerium als „oberste Schifffahrtsbehörde“ in der Ziehung. Bisher sei „keine Übermittlung der entsprechenden Sanktionsliste der betroffenen Personen und kein Überprüfungsauftrag durch das Ministerium an das Land Kärnten erfolgt“, heißt es gegenüber profil. Das Land habe trotzdem eigenständige Nachforschungen angestellt – konnte allerdings keine Boote identifizieren, die im Eigentum der sanktionierten Personen stehen.
Selbst die Frage, wer nun eigentlich für die allfällige Sicherstellung von Booten zuständig ist, dürfte nicht restlos geklärt sein: „Die Schifffahrtsbehörde hätte keinerlei rechtliche Handhabe, aufgrund der Sanktionsliste der EU eine Beschlagnahme eines Bootes auf Kärntner Gewässern zu verfügen. Es wäre Aufgabe der obersten Schifffahrtsbehörde eine Klärung herbeizuführen, allenfalls durch welche Behörde eine Beschlagnahme zu erfolgen hätte, oder ob dafür eine richterliche Anordnung erforderlich wäre.“
Das Verkehrsministerium? Fühlt sich nicht verantwortlich – Beschlagnahmen fielen in die Zuständigkeit des Innenministeriums, heißt es dort (wie bereits erwähnt: Laut Sanktionengesetz ist es zunächst die Bundesregierung, die eine Beschlagnahme von Verkehrsmitteln mittels Verordnung oder Bescheid anordnen muss).
Um Besitztümer einfrieren oder sicherstellen zu können, muss man wissen, wem sie letztgültig gehören. Für Banken gelten mittlerweile strenge Vorschriften, was die Erfassung von wirtschaftlich Berechtigten und den Abgleich mit Sanktionslisten betrifft. Bei Verstößen agieren die Aufsichtsbehörden zunehmend humorbefreit. Siehe die Schließung der einstmaligen Meinl Bank 2019, die für russische Kunden Milliarden Euro verwaltet und dabei die Anti-Geldwäschebestimmungen recht großzügig ausgelegt hatte.
Anders verhält es sich mit Grund- und Immobilienbesitz sowie Unternehmensbeteiligungen. Das Grund- und das Firmenbuch erfassen jeweils nur direkte Besitzverhältnisse – und wo russisches Geld im Spiel ist, sind Strohleute und Offshore-Limiteds in Steuerparadiesen selten weit. Hier setzt das 2018 geschaffene „Wirtschaftliche Eigentümer Register“ an.
Das WiEReG ist eine im Finanzministerium angesiedelte und von der Statistik Austria betreute öffentliche Datenbank, die annähernd 400.000 juristische Personen führt – darunter Privatstiftungen, Kommanditgesellschaften, Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Dem Anspruch nach geht das WiEReG weit über das Firmenbuch hinaus, weil es die tatsächlichen wirtschaftlichen Eigentümer etwa einer GmbH erfasst. Die Letztverantwortung für die transparente Darstellung der Gesellschaftsverhältnisse liegt freilich bei den Eigentümern selbst. Im Finanzministerium pocht man darauf, dass es sich beim WiEReG um ein internationales „Best Practice“-Beispiel handle. So viel zum Anspruch. In der Praxis weist die Datenbank große Lücken auf, die eine Zuordnung oftmals illusorisch machen. Ein Beispiel: In St. Anton am Arlberg steht das 5-Sterne-Superior-Hotel Tannenhof. Wie die Recherchen zum Projekt „Russian Asset Tracker“ zeigten, gehörte die Nobel-Herberge bis 2015 der Bank VTB, die sich mehrheitlich im Besitz des russischen Staates befindet und nunmehr unter Sanktionen steht. Mittlerweile ist die zypriotische Eigentümerstruktur derart blickdicht gestaltet, dass man vergebens nach den echten Besitzern sucht.
Im WiEReG, von dem man sich eigentlich eine solche Auskunft erhoffen würde, ist diese Information ebenfalls nicht ersichtlich. Dort sind lediglich zwei Geschäftsführer eingetragen. Einer der beiden betonte auf profil-Anfrage, die tatsächlichen Eigentümer seien weder in Russland geboren, noch russische Staatsbürger und hätten auch keine Verbindungen VTB Bank.
Das Hotel gehört also gar nicht denen, die im WiEReG aufscheinen. Warum das so ist? Das Hotel Tannenhof hat nicht einen bestimmenden Investor, sondern offenbar zwei Eigentümer, die über Zwischengesellschaften fifty-fifty beteiligt sind. Seitens des Finanzministeriums verweist man auf profil-Anfrage aufs Gesetz und erklärt allgemein, dass Anteilseigner in einem solchen Fall nicht als „wirtschaftliche Berechtigte“ gelten, da indirekte Eigentümer nur dann erfasst werden, wenn sie auch die Kontrolle ausüben. Wenn sich demnach zwei oder mehr Leute die Eigentümerschaft teilen, ohne dass jemandem die Kontrolle zufällt (oder es zumindest auf dem Papier so aussieht), bleibt das WiEReG außen vor. In solchen Fällen (und auch in einigen anderen Konstellationen) wirft die Datenbank dann eben die Geschäftsführer als Eigentümer aus. Und das gilt so offenbar für Tausende Unternehmen in Österreich.
Laut Finanzministerium haben mehr als zwölf Prozent der erfassten Gesellschaften mit beschränkter Haftung solche „subsidiären wirtschaftlichen Eigentümer“ eingetragen. In absoluten Zahlen betrifft das – durchgerechnet – rund 22.800 Firmen. Ein weiteres Problem: Das Finanzministerium ist davon abhängig, dass die Unternehmen (respektive deren Gesellschafter) vollständige und wahrheitsgemäße Angaben machen. Zwar drohen bei Fehlverhalten mehrere Hunderttausend Euro an Verwaltungsstrafen, und das Ministerium führt auch stichprobenartige Kontrollen durch. Letztlich findet sich aber auf jedem Register-Auszug der Vermerk: „Es wird darauf hingewiesen, dass keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten übernommen werden kann.“
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