Eva Linsinger

Eva Linsinger Eiertänze

Leitartikel. Das Fortpflanzungsgesetz ist hoffnungslos veraltet, realitätsfremd und verlogen

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Bill Clinton zog als Hoffnungsträger ins Weiße Haus ein, die weißen Südafrikaner votierten für das Ende der Apartheid, Steffi Graf gewann Wimbledon, Nirvana dominierten mit „Smells Like Teen Spirit“ die Charts, SPÖ und ÖVP diskutierten, ob Österreich der EU beitreten solle. Sebastian Kurz saß in der ersten Klasse Volksschule, Technikfreaks erwarben ihr erstes, kiloschweres Mobiltelefon.

Manche der Nachrichten aus dem Jahr 1992 klingen heute verflixt lange her, manche Akteure, die seinerzeit Schlagzeilen machten, sind längst vergessen. Doch eine Bestimmung von damals überdauerte unverändert alle Zeitenwenden: das heimische Fortpflanzungsgesetz.

22 Jahre ohne Novelle wären für jede Regelung eine lange Zeit, beim Medizingesetz ist diese Periode nachgerade grotesk ausgedehnt: Es stammt aus der Steinzeit der Gentechnik, viele Methoden der Befruchtungsmedizin waren damals nicht einmal angedacht, geschweige denn erfunden.

Ausgerechnet im dynamischsten Wissenschaftsbereich verharrt die Rechtslage auf einem Uralt-Niveau, das Österreich zum Nachzügler Europas macht. Seit 1992 übten sich alle Koalitionen in Realitätsverweigerung, seit damals verschwanden meterweise Vorschläge von Experten für eine zeitgemäße Regelung in den Schubladen wechselnder Minister, begleitet von der feigsten aller möglichen Reaktionen – nämlich gar keiner.

Bloß nicht diskutieren, auf keinen Fall heikles Terrain betreten! Nach diesem Motto wurde auch die aus den USA herübergeschwappte Diskussion über das Einfrieren von Eizellen niederadministriert. Mehr als schallendes Schweigen war dazu nicht zu vernehmen. Keine Frage, jede Debatte darüber, welche der wissenschaftlich möglichen Methoden erlaubt werden soll, ist kompliziert, weil sie moralische Fragen umkreist, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Nur: Das „Psssst!“ der Regierung ist garantiert falsch. Es wäre dringend angebracht, grundlegend über das Steinzeit-Fortpflanzungsgesetz zu reden, denn dieses produziert vor allem eines: zynische ethische Schieflagen.

So ist es verboten, bei einer künstlichen Befruchtung Embryos im Achtzellerstadium auf Erbkrankheiten zu testen, bevor sie in die Gebärmutter eingesetzt werden. Dann endet der Schutz des Embryos: Wird Monate später eine Behinderung festgestellt, kann völlig legal abgetrieben werden – konkret bis zu dem Moment, in dem die Wehen einsetzen. Und das soll allen Ernstes humaner sein?

Die Liste der Absurditäten lässt sich beliebig fortsetzen: Eizellenspenden sind verboten, Samenspenden nicht. Oder: Befruchtete Eizellen, die bei der künstlichen Befruchtung überbleiben, dürfen nicht gespendet oder für die Forschung verwendet werden, sie werden entsorgt. Warum ein Ende unter dem Forschungsmikroskop moralisch verwerflicher sein soll als ein Ende im Sondermüll, kann niemand logisch erklären. Zu dieser kruden Regelungslage passt, dass Forscher selbstredend Stammzellen aus dem Ausland importieren dürfen. Noch Fragen, warum all die Kapazunder aus der Bioethikkommission seit Jahren dringend eine grundlegende Reform des Gesetzes urgieren?

An derartig abstrusen Regelwerken können nur all jene mit Bestemm festhalten, die lieber ideologische statt logische Regelungen in die Welt setzen – und weiter stillschweigend den profitablen Fortpflanzungstourismus ins liberalere Ausland tolerieren, mit dem auch heimische Kinderwunschinstitute gute Geschäfte machen. Nur nicht hinschauen, nur nicht darüber reden – recht viel heuchlerischer und scheinheiliger geht es nicht.

Der politische Eiertanz führt bisweilen so weit, dass eine parlamentarische Enquete zur Fortpflanzungsmedizin platzt, weil die ÖVP im letzten Moment doch keine Zeit findet. Das war im Frühjahr 2013. Seither ergab sich leider, leider kein neuer Termin, wohl auch, um Konflikte mit der katholischen Kirche zu vermeiden, die traditionell die alleinige Deutungshoheit darüber beansprucht, wer mit wem wie zusammenleben und sich vermehren darf. Sich vor dieser Auseinandersetzung zu drücken, mag bequem sein, kommt aber einer Selbstaufgabe der Politik gleich.

Der deutsche Bundestag hat vorexerziert, wie Politiker mit medizinisch-ethischen Fragen umgehen können. Ausdrücklich ohne Fraktionszwang wurde quer über die Parteigrenzen sensibel diskutiert und abgestimmt, was erlaubt und was verboten sein soll. In Österreich scheuen Politiker die überfällige Debatte und überlassen grundlegende Fragen der Bioethik lieber den Höchstgerichten. Zuletzt erschien selbst den spröden Verfassungsrichtern der Passus im Fortpflanzungsgesetz, dass Samenspenden nur für heterosexuelle Paare in „eheähnlichen“ Gemeinschaften gestattet sind, als reichlich angestaubte Sicht auf die Welt. Es wäre höchste Zeit, nicht nur den vom VfGH monierten Passus an das 21. Jahrhundert anzupassen.

Österreich rühmt sich gern, eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu haben. In der Fortpflanzungsmedizin hat es bloß eines der heuchlerischsten.

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