Verzögerte Auslieferung von FPÖ-Abgeordneten: Absicht oder Panne?
Nationalratspräsident Walter Rosenkranz, FPÖ, hat seinen Vertrauensvorschuss bei den anderen Fraktionen in kürzester Zeit verspielt: zunächst mit der Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ins Parlament; und jüngst mit der Panne bei der Weiterleitung eines Auslieferungsersuchens der Staatsanwaltschaft Wien. Diese wollte gegen die FPÖ-Abgeordneten Harald Stefan, Martin Graf und Norbert Nemeth wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das NS-Verbotsgesetz ermitteln. Die drei hatten bei einem Begräbnis eines FPÖ-Politikers im September ein auch von der SS verwendetes Lied („Wenn alle untreu werden“) gesungen. Den Freiheitlichen zufolge handelte es sich um eine Version aus dem Jahr 1814. Als Abgeordnete besitzen Stefan, Graf und Nemeth Immunität und sind daher vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt.
Daher richtete die Staatsanwaltschaft Wien an den zuständigen Nationalratspräsidenten im November ein Ersuchen auf Auslieferung der Abgeordneten. Laut der Geschäftsordnung des Nationalrats muss der Präsident solche Ansuchen „sofort nach dem Einlangen“ dem Immunitätsausschuss des Nationalrats zuweisen. Doch die drei FPÖ-Abgeordneten und ihre 180 Kollegen erfuhren von den Auslieferungsersuchen erst aus einem „Standard“-Bericht. Vertreter von ÖVP, SPÖ, Neos und Grünen reagierten empört und verlangten Aufklärung für die Verzögerung. Wollte Rosenkranz seine Parteifreunde schützen?
Unschuldsbekenntnis
Am 5. Dezember wurde der Fall in der so genannten Präsidialkonferenz (bestehend aus den drei Nationalratspräsidenten, Vertretern der Parlamentsklubs und dem Parlamentsdirektor) besprochen. profil liegt das Konferenzprotokoll vor.
Die Sitzung beginnt um 10.30 Uhr. Anwesende Politiker sind neben Rosenkranz der Zweite Nationalratspräsident Peter Haubner, ÖVP; die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures, SPÖ; sowie die Abgeordneten Georg Strasser (ÖVP), Rudolf Silvan (SPÖ), Sigrid Maurer (Grüne) und Niki Scherak (Neos). Für die FPÖ ist Norbert Nemeth als stellvertretender Klubobmann erschienen.
Aus dem Protokoll geht hervor, dass Rosenkranz weder persönlich noch in seiner Funktion als Vorsitzender der Parlamentsverwaltung Verantwortung für den Fehler übernimmt. Nach der Darstellung des Nationalratspräsidenten ging das Schriftstück der Staatsanwaltschaft am parlamentsinternen Postweg auf mirakulöse Weise verloren. Schuld daran müssen also die Mitarbeiter von Expedit und Poststelle des Parlaments sein.
Der Ablauf, wie er von Rosenkranz in der Präsidialkonferenz geschildert wird: Am 20. November trifft das Schreiben der Staatsanwaltschaft in der Poststelle des Parlaments ein und wird an das Büro von Rosenkranz weitergeleitet. Dort wird es geöffnet, im Postbuch vermerkt und noch am selben Tag in das Ausgangspostfach des Präsidentenbüros gelegt. Von dort hätte es von Expeditmitarbeitern abgeholt und in die Nationalratskanzlei gebracht werden sollen, wo es allerdings nie einlangt.
Was in den anderen Klubs für Erstaunen sorgt: Im Regelfall wird ein Auslieferungsersuchen von der Nationalratskanzlei umgehend an die betroffenen Abgeordneten und zwei Tage später auch an alle anderen Mandatare weitergeleitet. Entsprechend rasch wird es zum allgemeinen Gesprächsthema im Hohen Haus.
„Keine Manipulation“
Dass die heikle Post von der Staatsanwaltschaft unter den Abgeordneten – selbst bei den freiheitlichen – ohne Resonanz blieb, fiel Rosenkranz und seinen Mitarbeitern offenbar nicht auf. Erst durch „mediale Recherchen“ habe man im Präsidentenbüro bemerkt, so Rosenkranz laut Protokoll, dass das Scheiben nie in der Nationalratskanzlei einlangte.
Daher wird es am 29. November abermals übermittelt. Es sei, so Rosenkranz in der Präsidialkonferenz, „von seiner Seite keine Manipulation erfolgt“. Er wolle sich auch nicht auf „Spekulationen“ einlassen, die Verzögerung könnte in Zusammenhang mit der steirischen Landtagswahl am 24. November stehen. Dazu kritisiert Rosenkranz, dass das Ersuchen der Staatsanwaltschaft nicht eingeschrieben versendet wurde. Er werde daher mit dem Justizministerium Kontakt aufnehmen, damit dies in Zukunft der Fall sei. Fazit: kein Verschulden beim Präsidenten, sondern Fehler im Justizressort und bei nicht identifizierten Parlamentsmitarbeitern.
Die bei der Präsidialkonferenz anwesenden Mandatare nahmen Rosenkranz' Bericht zur Kenntnis. Die grüne Klubobfrau Maurer merkte laut Protokoll an, dass „in solchen Abläufen Fehler passieren können“. Rosenkranz müsse aber sehen, „dass vor dem Hintergrund anderer Vorkommnisse der letzten Monate der Eindruck entstehen könnte, dass auch andere Motive mitspielen könnten“.
Hört man sich in den Klubs um, gilt als naheliegende Erklärung für die Panne, dass das Schriftstück wohl in Rosenkranz‘ Büro liegenblieb, weil dessen Team mangels Routine noch nicht eingespielt sei. Vorsatz stecke wohl nicht dahinter. Dass der Nationalratspräsident die Schuld indirekt auf Mitarbeiter schiebt und als Chef der Parlamentsverwaltung nicht selbst die Verantwortung übernimmt, wird als ein Mangel an Führungsstil gesehen.
Gestörter Weihnachtsfriede im Parlament
Am 11. Dezember, in seiner letzten Sitzung im heurigen Jahr, lieferte der Nationalrat die Abgeordneten Stefan, Nemeth und Graf gegen die Stimmen der FPÖ aus. In der Debatte war es hitzig geworden. Der ÖVP-Abgeordnete Wolfgang Gerstl warf Rosenkranz vor, beim Weiterleiten des Auslieferungsersuchens „das Geschäftsordnungsgesetz nicht entsprechend vollzogen“ zu haben. Rosenkranz, von durchaus reizbarem Charakter, ließ sich durch Gerstls Rede provozieren. Vom Präsidentenstuhl richtete er dem ÖVP-Abgeordneten aus, dieser werden von ihm „noch die Möglichkeit bekommen, sich bei mir zu entschuldigen“. Die Behauptung, er hätte etwas „liegen gelassen“, sei „faktenwidrig“. Im Parlamentsprotokoll sind empörte Zwischenrufe von schwarzen und grünen Abgeordneten vermerkt.
Die besinnliche Adventstimmung hatte Rosenkranz damit zerstört und seine eigene vorweihnachtliche Dramaturgie gleich dazu. Der Nationalratspräsident hatte beabsichtigt, die Abgeordneten mit einer feierlichen Ansprache in die Ferien zu entlassen – mit den beiden anderen Präsidenten an seiner Seite. Deren Stühle waren bereits neben Rosenkranz platziert worden. Doch weder Peter Haubner noch Doris Bures folgten Rosenkranz‘ Einladung. Dessen Ansprache fiel dann eher kurz aus.