FPÖ: Burschenschaften machen Parteiobmänner - und stürzen sie
Nach Ansicht des französischen Philosophen und Schriftstellers Albert Camus müssen wir uns Sisyphos, der dazu verdammt ist, immer wieder denselben Felsbrocken einen Berg hinaufzurollen, als einen glücklichen Menschen vorstellen. "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen", schrieb Camus.
FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache sieht jedoch gar nicht glücklich aus. Auch ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der in der ideologischen Unbedarftheit seiner Generation vor ein paar Wochen in kleiner Runde sinngemäß sagte, Burschenschaften seien halt der akademische Rekrutierungspool der Freiheitlichen, nicht viel anders als einst der Cartellverband für die ÖVP oder die Sozialistischen Studenten für die SPÖ, wirkt zusehends besorgt.
In unheimlicher Regelmäßigkeit taucht auf, was der Volksmund mehr oder weniger empört unter dem Begriff "Kellernazi" subsumiert. Allein in den vergangenen 14 Tagen gab es diverse einschlägige Vorfälle: ein burschenschaftliches Liederbuch mit Hohnversen über den Holocaust ("Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million"); eine freiheitliche Lokalpolitikerin, die Flüchtlinge als "Untermenschen" bezeichnet; ein FPÖ- Gemeinderat in Graz, der für einen Aufmarsch der rechtsradikalen "Identitären" den Ordnerdienst machte; ein Universitätsprofessor und Burschenschafter der "Olympia", der 2012 über den "Unterschied zwischen 'Rassen'" schwadronierte und von der FPÖ nun als Universitätsrat nominiert wurde.
Zu allem Überdruss droht der ehemalige FPÖ-Volksanwalt Ewald Stadler mit einem Aufstand der Korporierten. Strache sei in der Liederbuchaffäre vor der ÖVP "in die Knie" gegangen, habe sich "nicht mannhaft" verhalten.
"Geborene Anführer"
Die FPÖ krankt an ihrem Wesen, an ihrem Ursprung. An Männern mit Schmissen im Gesicht, die auf der Bude gelernt haben, dass es eine Schande sei, bei der Mensur zurückzuzucken; die Herrschen und Dienen gewohnt sind; die sich "als geborene Anführer verstehen", weil das "Teil unserer weltanschaulichen Ausrichtung ist", wie FPÖ-Nationalrat und "Olympe" Harald Stefan in Form einer rhetorischen Frage 2007 ausführte; die in einem Bodensatz von Deutschnationalismus und Antisemitismus politisiert wurden, der zuletzt verstärkt einer rassistischen Ausrichtung der Ausländer- und Integrationspolitik den Boden bereitete.
Die Bande zwischen FPÖ und Burschenschaften wurden in der Nachkriegszeit geknüpft. "Wir haben den Burschenschafter-Eid geschworen, obwohl wir wussten, dass in unserem Heimatland ein Schmiss nicht gerade die beste Empfehlung im öffentlichen Leben bedeutet", erklärte Wolfgang Lindinger, Germania Innsbruck, 1958. Die Burschenschafter sahen sich als "Idealisten", die nicht wie andere "das Hemd gewechselt" hatten und in einer der beiden Großparteien untergeschlüpft waren. Sie gingen zum "Verband der Unabhängigen" (VdU) und ab 1956 zur FPÖ, einem Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten und die einzige Partei, die sich offen zur "deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft" bekannte. Beim Gründungsparteitag der FPÖ wurde über die Frage gestritten, ob man sich "liberal" oder "freiheitlich" nennen sollte. Freiheitlich natürlich, um die Nationalen nicht zu vergraulen. Eine Weichenstellung.
In den Anfangsjahren war der Anteil der Korporierten in den Gremien der FPÖ höher als heute, doch damals war die FPÖ eine kleine Honoratioren- und keine Volkspartei. In der Ära der Parteichefs Jörg Haider und Susanne Riess-Passer waren am wenigsten Burschenschafter im Nationalrat vertreten.
Haiders Balanceakt
Haider versuchte sein Leben lang, die FPÖ zu einer Massenpartei zu machen und gleichzeitig die Gründergeneration und deren Söhne, Burschenschafter, bei der Stange zu halten. Der Balanceakt funktionierte lange gut. Am Ende scheiterte jedoch auch Haider daran. Der FPÖ-Aufstand von Knittelfeld, der im Herbst 2002 die erste schwarz-blaue Regierung sprengte, war maßgeblich von Burschenschaftern in der FPÖ organisiert worden. Zwei Jahre später - Haider hatte in einer Nacht- und Nebelaktion zwei Korporierte in seinem Regierungsteam entlassen - war der rechte Flügel bestens vorbereitet und in Stellung gebracht worden. Im Mittelpunkt: Heinz-Christian Strache, damals Wiener FPÖ-Obmann, Ewald Stadler und EU-Mandatar Andreas Mölzer. Wäre es nach Haiders Willen gegangen, wäre Mölzer 2004 nicht mehr ins Europaparlament eingezogen. Eine Initiative aller schlagenden Verbindungen in Österreich hatte jedoch für Mölzer in einer Vorzugsstimmenkampagne den ersten Platz und das Brüsseler Mandat zurückerkämpft.
Dabei waren die Aufrührer von damals selbst einmal ergebene Haider-Anhänger gewesen. Nicht wenige von ihnen hatten im Sommer 1986 in diversen Hinterzimmern bei den Putschvorbereitungen mitgewirkt, um den liberalen und ihrer Ansicht nach zu kompromisslerischen Kurs des damaligen Parteichefs und Vizekanzlers der rot-blauen Koalition, Norbert Steger, zu beenden. Sie waren alarmiert von der Ankündigung Stegers, die FPÖ aus dem rechten Eck zu holen und sie von "Kellernazis" zu befreien. Aus tagebuchartigen Aufzeichnungen des mittlerweile verstorbenen "Aula"-Schriftleiters Herwig Nachtmann, der später mit dem NS-Verbotsgesetz in Konflikt kam, geht hervor, dass die nationalen Kreise sich von Haiders Machtergreifung beim Innsbrucker Parteitag 1986 eine Wiederherstellung ihrer verlorenen Ehre erhofften - die Verteidigung der alten Generation, die "ihrer Überzeugung treu geblieben" war.
Haider gehörte selbst diesem Milieu an, als Sohn eines Ehemaligen und Burschenschafter. Doch hatte er mehr im Sinn, als die Geisteswelt der Altvorderen zu pflegen. Er wollte nicht nur in der FPÖ, sondern auch in der Republik etwas zu reden haben, und dazu brauchte er Wahlerfolge. Mit einer unpolitischen, eher auf Karriere denn auf Grundsätze bedachten Gruppe junger Bewunderer, die dennoch im rechten Fahrwasser schwammen, der sogenannten "Buberlpartie", krempelte er die Partei um und schaffte Parallelstrukturen abseits des traditionellen Parteiapparats. Virtuos beherrschte er die zynische Instrumentalisierung des Rechtsextremismus zum Zwecke der Provokation und des Tabubruchs. Da er selbst ein Spross aus diesem Stamm war, ging seine Doppelstrategie auf: alte und junge Nationale bei der Stange zu halten und dennoch völlig neue Wählerschichten zu gewinnen.
Rechte Gruppe um Strache
Haider stand unter massivem Druck. In den 1980er-Jahren hatten weit rechts stehende Burschenschafter den RFS, die Studentenorganisation der FPÖ, übernommen, darunter etwa Martin Graf, der spätere Dritte Nationalratspräsident, der Abgeordnete Harald Stefan und Arnold Schiefer, der neue Aufsichtsratspräsident der Österreichischen Bundesbahnen. Ein anderer Teil des RFS glitt später in die Neonazi-Szene ab. In der Wiener FPÖ war zu diesem Zeitpunkt eine jüngere, ebenso rechte Gruppe rund um Strache auf dem Vormarsch.
En bloc verließen einige Abgeordnete der FPÖ aufgrund des Anti-Ausländer-Volksbegehrens Anfang 1993 ihre Partei und gründeten mit Heide Schmidt das Liberale Forum.
1995 erteilte Haider der "Deutschtümelei " eine Absage. Das Bekenntnis zur deutschen Volksgemeinschaft wurde aus dem Programm genommen. Als Haider sich Jahre später ernsthaft daran machte, die "Kellernazis" in Schach zu halten, sah er keine andere Möglichkeit, als eine neue Partei zu gründen, das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das heute nur noch auf dem Papier existiert. Gegenüber profil sagte Haider 2006, bis zu seinem Abgang als Parteichef im Jahr 2000 habe er es geschafft, "aus einer Alt-Nazi-Burschenschafterpartei eine Mittelstandspartei zu machen und sie in die Regierung zu führen".
Heinz-Christian Strache trat Haiders FPÖ-Erbe im Jahr 2005 an. Er sah sich als Nachlassverwalter einer Partei, die ihren Idealen untreu geworden war. Zu diesen Grundsätzen - die vom korporierten Flügel immer noch hochgehalten werden - gehört die Ablehnung des antifaschistischen Grundkonsenses der Zweiten Republik, der österreichischen Nation, der uneingeschränkten Bejahung des NS-Verbotsgesetzes, der Sozialpartnerschaft und der Art ihrer Konfliktaustragung.
Fragwürdige Bekanntschaften
Er könne halt nicht so offen reden, wie er wolle, sagten Straches Kameraden in den ersten Jahren seiner Obmannschaft und verwiesen kryptisch auf dessen frühere Beziehungen zu dem 1992 verstorbenen Neonazi und NDP-Gründer Norbert Burger und dessen Familie, auf Straches Bekanntschaft mit dem notorischen Neonazi Gottfried Küssel und die Teilnahme an Wehrsportübungen.
Nie zuvor hatte die FPÖ so viele rechte Burschenschafter und Ideologen in wichtigen Positionen in der Partei und Parlamenten, in der Ministerialbürokratie und staatlichen Institutionen wie heute. Die zum Teil hohen Mitgliedsbeiträge der "Alten Herren" sprudeln. Das Burschenschafterleben, obwohl noch immer eine absolute Randerscheinung der Gesellschaft, scheint zu blühen. Das Bekenntnis zur "deutschen Volks-und Kulturgemeinschaft" ist seit 2011 wieder im FPÖ-Programm verankert. Organisationen wie der Pennälerring, der Dachverband völkischer Schülerverbindungen, Publikationen wie "Zur Zeit" werden seit Jahren mit öffentlichen Mitteln gefördert.
Für Haiders Gegenspieler Steger, der einst von Burschenschaftern gestürzt wurde und 2006 von Strache als einem "Mini-Haider" sprach, "der nicht daran denkt, die FPÖ von rechts wegzuführen", ist heute alles in bester Ordnung. "In der FPÖ gibt es keine Kellernazis mehr", sagte Steger kürzlich in einem "Kurier"-Interview. Man muss ihn sich als einen situationselastischen Menschen vorstellen.