FPÖ-Chats zu ORF: „Wrabetz weg“, „Thür verhindern“, „Gabalier auf Ö3“
Die FPÖ-Führungsriege ist im Frühjahr 2019 sehr unzufrieden. Es sei „schlimmer als je zuvor“ – gemeint ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ORF), über den Harald Vilimsky, Heinz-Christian Strache, Norbert Steger und weitere hochrangige blaue Politiker in einer WhatsApp-Gruppe herziehen. „Unfassbare Propaganda“ sei das, wofür die Österreicherinnen und Österreich Gebühren zahlen müssten.
Die Chats spielen sich zu jener Zeit ab, als die FPÖ Teil der Regierung mit der ÖVP ist. Damals gab es umfassende Sideletter zu Postendeals zwischen Türkis und Blau. Offenbar rechneten sich die Freiheitlichen auch Chancen aus, Vertraute im ORF zu fördern – und kritische Journalisten abzusägen. Darunter ZIB2-Moderator Martin Thür: „Thür verarscht uns auf Twitter”, schreibt Harald Vilimsky.
Ein Jahr davor, im Mai 2018, schickt der nunmehrige EU-Spitzenkandidat der FPÖ, Harald Vilimsky, einen Artikel der Wiener Zeitung in die Gruppe, in der Martin Thür als neuer ZIB2-Moderator gehandelt wird, mit den Worten: „Freund ist der nicht. Und zudem profilierungssüchtig.“ Und der frühere ORF-Stiftungsratschef Norbert Steger schreibt, als es in der Gruppe um Wolfgang Wagner als ORF-Report-Chef geht (laut manchen Blauen eine „Fehlbesetzung“):
Die FPÖ hat indes gleich mehrere Wunschkandidaten für vielerlei Posten: Matthias Schrom, der mittlerweile seine Funktion als ORF-TV-Chefredakteur nach Bekanntwerden seiner Chats mit Heinz-Christian Strache zurückgelegt hat wird in der WhatsApp-Gruppe von Norbert Steger als Chefredakteur gehandelt, auch über den Report wird diskutiert. Wichtiges Kriterium für die Wunschkandidaten: Sie sollten sich im besten Fall „nicht negativ“ gegenüber der FPÖ „benehmen“.
Und noch eine Sache regt die Blauen – vor allem den damaligen Parteichef Strache – auf: Ein vermeintlicher Boykott des Musikers Andreas Gabalier.
Dass die FPÖ in Regierungsverantwortung den ORF umbauen wollte, ist kein Geheimnis. Bereits 2022 berichtete profil über Chats führender FPÖ-Politiker, in denen Strache, Steger und Freunde eine blaue ORF-Reform skizzierten.
Die prominent besetzte blaue ORF-Chatgruppe fand jedoch ein jähes Ende: Am 20. Mai 2019 verließ Norbert Hofer den Chat. Ein Monat später verabschiedete sich auch Norbert Steger. Das Ibiza-Video wurde am 17. Mai 2019 veröffentlicht.
profil hat Heinz-Christian Strache, Harald Vilimsky, Hans Jörg Jenewein und Norbert Steger um Stellungnahmen gebeten, bis Redaktionsschluss allerdings keine Antworten bekommen.
Eine Stellungnahme gibt es indes vom ORF-Redaktionsrat: „Die Chats zeigen ein trauriges Sittenbild, wie wenig politische Parteien - allen voran die FPÖ - von unabhängigem Journalismus halten“, schreibt das Gremium unter Führung von Eco-Moderator Dieter Bornemann. Der ORF solle offenbar von parteigenehmen Leuten geführt oder zusammengestutzt werden, heißt es weiter: „Das war in Zeiten der FPÖ-Regierungsbeteiligung so und das ist auch heute noch so, wie zahlreiche öffentliche Stellungnahmen der FPÖ in letzter Zeit belegen.“ Zudem bedauert der Redaktionsrat, „dass es immer wieder Leute gibt, die sich bei Parteien anbiedern und sich dadurch eine Karriere im ORF erhoffen. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Journalistinnen und Journalisten im ORF, die für kritische, objektive und unabhängige Berichterstattung stehen.“
Auch aus der ORF-Pressestelle heißt es: „Aus den nun veröffentlichten, sechs Jahre alten Chats geht hervor, dass darin primär über ORF-Mitarbeiter:innen gesprochen wird und nicht mit ihnen. Einmal mehr zeigt sich, dass politische Wünsche, die in den Chats geäußert werden, vom ORF nicht erfüllt wurden. Weder solche der Politik noch von einzelnen Mitarbeitern.“
Für Yannick Shetty, Neos-Fraktionschef in den laufenden Untersuchungsausschüssen, zeigen die neuen Chat einmal mehr, dass die Medienpolitik der FPÖ „demokratiegefährdend“ sei. Es gehe den Freiheitlichen nur darum, „blaue Leute in wichtige Positionen zu hieven“ und unliebsame und kritische Journalistinnen und Journalisten „auszumisten“. Das sei „Postenschacher in Reinkultur“, so Shetty.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim verurteilt die „Attacken der FPÖ gegen unabhängige Medien“ in einer Aussendung scharf: „Die FPÖ tritt alles kurz und klein, was nicht in ihr autoritäres Weltbild passt. Demokratie, Menschenrechte, Pressefreiheit – nichts ist vor dem Angriff der Blauen sicher. Die FPÖ plant die Orbanisierung Österreichs und möchte aus unserem Land ein Gefängnis machen“
„Wieder einmal wird offensichtlich: Die FPÖ ist eine Gefahr für die Demokratie in Österreich“, kommentiert die grüne Fraktionschefin Meri Disoski: „Mit dem Ziel, kritische Berichterstattung gegen die eigene Partei zu verhindern, würden die Freiheitlichen am liebsten die gesamte Medienlandschaft kontrollieren.“
Die Stellungnahmen des ORF-Redaktionsrates und der ORF-Pressestelle sowie die Statements der Parteien wurden im Nachhinein ergänzt.