Kommentar

FPÖ-Sieg bei EU-Wahl: Wutprobe gegen das „System“

Erstmals erringt Blau bei einer bundesweiten Wahl Platz 1. Und surft auf dem Zorn vieler Wähler.

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Angekündigte Sensationen finden manchmal statt: Seit eineinhalb Jahren liegen die Freiheitlichen in allen bundesweiten Umfragen in der Pole-Position, deutlich vor der abgehängten Konkurrenz von ÖVP und SPÖ. An diesem denkwürdigen Wahlsonntag wurden die Umfragen Wirklichkeit: Erstmals wurde die FPÖ bei einer bundesweiten Wahl stärkste Partei, wenn auch  unter den erhofften 30 Prozent. Auch ihr Ergebnis war früher schon stärker und bei über 27 Prozent , etwa bei der EU-Wahl 1996, bei den Nationalratswahlen in den Jahren 1999 und 2017. Damals aber waren ÖVP und SPÖ noch wesentlich stärker und verwiesen die FPÖ auf Platz 3. Diesmal schwächelten die ehemaligen Großparteien massiv – der erste Grund für den blauen Durchmarsch.

Der zweite: Wie alle Rechtsparteien quer durch Europa, die mit Slogans wie „Bereit, Italien wieder aufzurichten“ oder „Frankreich kommt zurück“ auf den Spuren des Nostalgie-Erfolgsmodells des Schreihalses Donald Trump, „Make America Great Again“, wandelten, beschwor die FPÖ mit „Es reicht“ die Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit. Die FPÖ trommelt gegen „das System“ und „das Establishment“, wütet gegen Corona-Maßnahmen und ORF, gegen Gendern und Klimaschutz, und verspricht, dass „der Wahnsinn“ aufhört. Ihr Leib-und-Magen-Thema Migration muss sie kaum mehr erwähnen.

Als Rezept für die Zukunft taugen all diese Wut-Anfälle natürlich nicht, mobilisieren aber gerade in Zeiten von Poly-Krisen Emotionen. Rezepte gegen die Krisen, von Teuerung bis Wirtschaftsflaute, haben die rechten Populisten nicht anzubieten – aber den krawalligen Blauen mit ihrem Brutalo-Wahlkampf gelang es, den Zorn der Wählerinnen und Wähler einzusammeln. 

Und das, wohlgemerkt, bei einer Wahl, der für die FPÖ eigentlich traditionell schwieriges Terrain darstellt: Ihre Klientel steht Europa skeptisch bis ablehnend gegenüber und ließ die EU-Wahl bisher im Zweifel eher aus. Daher klingen die Ausreden der schwer abgestraften Konkurrenz, allen voran von ÖVP und SPÖ, dass es sich ja nicht um die Nationalratswahl handle, oder dass die Niederlage weniger schlimm als erwartet ausfiel, überaus schal. Denn anders als ein lautstarkes Warnsignal kann dieses Wahlergebnis nicht gelesen werden.

Für die ÖVP, die nach den Höhenflügen unter Sebastian Kurz nun einen deutlichen Absturz hinnehmen musste. Die ehemals stolze Europapartei führte einen unentschlossenen Wickel-Wackel-Wahlkampf: Er begann mit einem vielsagend-peinlichen „Danke, dass Du Dir das antust“ des ÖVP-Obmanns Karl Nehammer an Spitzenkandidaten Reinhold Lopatka und wurde ein bisschen Poltern gegen Klimaschutz und für Verbrenner-Forever, ein bisschen Motzen gegen EU-Bürokratie – und kein energisches Eintreten für Europa. Mit Populismus-light kann man gegen die FPÖ nicht punkten. Schon gar nicht, wenn der Ärger über die Regierung derart groß ist: Die ÖVP-Grüne Koalition kam gemeinsam nur auf ein kümmerliches Drittel Zustimmung bei den Wählern. So schlecht lag eine Regierung noch nie.

Davon profitierte die SPÖ gar nicht. Der Wunsch nach Veränderung ist massiv, der Frust enorm – doch die größte Oppositionspartei schaffte es nicht, den Zornigen eine Alternative zu bieten. Geschweige denn, eine Rückgewinnungs-Aktion freiheitlicher Wähler einzuläuten. Das hatte Parteichef Andreas Babler eigentlich bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr vollmundig versprochen. Und scheiterte damit bei seiner ersten bundesweiten Wahl hochkant: Die FPÖ feierte einen Sieg, die SPÖ konnte dem nichts entgegensetzen und landet erstmals bei einer Bundeswahl auf Platz 3. Babler geht wie Nehammer angeschlagen in den Nationalratswahlkampf.

Auch die Grünen sind eindeutige Wahlverliererinnen: Sie hätten auch ohne die Chat-Affäre die Enttäuschung ihrer Klientel über die Regierungsbeteiligung zu spüren bekommen – Gossig-Girl Lena Schilling verschlimmerte das Ergebnis weiter. Dafür konnten die Neos am Wahlabend jubeln: Nach etlichen schmerzlichen Dämpfern bei Landtagswahlen  diesmal ein Plus, der beherzte Europa-Wahlkampf zahlte sich aus.

Für alle anderen Parteien ist diese EU-Wahl ein Weckruf: Die FPÖ hat ihre Wutproben abgeliefert und damit gewonnen. Im Herbst bei der Nationalratswahl  geht es dann um den Kanzler. In bester Position dafür: Die FPÖ. 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin