FPÖ: Verrohte Sprache, verrohtes Denken, lange Gesichter
„Imagine“ von John Lennon schmierte vergangenen Freitag am Viktor-Adler-Markt ungut durchs Gehirn: die freiheitliche Begleitband hatte sich der alten Beatles-Utopie angenommen, und prompt beginnt die innere Vorstellung zu arbeiten - „Stell dir vor“ - und man imaginiert ein Wien unter FPÖ-Herrschaft: statt der netten türkischen Kinder, die am Viktor-Adler-Markt herumwuseln, nur noch hasserfüllte FPÖ-Wähler. Ganz Wien ein Stahlbad der schlechten Gefühle. Das Leben als Alptraum…
Was auffällt: die Jugend ist heute nicht mehr bei freiheitlichen Veranstaltungen zu sehen. Besonders beliebt ist der neue, junge Wiener FPÖ-Chef auch nicht. Bei der Aufforderung ans Publikum, Dominik Nepp lautstark zu begrüßen, folgt ein vielsagendes Schweigen.
Die Ausdrucksweise wurde in diesem Wahlkampf verschärft, nach dem Motto: Darf’s a bisserl vulgärer sein? Die neue FPÖ-Führung hat kein Problem damit. Asylanten sollen „in den afrikanischen Kerker und dort ihre Strafe absitzen“, empfiehlt Dominik Nepp ganz cool. Wien sei nicht mehr die Stadt der schönen Häuser, wo die jungen Mäderln gehn’, wie es in einem Wienerlied heißt, sondern „die Stadt der Moscheen, wo die Fraun’ in der Burka stehn’.“ An anderen Stellen wird es brutaler.
Nepp erzielt dennoch kaum Wirkung. Er ist kein talentierter Volksredner - im Gegensatz zu seinem Talent als Talkshowredner - und liefert nur halbwarmes Zeug. Wenn FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl ihn kurz darauf einen ‚Rohdiamanten‘ nennt, der in den Wochen des Wien-Wahlkampf zum ‚echten Diamanten geschliffen‘ worden sei, kann sich das nicht auf seine Reden auf öffentlichen Plätzen beziehen. Da bleibt Nepp kalt und ohne Originalität.
Das Einheizen auf der Straße übernahmen Andere: Verrohte Sprache, verrohtes Denken, aggressive Ausländerfeindlichkeit und Corona-Verschwörungen. Nun sehe man schon „muslimische Männer, die einen Gesichtsschleier tragen“, sagte Parteichef Norbert Hofer, und das Publikum tobte vor Vergnügen. Die Grüne Birgit Hebein solle doch „ihre Wohnungstür öffnen und alle hereinlassen“, sie werde schon sehen, was dann geschehe, wurde gehöhnt. Herbert Kickl, der solcherart die Phantasie seiner Zuhörer aufreizte und die, die da kommen würden zuvor als „Messerstecher, Vergewaltiger und Raubmörder“ eingeführt hatte, war einmal Innenminister der Republik Österreich. Gesundheitsminister Rudolf Anschober verhöhnt er als „Burn-out-Politiker“.
In diesem Wahlkampf wurden Grenzen überschritten, aber es ist kaum aufgefallen. Auch deshalb, weil FPÖ und Liste HC-Strache die einzigen waren, die richtige Versammlungen abhielten. Sie fühlten sich – wie US-Präsident Donald Trump - über die Corona-Gefahr erhaben. Trotz hoher Infektionszahlen: kein Abstand, keine Maske. Dass beim FPÖ-Finale am Viktor-Adler-Markt die Polizei nicht einschritt, die Veranstaltung nicht behördlich aufgelöst wurde, liegt vermutlich daran, dass man zwei Tage vor der Wahl keinen Wirbel machen, der FPÖ nicht Gelegenheit geben wollte, sich als Opfer darzustellen.
Das Selbstverständnis ein Opfer der jeweiligen Verhältnisse zu sein, ist den Freiheitlichen tief eingeschrieben. Schon bei ihrer Gründung vor 60 Jahren gerierten sie sich als Opfer der NS-Verbotsgesetze, als Opfer der NS-Registrierung, als Opfer des Establishments. Mit dem Opfermythos befanden sich die Freiheitlichen freilich in Einklang mit dem staatlichen Nachkriegsmythos: Österreich sei erstes Opfer Hitlers gewesen. Und das erklärt vielleicht auch den besonderen Erfolg der radikalen Rechten in Österreich. Die Anschlussstelle: sich als Opfer fühlen können.
Doch diese Erfolgstory ist jetzt unterbrochen, die Grenzüberschreitung ausgereizt. Im Jahr 2015, am Höhepunkt der offenen Grenzen und der Flüchtlinge, die aus Ungarn kommend durch Österreich reisten, kam die FPÖ in Wien auf 31 Prozent. Heute hat sie zwei Drittel ihrer Wähler verloren. Einen kleinen Teil davon auch an ihren einstigen Vorsitzenden Heinz Christian Strache, der freilich selbst über das Ibiza-Video und noch mehr über seinen Spesenskandal gestolpert ist.
Am Viktor-Adler-Markt am vergangenen Freitag standen wie immer protestierende junge Menschen am Rande der Absperrung. Sie schrien den FPÖ-Führern entgegen: „Eure Kinder werden so werden wie wir, so denken wie wir, so wählen wie wir!“
Sie scheinen recht zu bekommen. Vorerst.