Herbert Kickl (FPÖ) am Sonntag, 29. September 2024, anlässlich der FPÖ Wahlparty im Rahmen der Nationalratswahl in Wien.
Reportage

Red Bull und „germanisches Blut“

Bei den Nationalratswahlen hat die FPÖ erstmals den ersten Platz geholt. Gefeiert wurde in der Stiegl-Ambulanz – mit Identitären und Verschwörungstheoretikern.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Ein Gast der FPÖ-Wahlparty ist extra sechs Stunden mit dem Motorrad aus Lindau angereist und sichtlich unzufrieden. Zum einen wissen mehrere der anwesenden Journalistinnen und Journalisten nicht genau, wo Lindau überhaupt liegt – „am Bodensee, eine Bildungslücke“ – zum anderen hat er sich von diesem Abend irgendwie mehr erwartet. „Ich bin ich ein wenig enttäuscht über das Ergebnis. Eigentlich habe ich auf 33 Prozent gehofft“, sagt er. Er trägt Trachtenhut und AfD-Schlüsselanhänger, zeigt stolz seinen Partei-Mitgliedsausweis. Warum er auch die Freiheitlichen in Österreich gut findet? Er mache sich Sorgen wegen der Migration und um das „germanische Blut“.

Der 62-Jährige ist einer der ersten bei der FPÖ-Wahlparty. Ab 15:30 hat man in die Stiegl-Ambulanz, einem Bierlokal in Wien Alsergrund, geladen. Schanigarten-Flair, graue Garten-Lounge-Sofas, Krautfleckerl und Bratwürste. In der Mitte befindet sich die „Salzburg Land Alm“, eine Holzhütte in Après-Ski-Optik, etwas davor hat man eine provisorische Bühne aufgebaut. Auf der LED-Videowall leuchtet groß „Danke Österreich“, die Eingangstüre zur „Alm“ wird von einem Security Mitarbeiter bewacht, „geschlossene Gesellschaft“, hier feiern heute Abend die blauen VIPs. 

Für rund 800 Personen ist reserviert, wirklich voll wird es allerdings den ganzen Abend nicht. In einer Sitznische hat sich eine Gruppe älterer Damen und Herren inklusive Dackel niedergelassen, keine zehn Meter weiter sitzt eine Gruppe Jugendlicher, allesamt Erstwähler um die sechzehn Jahre und aus Wiener Randbezirken. „Es war klar, dass ich die FPÖ wähle. Meine ganze Familie wählt FPÖ“, sagt einer, „Ein Freund hat uns heute eingeladen, damit wir uns das einmal anschauen können. Jetzt sind wir da.“ 

Es ist ihre erste Wahlparty. Viele junge Menschen sind in die Stiegl-Ambulanz gekommen, vorrangig Männer, einige mit grauen Fleecejacken und Österreich-Adlern am Rücken, andere in Lederhosen. Unter den Gästen befindet sich auch das Gesicht der österreichischen Corona-Demonstrationen, Verschwörungstheoretiker Martin Rutter. Seine politische Karriere begann ursprünglich bei den Grünen, später wechselte er zum BZÖ Kärnten und saß bis 2017 für das Team Stronach im Kärntner Landtag. Heute verbreiten seine Online-Plattformen die wirrsten Verschwörungstheorien: Chemtrails, Weltdiktatur, „gesteuerte Massenmigration“. Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), der sich in der Vergangenheit ausführlich mit den Corona-Maßnahmenkritikern beschäftigt hat, sagt: „Bei Rutter stehen die Verschwörungstheorien im Vordergrund, jedenfalls stärker als eine klare Ideologie. Was sich durchzieht, sind die Warnungen vor bösen Hintergrundmächten und deren vermeintlichen Plänen.“

Dazu passend findet man im Partygeschehen auch Mitglieder der „Identitären Bewegung“. Unter ihnen sind beispielsweise jene Personen, die bei einer Wahlkampfveranstaltung der FPÖ ein Kamerateam von Puls24 angegriffen haben. Die Identitären sind laut dem österreichischen Verfassungsschutz eine rechtsextreme Gruppierung, seit 2021 sind ihre Symbole verboten. Kickl hat den Parteikurs im Umgang mit den Rechtsextremisten stark verändert und die vorherrschende Abgrenzung ad acta gelegt. In einem Interview bezeichnete er die „Identitären Bewegung“ als „NGO von rechts“ und „unterstützenswertes Projekt“.

Dazu kommt: Am Tag nach der Wahlfeier tauchen Selfies auf, auf denen ein „Identitärer“ neben Herbert Kickl das „White Power“-Symbol in die Kamera zeigt. Dabei formt seine rechte Hand mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, die restlichen Finger sind abgespreizt. In vielen Ländern kennt man die Geste als „alles okay“, allerdings wird das Zeichen seit 2017 auch in einem anderen Kontext verwendet: Die drei abgespreizten Finger bilden den Buchstaben „W“, der Kreis aus Zeigefinger und Daumen ein „P“ – „White Power“.

Um kurz vor neun – vor der „Salzburg Land Alm“ stapeln sich schon mehrere Red Bull-Flaschen, man hört einen Remix von Whitney Houstons „I Wanna Dance With Somebody“ und „We Found Love“ von Rihanna – heißt es: „Jetzt ist er dann gleich da!“ Auf der Bühne bringt sich die FPÖ-Jugend mit „Danke“-Schildern und Österreich-Fahnen in Stellung, unter den Kameraleuten herrscht Gedränge. Alle sind da: Von Leo Lugner über Sebastian-Kurz-Friseur und „Forsthaus Rampensau“-Teilnehmer Josef Winkler bis hin zum EU-Abgeordneten Harald Vilimsky. Statt den gewohnten „Österreich, Österreich, Österreich“-Sprechchören ruft man im Wahlkampf heuer allerdings „Herbert, Herbert, Herbert“. 

Generalsekretäre Christian Hafenecker (l.) und Michael Schnedlitz

Nach der Rede von Herbert Kickl ist der „medienöffentliche Teil der Wahlfeier“ beendet. Schon am Eingang hat man den akkreditierten Journalistinnen und Journalisten einen Zettel in die Hand gedrückt: Man ersuche die Presse, ein paar grundsätzliche Regel einzuhalten, unter anderem ist nach Kickls Auftritt Schluss mit der Berichterstattung. „Wir danken Ihnen dafür, dass Sie zu diesem Zeitpunkt die Arbeit einstellen und die FPÖ-Wahlfeier verlassen.“ 

Eine Gruppe junger Männer wird das besonders gefreut haben. Nachdem sie „Wir schieben Andi Babler ab“ skandiert haben, wollen sie nicht mit profil sprechen. Warum nicht? „Wenn ich Ihnen das jetzt erklären würde, dann würde ich ja mit Ihnen sprechen.“ Aber keine Sorge: Man rede auch nicht mit dem „Standard“ oder der „Presse“.

Na dann. 

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.