FPÖ-Wahlprogramm: Festungsartiges Österreich
Norbert Nemeth war noch nicht auf Urlaub. Der FPÖ-Klubdirektor hatte Wichtiges zu tun. Aus einer Fülle von Papieren diverser Arbeitsgruppen stellte er über den Sommer das Wahlprogramm der FPÖ zusammen. Das Schlusslektorat dauerte zweieinhalb Monate. Am Mittwoch wurde das 114 Seiten starke Programm von FPÖ-Obmann Herbert Kickl im Wiener Palmenhaus präsentiert. Das Werk besticht durch inhaltliche Üppigkeit: Der erste Punkt betrifft den „Ausbau der direkten Demokratie“, der letzte „Schutz und Erhaltung des Gebrauchshundesports“. Der Titel des Programms lautet „Festung Österreich, Festung der Freiheit“. Die Burgen-Metapher ist nicht neu, sondern wird von Kickl seit 2022 recycelt.
Denn der FPÖ-Chef glaubt an den Wiedererkennungswert in der politischen Kommunikation. Daher schauen die FPÖ-Plakate der vergangenen 20 Jahre, die Kickl als Wahlkampfmanager verantwortete, nahezu gleich aus. Heuer ist er zum ersten Mal Wahlkampfmanager und Spitzenkandidat in Personalunion. Die Programm-Präsentation nützte er denn auch zur Selbsterhöhung im Futur exakt: Wenn die Bürger dereinst auf die Jahre unter einem FPÖ-Kanzler zurückblicken, wird es eine gute Zeit gewesen sein, in der sie sich „geborgen“ fühlten, auf der „Insel der Seligen, der Glücklichen“. Ob Österreich jetzt Festung oder Insel, Festungsinsel oder Inselfestung ist, wird Kickl im Wahlkampf noch ausführen können.
Ringvorlesung aus Soziologie
Das Wahlprogramm hat Kickl eher intellektuell angelegt, mit vier Großkapiteln wie aus einer Ringvorlesung im Studienfach Soziologie: „Individualität“, „Souveränität“, „Homogenität“ und „Solidarität“. Zumindest die Mitglieder im Freiheitlichen Akademikerverband werden mit dieser Begrifflichkeit etwas anfangen können.
Unter „Individualität“ versteht Kickls Programm unter vielem anderen die Abschaffung der ORF-Haushaltsabgabe, die „vollständige Rückzahlung von Corona-Strafen“, „Schutz der Bargeldnutzung“, „Meinungsvielfalt statt Political Correctness“ und „Null Toleranz gegenüber Drogen“.
„Souveränität“ bedeutet etwa die Ablehnung internationaler Gesundheitsvorschriften, „Vernunft statt Kriegstreiberei im Interesse fremder Mächte“, „Wirtschaftspatriotismus“ und „Umweltschutz in Eigenverantwortung statt grüner Verbotswahn“.
Unter „Homogenität“ finden sich subsumiert die freiheitlichen Standpunkte zu Migration, Asyl und „Woke-Wahnsinn“, aber auch Forderungen wie „Können fördern statt Staatskünstler subventionieren“. Insgesamt, so der FPÖ-Befund, leide die „Homogenität“ des „Staatswesens“ an der „Multikulti“-Gesellschaft. So nah an das historisch belastete Konzept der so genannten Volksgemeinschaft hat sich die FPÖ noch nie herangetastet.
Unter „Solidarität“ fordern die Freiheitlichen abschließend Maßnahmen etwa in der medizinischen Versorgung oder bei der Pflege, wie sie auch SPÖ-Pensionistenverband und ÖVP-Seniorenbund aufstellen. In der blauen Welt bedeutet „Solidarität“ aber auch, vertraglich festgelegte EU-Beiträge nur dann abzuführen, „wenn die EU ihre Aufgaben erfüllt“.
Das FPÖ-Programm für die Wahl am 29. September bedient sich aus dem Besten der bisherigen blauen Welten. Im Wahljahr 2024 will die FPÖ nicht nur „soziale Heimatpartei“ – ein Begriff, den Kickl prägte – sein, sondern wie einst auch Wirtschaftspartei und wie zu Zeiten Jörg Haiders eine Volkspartei, die Menschen aller Klassen und Gruppen anspricht – solange sie die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Und Herbert Kickl will, wie er bei der Präsentation des Programms sagte, als Kanzler „wie ein guter Familienvater“ sein – wobei ihm seine Familie derzeit noch zu inhomogen zu sein scheint.