FPÖ: Welches Team Herbert Kickl ins Kanzleramt bringen soll
Von Gernot Bauer
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Dass er in der FPÖ-Oberösterreich der Chef, ansonsten aber die Nummer 2 ist, daran hat sich Manfred Haimbuchner, 45, gewöhnt. In der Landesregierung ist er der Stellvertreter von Landeshauptmann Thomas Stelzer, ÖVP, in der Bundes-FPÖ Stellvertreter von Parteichef Herbert Kickl.
Wer Erster und wer Zweiter ist, wurde auch beim Politischen Aschermittwoch der FPÖ in der Jahnturnhalle in Ried im Innkreis deutlich. Manfred Haimbuchner bestritt das Vorprogramm zum Aufwärmen. Den Einheizer gab dann der Chef im Hauptakt. Herbert Kickl – nicht ganz so on fire wie normalerweise – bot seinem Publikum ein Best-of seiner Gags, etwa dass es sich bei den anderen Parteien um einen politischen „Swingerclub“ handle.
Seit er sich im Juni 2021 zum FPÖ-Chef trickste, hat Kickl den Alleinvertretungsanspruch für die Partei nach außen. Diese Exklusivität gab es nicht immer. Neben dem früheren Parteiobmann Heinz-Christian Strache durfte sich auch Norbert Hofer entfalten. Nun aber spielt Kickl solo – und Hofer, der Dritte Nationalratspräsident, keine Rolle mehr.
Allerdings hat Kickl eine kleine, aber treue Riege versammelt, die ein Ziel eint: die FPÖ bei der Nationalratswahl, die wohl am 29. September stattfinden wird, zur stärksten Partei zu machen. Wer sind diese wenigen Männer und noch weniger Frauen, denen es gelungen ist, das Vertrauen des argwöhnischen Parteichefs zu gewinnen? Und welche Rolle spielen sie im Drehbuch zur Eroberung des Kanzleramts?
Reinhard Teufel: Der Bauernschlaue
18. Oktober 2023, Vormittag: Im Parlament in Wien tagt der Nationalrat. Präsident Wolfgang Sobotka bittet die Abgeordneten, sich zur Gedenkminute für die Opfer des Terrorüberfalls der Hamas auf Israel elf Tage zuvor zu erheben. Ein prominenter Abgeordneter fehlt: Herbert Kickl. Während man drinnen der Ermordeten gedenkt, unterhält sich der FPÖ-Klubobmann vor dem Plenarsaal seelenruhig mit seinem wichtigsten Vertrauten: Reinhard Teufel. Der 44-jährige Niederösterreicher war Kickls Kabinettschef im Innenministerium. Seit 2019 ist er dessen Büroleiter im FPÖ-Klub. Im Zivilberuf führt er als Nebenerwerbslandwirt einen Bauernhof in Lackenhof im Bezirk Scheibbs.
Daneben findet er genug Zeit für eigenes politisches Engagement. 2018 wurde er Abgeordneter zum niederösterreichischen Landtag. Als Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, ÖVP, im März vergangenen Jahres ein Koalitionsabkommen mit der FPÖ schloss, stieg Teufel zum Klubobmann auf.
In der Volkspartei schätzen sie ihn. Teufel gilt als professioneller Partner – und als Controller der FPÖ-NÖ-Truppe unter Landesparteiobmann und Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer. Auch Kickl steuerte einst als Generalsekretär seinen Chef Strache. Der Unterschied: Kickls Welt war und ist die politische Kommunikation, Teufel liegt die Sachpolitik. Aber er ist auch Ideologe. Die Förderung von E-Autos lehnt er kategorisch ab. Vom Gendern hält er wenig. Seinen Parteichef Udo Landbauer redet er öffentlich als „Landeshauptmann-Stellvertreter“ an. Aufmerksamkeit erlangte Teufel durch frühere Kontakte mit Identitären-Gründer Martin Sellner.
Als Alter Herr der Innsbrucker Burschenschaft Brixia hält Teufel für Kickl Kontakte ins korporierte Lager, das im FPÖ-Klub zwölf der 30 Abgeordneten stellt, vom Parteichef aber nicht gerade gepflegt wird. Den Akademikerball der Verbindungen besuchte Kickl auch heuer nicht. Wie der FPÖ-Obmann verweigert sich auch Reinhard Teufel trotz seines hohen politischen Amts der Öffentlichkeit. Interviews gibt er nur selten.
Man kann Teufel als heimliche Nummer 2 der FPÖ sehen. Wird Kickl Kanzler, wird Teufel Minister.
Norbert Nemeth: Der dichtende Direktor
Im Jänner 2022 war Norbert Nemeth, Direktor des FPÖ-Parlamentsklubs, vor die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geladen – als Zeuge. Die Staatsanwälte befragten ihn zu den mutmaßlichen Falschaussagen von Sebastian Kurz vor dem Untersuchungsausschuss im Parlament. Mittlerweile steht Kurz deswegen vor Gericht. Geklärt werden soll, wie sehr der frühere Kanzler Einfluss auf Postenvergaben im staatlichen Bereich, etwa bei der Bestellung von Aufsichtsrat und Geschäftsführung der Beteiligungsholding ÖBAG, nahm.
Im Zuge seiner Aussage übergab Nemeth den Staatsanwälten brisante Dokumente, die – wie profil im Jänner 2022 berichtete – seit Ende 2017 im Tresor des FPÖ-Parlamentsklubs versperrt gewesen waren. Darunter befand sich eine geheime Vereinbarung aus den türkis-blauen Regierungsverhandlungen, in der ÖVP und FPÖ die Vergabe von Ämtern und Spitzenposten in Gerichten, Nationalbank, Asfinag, ÖBB und anderen staatlichen Einrichtungen fixierten.
Nemeth, 55, war Teil des FPÖ-Verhandlungsteams. Klubobfrauen und Klubobmänner sind die politischen CEOs einer Parlamentsfraktion, die Klubdirektoren deren zivile Operating Officers mit breiter Sachkenntnis, denen auch die Lenkung der Abgeordnetenschar obliegt. Klubobleute kommen und gehen, Klubdirektoren bleiben, wie Nemeth, der seit 2006 im Amt ist.
Die Vorbereitungen auf eine weitere Regierungsbeteiligung sind in der FPÖ längst angelaufen. Norbert Nemeth ist für die Erarbeitung inhaltlicher Konzepte verantwortlich, mit denen Kickl in Koalitionsverhandlungen gehen wird. In die angewandte Politik zog es Nemeth nie. Bei der Nationalratswahl 2017 hatte er auf der FPÖ-Bundesliste kandidiert, auf das errungene Mandat aber verzichtet, um – besser bezahlter – Klubdirektor bleiben zu können.
Der Klubdirektor ist ein Vertreter der früheren Honoratioren-FPÖ: Jurist im Dreiteiler, Manschetten, schnöselig-intellektueller Habitus. Als seine Schwächen bezeichnet er in einem Fragebogen auf der FPÖ-Website „Zigarren und Whiskey“. Sein persönliches Credo lautet: „Erst der aussichtslose Kampf gegen die Revolution konstituiert den Mann als Mann.“
In seiner Freizeit schreibt Nemeth historische Romane mit Titeln wie „Im Schatten des Gracchus“, „Die Karlsbadverschwörung“ oder „Hartmut gegen Ahrimann“. Dazu ist er Alter Herr der Wiener Burschenschaft Olympia. Von der Mensur habe er viel gelernt, sagt Nemeth. Nämlich: „Dass man sich unüberwindlich scheinenden Aufgaben schlicht und einfach stellen muss.“
Dagmar Belakowitsch: Die Aggro-Medizinerin
Es gelingt nicht vielen Politikerinnen und Politikern in der FPÖ, noch radikaler zu formulieren als ihr Parteichef. Dagmar Belakowitsch ist eine von ihnen. Bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen im Dezember 2021 in Wien behauptete die Nationalratsabgeordnete, es seien „nicht die bösen Ungeimpften“, die die Spitäler füllen: „Oh nein, das sind ganz viele Geimpfte, die aufgrund eines Impfschadens behandelt werden müssen.“ Selbst Herbert Kickl nannte die Aussage von Belakowitsch – im Zivilberuf Medizinerin – „verunglückt“. Sie sei „aus der Emotion heraus geschehen“.
Im Oktober 2006 waren sowohl Kickl als auch die Wienerin Belakowitsch erstmals in den Nationalrat eingezogen. Nach seiner Entlassung als Innenminister und der Neuwahl 2019 übernahm Kickl den Vorsitz im FPÖ-Klub. Während der Pandemie wurde Belakowitsch zu Kickls Frau fürs Fortissimo. In einer Parlamentsrede zu den Corona-Maßnahmen im Jänner 2019 rief sie ins Plenum: „Niemals haben wir uns damit abzufinden, dass Gesetze uns in unserem Handeln behindern!“ Es kommt nicht oft vor, dass ein Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft dazu aufruft, Gesetze zu ignorieren.
Kickl wiederum unterstützte Belakowitsch in ihrem Bestreben, die Wiener FPÖ zu übernehmen. Doch der Versuch, Landesparteichef Dominik Nepp nach der verlorenen Landtagswahl im Oktober 2020 aus dem Amt zu drängen, misslang. Seitdem ist das Verhältnis von Nepp zu Kickl eingetrübt. Angesichts der Möglichkeit auf Platz 1 im Bund zeigen aber auch die Wiener Blauen Loyalität und verhalten sich diszipliniert.
Zu Kickls Mitstreitern zählen nicht viele Frauen. Neben Belakowitsch schätzt er die oberösterreichische Abgeordnete Susanne Fürst. Diese hätte nach dem Willen ihres Obmanns im Jahr 2022 Bundespräsidentschaftskandidatin werden sollen, weigerte sich aber hartnäckig, sodass FPÖ-Volksanwalt Walter Rosenkranz ranmusste. Wie Belakowitsch in Wien ist auch Fürst in ihrer eigenen Landespartei nicht mehr wohlgelitten.
Die Salzburger Parteiobfrau und Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek genießt Kickls Vertrauen, gehört aber nicht zum engsten Kreis. Als Kickl sich 2021 anschickte, Norbert Hofer aus dem Parteivorsitz zu drängen, war Svazek eine der Ersten unter den Landesparteivorsitzenden, die sich öffentlich für ihn als neuen Parteiobmann aussprachen.
Als eine der wenigen Spitzenfunktionäre wagt sie es nun, dem Parteiobmann öffentlich zu widersprechen. Gegen Kickls ausdrücklichen Willen befürwortete sie eine Erhöhung der Politikergehälter im Land Salzburg. Dennoch gilt sie als Ministerkandidatin im Falle einer blauen Regierungsbeteiligung.
Auch Dagmar Belakowitsch wird intern für höhere Ämter gehandelt. Im Falle eines Wahlsieges, so ist aus der FPÖ zu hören, würde Kickl seine Vertraute als Nationalratspräsidentin vorschlagen – und nicht den derzeitigen Dritten Präsidenten Norbert Hofer.
Harald Stefan: Der Parteinotar
Dass der Abgeordnete Harald Stefan für kurze Zeit ihr Bundesparteiobmann war, ist wohl nicht einmal allen FPÖ-Spitzenfunktionären bewusst.
Am 1. Juni 2021 um 16.12 Uhr erklärte Norbert Hofer – nach wochenlangem Mobbing durch Herbert Kickl – seinen Rücktritt als FPÖ-Obmann. Statutengemäß übernahm der an Jahren älteste Stellvertreter die interimistische Parteiführung: Harald Stefan, Jahrgang 1965, Notar mit Kanzlei in der Wiener Innenstadt. Stefan ist ein Mann im Hintergrund, der sich weder seinem Parteichef noch der Öffentlichkeit aufdrängt. Er sitzt seit 2008 im Nationalrat und ist dort einer der zentralen Mandatare. Zuvor war er Gemeinderat in Wien. Erste politische Erfahrungen sammelte er als blauer Studentenvertreter in der Hochschülerschaft. Wiederholt wurde – und wird – er als möglicher FPÖ-Justizminister gehandelt. Auch Stefan ist vom Burschenschafter-Milieu geprägt. Aus seiner Verbindung, der Wiener Olympia, ist er allerdings ausgetreten.
Stefan ist einer der Abgeordneten, die eine Krawallpartei wie die FPÖ dringend braucht, weil er zeigt, dass die Freiheitlichen auch eine zivilisierte Seite haben. Lädt die Industriellenvereinigung zu Empfängen in ihren Festsaal am Wiener Schwarzenbergplatz, ist es Stefan, der die oppositionellen Freiheitlichen vertritt. Für die FPÖ hält er auch Kontakte zu Justizkreisen und ist Kickls Fürsprecher in der Wiener Landespartei.
Unter den stellvertretenden Bundesparteiobleuten der FPÖ ist Harald Stefan der einzige, der nicht Obmann einer Landespartei ist. Sollte Herbert Kickl eines Tages überraschend zurücktreten, wäre er wieder Interimschef.
Christian Hafenecker: Der Wunschkanzlermacher
Die FPÖ-NÖ ist die vielleicht radikalste Landespartei – und erfreut sich der besonderen Wertschätzung ihres Parteiobmanns. Herbert Kickl lebt in Purkersdorf. Bei der Nationalratswahl 2019 kandidierte er nicht nur auf der blauen Bundesliste, sondern auch auf Platz 1 der niederösterreichischen Landesliste. Auf dem zweiten Platz war Christian Hafenecker, Jahrgang 1980, aus Kaumberg im Bezirk Lilienfeld.
Hafenecker hatte schon einige Ämter inne: Gemeinderat, Landesobmann-Stellvertreter der FPÖ-Jugend, Bezirksparteiobmann in Lilienfeld, Mitglied des Parteivorstandes der FPÖ-NÖ, Landtagsabgeordneter, Landesparteisekretär, Bundesrat, Abgeordneter. Hafenecker ist also Berufspolitiker und damit Nutznießer jenes „Systems“, das seine Partei so gern kritisiert.
Im Jahr 2018 wurde er Generalsekretär und versuchte ab Mai 2019 zu erklären, warum das Ibiza-Video kein blauer Skandal, sondern „ein politisches Attentat auf die FPÖ“ (Heinz-Christian Strache) war. Parteichef Norbert Hofer ließ ihn schließlich fallen. Kickl machte ihn im Jänner 2023 wieder zum Generalsekretär. Meriten erwarb sich Hafenecker in den Untersuchungsausschüssen, in denen es ihm tatsächlich gelang, das Ibiza-Video vom blauen zum rein schwarzen Skandal umzudeuten.
In Gefolgschaft zu Kickl positioniert Hafenecker die FPÖ noch weiter rechts. Die rechtsextremen Identitären bezeichnet er als „Patrioten“. Hafenecker ist Burschenschafter. Er besuchte das Militärgymnasium Wiener Neustadt, wo auch der zweite FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz und Landesparteiobmann Udo Landbauer zur Schule gingen.
Hafenecker, gelernter Landmaschinentechniker, stammt aus schwarzem Elternhaus. Bei seiner ersten Gemeinderatswahl in Kaumberg trat er laut einem Bericht der „Oberösterreichischen Nachrichten“ gegen seinen Großvater und seine Mutter an, die für die ÖVP kandidierten. Nur er schaffte ein Mandat.
Als Generalsekretär ist Hafeneckers Hauptbetätigung die Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit und politischen Mitbewerbern. Seine Rauflust und Scharfzüngigkeit reichen durchaus an Herbert Kickls Niveau heran. Bei den Koalitionsgesprächen mit der ÖVP 2017 verhandelte er den Bereich Verkehr. Seitdem gilt er als blaue Ministerreserve.
Ob sein Wunschkanzler Kickl wirklich Regierungschef wird, hängt auch von Hafenecker ab. Mit Schnedlitz ist er für den Wahlkampf im Herbst verantwortlich, wobei alle wesentlichen und wohl auch unwesentlichen Entscheidungen vom Chef persönlich getroffen werden.
Am Ende verlässt sich ein argwöhnischer Charakter wie Herbert Kickl vor allem auf sich selbst.
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.