Die FPÖ und ihr geheimes Werben um türkische Wähler
Die Wiener FPÖ versucht eine heikle Annäherung an die türkischstämmige Community – möglichst unbemerkt von der österreichischen Öffentlichkeit und der blauen Stammwählerschaft. Kritik kommt unter anderem von rechtsextremer Seite.
Alles begann an der Wiener Neustädter Grazer Straße, einer fünfspurigen Fahrbahn mit schmalen Gehsteigen, keine fünf Gehminuten vom Hauptplatz entfernt. Im Gebäude mit der Hausnummer 83 führt Mehmet Özay seit 2017 seinen Laden für Goldankauf; hier hat der Geschäftsmann knapp vor der letzten Nationalratswahl auf den Rollläden seines Geschäfts das Konterfei des FPÖ-Spitzenkandidaten Herbert Kickl anbringen lassen; hier nahm FPÖ-TV sogleich ein Interview mit Özay auf, um es unter dem Titel: „Türkischer Migrant spricht Klartext“ zu veröffentlichen: „Geben wir doch dem Herbert Kickl eine Chance“, sagt Özay darin, schwarzes Hemd, Dreitagesbart. Und: „Verändern wir die Geschichte in Österreich.“ Mittlerweile sind fünf Monate ins Land gezogen, und Mehmet Özay schreibt nun selbst Geschichte: Aus dem türkischstämmigen FPÖ-Sympathisanten Özay, Jahrgang 1983, wurde der erste türkischstämmige FPÖ-Kandidat, der für die Wiener Freiheitlichen antritt.
Özay ist zwar nicht österreichweit der erste Türkischstämmige, den die Blauen je aufgestellt hätten. Dennoch ist er ein politischer Pionier. Denn dem Türken-Ressentiment frönte gerade die Wiener FPÖ jahrelang und mit Leidenschaft. Stefan Petzner, einst BZÖ-Politiker und ehemaliger Sekretär Jörg Haiders, meldete sich am Donnerstag mit einer Instagram-Story zu Wort. Darin verwies er auf die profil-Recherchen und betonte einen Unterschied zwischen steuerzahlenden Türkinnen und Türken und jenen, die „nix tun“. Eine Unterscheidung, die laut Petzner schon unter Haider gegolten habe. Tatsächlich sorgte Haider 2004 für Aufruhr in der eigenen Partei, als er – obwohl er öffentlich immer wieder gegen Türken wetterte – plötzlich den EU-Beitritt der Türkei befürwortete. Der blaue Parteiapparat tobte. Einer der lautesten Kritiker war Wiens FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der damals klarstellte: „Ich will die Österreicher vertreten. Die Türkei ist ein asiatisches Land und hat in der EU nichts verloren.“
Im Wien-Wahlkampf 2010 beispielsweise sagte der spätere Vizekanzler und damalige blaue Spitzenkandidat Strache, Wien hätte kein Ausländerproblem, sondern „ein Türkenproblem“. 15 Jahre später sagt Strache: „Das, was jetzt in der Wiener FPÖ passiert, hat nichts mehr mit der FPÖ zu tun, wie ich sie kannte. Die Nepp- FPÖ hat sich auf die Spuren der SPÖ begeben und biedert sich nun radikalislamischen Vereinen an.“ Straches Kritik an der Wiener FPÖ, für die er 2015 das historisch beste Wahlergebnis erzielte, ist nicht unbedingt ungewöhnlich. Nach der Ibiza-Affäre 2019 hat die FPÖ ihn ausgeschlossen. Mittlerweile ist Strache direkte politische Konkurrenz der FPÖ, bei der Wien-Wahl am 27. April kandidiert er mit eigener Liste. Hohn kommt jedoch nicht nur vom abtrünnigen Strache, sondern auch von den rechtsextremen Identitären. Zumindest ihrer Unterstützung konnte sich die FPÖ bisher sicher sein. Deren Proponent Martin Sellner griff die Blauen nun in einem Telegram-Video für die „Packelei mit dem politischen Islam“ an.
Die Kritik trifft einen wunden Punkt bei der FPÖ, wie deren Reaktionen zeigen. Wiener Neustadt, Grazer Straße 83, Mittwochvormittag. Die Rollläden von Özays Goldgeschäft sind heruntergelassen. Özay ist für profil nicht zu sprechen, mehrere Versuche, ein Treffen zu arrangieren, scheitern. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp will ebenfalls keine Auskunft geben. Vergangene Woche veröffentlichte profil exklusiv ein Foto von Leo Lugner, das ihn beim kürzlichen Fastenbrechen im türkischen Moscheeverein Atib zeigt; jener islamischen Organisation, welche die FPÖ vor Kurzem noch verbieten wollte. Leo Lugner ist nicht nur Schwiegersohn des verstorbenen Bauunternehmers Richard Lugner, dem das Einkaufszentrum Lugner City in 15. Wiener Gemeindebezirk gehörte. Leo Lugner ist zugleich auch Sprecher der FPÖ Wien und damit eine blaue Schlüsselfigur im aktuellen Wahlkampf.
profil berichtete ebenfalls exklusiv über Wahlwerbung der FPÖ, die in türkischer Sprache in türkischsprachigen Wiener Medien erschienen ist – etwas, wofür die FPÖ die SPÖ stets kritisiert hatte. profil berichtete ebenso über einen Pressetermin im Wiener Rathaus, bei dem Dominik Nepp gemeinsam mit Özay auftrat. Wie sehr die FPÖ die Türkischstämmigen umwirbt, zeigte sich hier auf bemerkenswerte Weise: Sie sucht die Nähe zur Community, jedoch möglichst an der breiten österreichischen Öffentlichkeit vorbei. Beim FPÖ-Medientreffen im Wiener Rathaus vergangenen Donnerstag ließen die Blauen nur türkischsprachige Medien zu – deutschsprachige Medien mussten bei diesem Termin draußen bleiben. Die Tageszeitung „Die Presse“ wurde bereits im Vorfeld ausgeladen, profil wurde vor Ort mitgeteilt, dass es nicht erwünscht sei. Und: Die FPÖ putzte sich im Nachhinein ab und behauptete, sie selbst hätte gar nicht zu diesem Termin geladen. Vielmehr hätten die Vertreter der türkischsprachigen Medien in Wien ihrerseits um das Treffen gebeten.
Stimmt nicht, sagen gleich zwei Personen, die dort zugegen waren: Mustafa Delice, Chefredakteur des Magazins „Brücke“, Kandidat für die Freiheitliche Wirtschaft bei den Wirtschaftskammerwahlen, und Hüseyin Taș, laut eigenen Angaben Journalist für das türkischsprachige Medium „Avusturya Rehber“. Auf seinem Facebook-Profilbild posiert er mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Delice und Taș bestätigen gegenüber profil, eine Einladung für den besagten Medientermin erhalten zu haben. Delice behauptet außerdem, in Kontakt mit dem FPÖ-Landesparteisekretär Lukas Brucker gestanden zu sein. Diese Information wollte die FPÖ nicht bestätigen und verweigerte jede weitere Stellungnahme. Der Name des Parteifunktionärs Leo Lugner fiel ebenfalls im Zusammenhang mit dem Medientermin, auch dazu wollte die FPÖ keine Auskunft geben.
Chefredakteur des türkischen„Brücke“-Magazins Mustafa Delice, FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp, Mehmet „Memo“ Özay und Hüseyin Taș, laut eigenen Angaben Journalist für das türkischsprachige Medium „Avusturya Rehber“
Bemerkenswert ist auch, wie türkische Medien über diesen Termin berichten, etwa das „Brücke“-Magazin. Neben einem gemeinsamen Foto von Nepp und Özay, das sie beim Treffen im Wiener Rathaus zeigt, findet sich im Magazin auch ein wohlfeiler Jubeltext über die FPÖ, der bereits vergangene Woche Fragen zur Verbindung zwischen blauen Politikern und türkischen Medien aufgeworfen hatte: Es ist derselbe Jubeltext, der zuvor bereits im türkischen Medium „SN Media“ als Werbeanzeige erschienen ist. Dafür kassierte das Medium 4000 Euro. Rechnungen, die das belegen, liegen profil vor.
Der türkische Gastronom und Berater Güray Kaan Aras hatte den Betrag beglichen. Warum Aras Anzeigen bezahlt, die die FPÖ bewerben, ist nicht bekannt; in welcher Verbindung er zur FPÖ steht oder ob er gar für die FPÖ arbeitet, ebenso wenig. Es war jedenfalls Aras, der die türkischsprachigen Medienvertreter im FPÖ-Klub im Wiener Rathaus bei jenem Medientermin empfangen hatte, wo „Die Presse“ und profil unerwünscht waren. Auch Aras wollte mit profil nicht sprechen.
Im „Brücke“-Magazin gibt es jedenfalls keinen Hinweis, dass der Text, der davor schon wortgleich in einem anderen Medium als Werbung erschienen ist, tatsächlich auch Werbung ist. Der Text ist als „Araştırma“ kategorisiert, zu Türkisch „Forschung“ oder „Studie“. Auf profil-Nachfrage, auf welche vermeintliche „Forschung“ sich diese Lobhudelei beziehe, die in anderen Medien als bezahlte Anzeige erschien, erklärt „Brücke“-Chefredakteur Mustafa Delice: „Ich habe den Text gefunden, er hat mir gefallen, also habe ich ihn veröffentlicht.“ Delice bestreitet, für die Veröffentlichung Geld bekommen zu haben, weder von Aras noch der FPÖ.
Von der SPÖ zur FPÖ
Das FPÖ-Informationsuniversum, TV und Social Media, die noch freudig über den FPÖ-Sympathisanten Özay berichtet hatten, sind auffällig still, wenn es um den FPÖ-Kandidaten Özay geht. Auf Dominik Nepps Facebook-Profil findet sich nicht einmal ein Hinweis auf den türkischstämmigen Kandidaten. Während die Freiheitlichen den Ball flach halten, postet Mehmet Özay stolz das gemeinsame Bild mit Nepp in dessen Büro im Wiener Rathaus. Beide Politiker grinsen in die Kamera, Özay hält einen Daumen hoch.
Özay war nicht einmal ein Jahr alt, als er nach Österreich kam. Laut der Website seines Goldgeschäfts ist er in Wien-Penzing aufgewachsen, seine Großeltern betrieben eine Greißlerei, wo er schon als Kind ausgeholfen hatte. Im Jahr 2010 kam er mit der Politik in Berührung, und zwar mit den Wiener Sozialdemokraten. Der rote Wiener Gemeinderat Peko Baxant erinnert sich an „Memo“, den er damals auf Wahlkampftour durch die Wiener Parks gemeinsam mit der einstigen Politikerin Laura Rudas im 15. Wiener Gemeindebezirk kennengelernt hatte. Özay habe damals bei der SJ angedockt, er sei ein „anständiger Kerl“, sagt Baxant, der sich für den einstigen Mitstreiter einen besseren Listenplatz bei der FPÖ gewünscht hätte. Wie sein Weg von der SPÖ zur FPÖ verlief, wisse er nicht, sagt Baxant.
Eine mögliche Erklärung liefert vielleicht Özay selbst in einem Posting, das er vergangene Woche auf Facebook veröffentlichte. Darin distanziert er sich klar von „religiösem Extremismus“. Er habe selbst erlebt, „wie schnell sich ein Kind radikalisieren kann. Früher habe ich Geschichten von Jugendlichen gehört und gelesen, die sich dem IS angeschlossen haben. Ich habe mich immer gefragt, wie konnten die Eltern eine solche Radikalisierung zulassen? Und plötzlich stehe ich da und bin einer dieser Eltern, die ich immer verurteilt habe“, schreibt Özay. Details darüber macht er nicht öffentlich. „Deshalb möchte ich aktiv den radikalen Islam gemeinsam mit der FPÖ bekämpfen.“ Dass dies ausgerechnet auch mithilfe islamischer Vereine passiert, hat eine gewisse Ironie. Ebenso, dass sich die FPÖ womöglich islamischer Bräuche bedient. Vergangene Woche war gar eine Einladung zu einem gemeinsamen Fastenbrechen im Umlauf, bei dem nicht nur Mehmet Özay angekündigt war, sondern auch FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp, der Wiener Klubobmann Maximilian Krauss und Leo Lugner. Das Treffen wurde jedoch kurz darauf wieder abgesagt.
Kommenden Sonntag findet ein Fastenbrechen von Atib in der Lugner City statt. Laut FPÖ-Parteifunktionär Lugner wird die Veranstaltung vom Verein selbst finanziert. Atib hat bis Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage von profil reagiert. Der Verein stand in der Vergangenheit immer wieder im Visier der FPÖ. Auslöser waren mehrere Vorfälle, die damals Schlagzeilen machten, darunter eine Kriegsinszenierung mit uniformierten Kindern in einer Atib-Moschee in Wien. 2019 forderte der damalige Nationalratsabgeordnete Peter Pilz (Liste Jetzt) gemeinsam mit FPÖ und ÖVP sogar ein Verbot des Vereins. Konkret wurde von der Regierung verlangt, alle Vereine der Atib-Union auf mögliche Gesetzesvergehen und Statutenüberschreitungen hin zu überprüfen und im Fall von Verstößen eine behördliche Auflösung einzuleiten. Diese Forderung erneuerte Herbert Kickl im Nationalratswahlkampf 2024 und argumentierte, Vereinigungen wie Atib würden Islamismus propagieren. Dass freiheitliche Funktionäre ausgerechnet bei Atib herumsitzen, will die Bundes-FPÖ auf Nachfrage nicht kommentieren.